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Die Hauptstadt blüht auf: Frühlingsspaziergang durch Berlin

Der Frühling gibt sich sommerlich. Zeit für die erste Grillparty, die ersten Drinks an der freien Luft, die erste Bootsfahrt des Jahres. Die Cabrios fahren oben ohne und Helge Schneider sehnt sich nach Mülheim an der Ruhr. Ein Frühjahrsspaziergang.

City Ost

Der erste schöne Vormittag des Jahres gehört am Hackeschen Markt den Bierkutschern. Vor fast jedem Café, jeder Kneipe stehen die Laster. Kisten werden gestapelt, Fässer gerollt. Die Sonne macht Durst, und am Sonnabend soll es noch wärmer werden. Neu im Angebot: Apfel-Bier und Kirsch-Bier. Wer trinkt den so etwas? „Das ist eher was für Touristen“, sagt der Bierkutscher. Dann muss er wieder ran.

Die Touristen sind längst da. Selfie- Zeit, von hier bis zum Brandenburger Tor. Dazu spielt ein Leierkastenmann: „Das ist die Berliner Luft, Luft Luft!“ Eine französische Schulklasse aus Châteauroux ist zum ersten Mal in Berlin und ist begeistert: „Berlin ist sehr schön! Eine tolle Stadt!“ Heute Abend müssen sie zurück. Frau Kramer aus dem Saarland hat auch nicht viel Zeit. Sie ist mit ihren Freundinnen heute und morgen da. „Viel trinken, viel ansehen“, so lautet ihr Plan, in dieser Reihenfolge.

Im Lustgarten wird eben die Fontäne nachjustiert. Jetzt sprudelt sie wieder wie am ersten Tag. Bis Ende April sollen die 33 Brunnen des Bezirks Mitte am Netz sein. Die Plakatfirma Ströer sorgt für Unterhalt und Wartung und darf dafür acht große Werbeflächen im Bezirk betreiben. Gegenüber der Neuen Nationalgalerie stehen Liegestühle bereit, die Ausflugsdampfer gleiten vorüber. Ein Adonis sonnt sich mit nacktem Oberkörper: Her mit dem ersten Sonnenbrand des Jahres! In sicherer Entfernung zwei Studentinnen, die Bücher lesen. Lange nicht gesehen hier draußen.

Tempelhofer Feld

Das orange-weiße Kampfflugzeug schießt nach oben und wird ganz klein. Kurz verschwindet es in der Sonne, dann kippt es wieder Richtung Erde, auf den Boden zu. Im Sturzflug rast der Flieger auf den Beton des Tempelhofer Feldes zu. Dieter Rabe kneift die Augen zusammen. Jetzt nur keinen Fehler machen. Kurz vor dem Boden heult der Motor auf, Rabe reißt den Flieger nach oben, der eine kurze Pirouette dreht und dann in Richtung Flughafenterminal davonschwebt. Der erste richtige Frühlingstag ist ein guter für ihn: „Heute hab’ ich das erste Mal nichts kaputt gemacht. Ich werd’ sonst immer zu übermütig.“ Der 71-jährige trägt ein lilienweißes Hemd und steuert ein Spielzeug. Sein Flugzeug sieht ein bisschen aus wie der kleine, bunte Bruder eines amerikanischen Tarnkappenbombers. Etwa einen Meter breit ist das Flugzeug und bis zu 60 Stundenkilometer schnell.

Wenige Meter entfernt von ihm steht Dennis Riedinger, mit Fliegerbrille, Dreitagebart und Kapuzenpulli und einem weiß-blauen Propellerflugzeug. Den Winter über hat Riedinger mit einem Flugzeugsimulator am PC geübt. Nun, zum Frühlingsanfang kann er endlich raus. „Berlin ist ja für Piloten der Wahnsinn.“ Dann erzählt er noch von seinem Miniflieger, mit dem seine Tochter einmal fliegen lernen soll. „Die ist jetzt vier. In zwei Jahren ist sie dann so weit.“ Dann will er mit ihr zum Frühlingsanfang hierherkommen. Bis dahin kommt Riedinger alleine zum Tempelhofer Feld und trifft sich mit Rabe und den anderen.

Mit den Spielzeugpiloten sind Hunderte rausgekommen, um Inliner zu fahren, zu skaten, Rad zu fahren, Drachen steigen zu lassen und zu spazieren. Direkt neben der ehemaligen Südstartbahn eröffnet ein Vater mit seinem Sohn die Grillsaison. Das erste Steak des Jahres wird übers Feuer gelegt. „Wir sind spontan hergekommen. Das Wetter war so schön.“

Ein paar Meter entfernt sitzen Peer und Lukas im Rasen und klimpern auf ihren Gitarren herum. Peer ist erst vor zwei Tagen aus Australien wiedergekommen. Der 16-jährige Schüler hat wegen seines Auslandsjahres bis Ende August frei. „Es ist hier fast wärmer als in Australien – zumindest fühlt es sich so an.“ Neben den beiden bringt eine Frau mit Kopftuch ihren Töchtern Inlinerfahren bei. Eine chinesische Gruppe sitzt bei 20 Grad bereits unter einem Sonnenschirm.

Die Atmosphäre ist friedlich. Familien mischen sich mit Erasmusstudenten und Rentnern, die Drachen steigen lassen. Nur am Bahnhof Tempelhof zeigt sich, dass der Frühling nicht alles neu macht: die Konflikte der Stadt blitzen kurz auf, als die Polizei die Personalien einer Gruppe von Frauen aufnimmt, die mit langen Röcken und Kopftüchern in einer Ecke gedrängt sitzen. Auf dem Feld aber genießen die Menschen, die Frühlingswärme. Am Himmel steht keine einzige Wolke.

Tiergarten

Die Natur vertraut auf die Wiederkehr, die aber auch stets ein neues erstes Mal hervorbringt. Die Knospen an den Bäumen sind noch frisch, da sehen selbst die Trauerweiden glücklich aus. Die blauen Blütenteppiche der Szilla duften schon verführerisch. Buschwindröschen und Scharbockskraut sind da. Die Kaninchen, die hier zur Plage geworden sind, freuen sich bereits. Auf dem See sind die ersten Boote unterwegs. Der Trend der Saison, so scheint es: die Dame rudert.

Die Nachtigallen sind auch schon da, überall in Berlin, wo es Wasser gibt, und natürlich auch hier im Tiergarten. Ab Mai werden nächtliche Nachtigallen-Führungen angeboten. Berlin hat mehr Nachtigallen als ganz Bayern, und ihr Gesang ist hier besonders kräftig, weil er sich gegen die Stadtgeräusche durchsetzen muss.

City West

Hinter dem Zoo, an der Tiergartenschleuse, hat sich eine kleine Zeltstadt unter der ICE-Trasse etabliert. In der Frühlingssonne wirkt sie wie ein lässiger Campingplatz, doch es sind obdachlose Polen, die froh sind, dass sie unbehelligt von Polizei und Bahnern hier wohnen können. Noch werden sie geduldet, das Problem ist, dass es immer mehr werden. Ein Stofftier-Bär mit Sonnenbrille und Hertha-Kutte bittet um eine Spende. Nur ein paar Meter weiter beginnt die schicke City West. Die Cabrios haben die Verdecke heruntergeklappt, die Blondinen ihre Sonnenbrillen aufgesetzt. Höchste Zeit für den ersten Aperol Spritz. Auf dem Breitscheidplatz an der Gedächtniskirche stehen um zwölf Uhr mittags schon die Biere auf dem Tisch. Jahrmarktsstimmung: Bier, Broiler, Bratwurst. Schlagermusik brandet über den Platz. Der ehemals feine Berliner Westen verkauft hier seine Seele. Die Buden und Karussells sollen eigentlich verschwinden, doch offenbar gibt es immer wieder neue Gründe für weitere Genehmigungen.

In der Kantstraße vor der Paris Bar sitzt noch niemand. Wer aber sitzt vor dem Schwarzen Café? Helge Schneider. Tach, Helge! „Ja, bin grad in Berlin“, sagt er. „Weißte, wo ich jetzt gern wäre? In Mülheim an der Ruhr, beim Rudern. Ich fahr gleich mal an die Spree und guck, wie das Wasser da so ist.“ Seine Tochter zupft schon an der Jacke: „Komm, Papa!“

Wie Helge Schneider werden es wohl viele machen. An diesem Sonnabend soll es 22 Grad warm werden. Wannsee und Müggelsee sind allerdings mit 10 Grad noch sehr frisch zum Baden.

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