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Eine sowjetische Iljuschin 62 der DDR-Luftlinie Interflug.

© picture-alliance/ dpa

Die besten Geschichten der DDR-Interflug: 30 Stunden Flug für 50 Stunden Bangkok

Vor 25 Jahren hob die letzte Maschine der DDR-Fluggesellschaft von Berlin ab. Unsere besten Geschichten von den Ferienflieger-Iljuschins - über Bonbons, Vopos und Konrad Adenauer.

Am 30. April 1991 war alles vorbei. Die frühere Fluggesellschaft Interflug der DDR, die 1958 gegründet worden war, startete zu ihrem letzten Flug von Schönefeld nach Wien. Danach wurde die Gesellschaft aufgelöst. Eine nach der Wende geplante Fusion mit der Lufthansa war am Veto des Bundeskartellamtes gescheitert. Auch eine Zusammenarbeit mit British Airways war nicht zustande gekommen.

Die Interflug war nach der Wende mit ihren veralteten sowjetischen Maschinen nicht mehr konkurrenzfähig; der Flugbetrieb war unwirtschaftlich. Jeden Monat machte die Gesellschaft nach damaligen Lufthansa-Angaben einen Verlust von umgerechnet zwei Millionen Euro. Lediglich mit drei – geleasten – Maschinen von Airbus konnte die Interflug Geld verdienen. Die Anschaffung hatte kurz vor der Wende der damalige CSU-Chef Franz Josef Strauß eingefädelt. Devisen beschaffte sich die DDR auch durch West-Berliner Fluggäste, die von Schönefeld wesentlich billiger fliegen konnten als von Tegel.

STATION IN BANGKOK

Unser letzter Familienurlaub dauerte 80 Stunden. Davon saßen wir 30 Stunden im Flugzeug, die restlichen 50 machten wir kurz Station in Bangkok. Einen längeren Aufenthalt konnte sich unsere an West-Mark arme Familie kurz nach der Wiedervereinigung nicht leisten. Die Reise ans andere Ende der plötzlich offenen Welt war ein Geschenk von Interflug – ein letztes Privileg dafür, dass meine Mutter 13 Jahre lang im Haus des Reisens am Alexanderplatz als Buchungsexpedientin Flüge abgerechnet hatte.

Zum Zeitpunkt unseres Kurzurlaubs, im Oktober 1990, stand Interflug vor einer ungewissen Zukunft - wie alles, was mit DDR und Privilegien zu tun hatte. Für den Freiflug, von dem wir richtigerweise annahmen, er sei unser letzter, wählten wir deshalb die längste Strecke, die Interflug anbot – 8600 Kilometer. Auf Sozialismus in Havanna (8400 Kilometer) waren wir erst einmal nicht so scharf.

Nach der Landung gerieten wir in ein Tempo von Menschen und Maschinen, das einem die Augenblicke verhedderte. In der schwülen Hitze von Thailand entdeckten wir einen Kapitalismus ohne Zügel, ein Leben ohne Pausetaste. Das Schöne glänzte inmitten des Hässlichen, es duftete wie die Blüten der Orchideen, die meine Mutter im Strauß mit nach Hause nahm. Besonders faszinierte sie, dass jeder einzelne Orchideenstiel in einem kleinen Fläschchen steckte. Welch ein Luxus, welch ein aufwendiger Kampf gegen die Vergänglichkeit!

Auf dem Rückflug landeten wir in Dubai zwischen und gerieten in den größten Intershop der Welt – und den bestbewachten, denn die Region rüstete sich gerade für den nächsten Golfkrieg. Als meiner Mutter beim Wiedereinstieg ins Flugzeug ein paar Orchideen runterfielen, zerschellten die kleinen Gläser – und die Soldaten entsicherten vor Schreck ihre Gewehre. Unser kurzes Glück wich den unübersichtlichen Wirren der Wende.

Am 30. April 1991 hob die letzte Interflug-Maschine von Schönefeld in Richtung Wien ab. Für diesen Flug bekam meine Mutter keinen freien Platz mehr, nur ein symbolisches Ticket mit Trauerschleife, „für langjährige treue Dienste und das Durchhalten bis zum bitteren Ende“. Interflug wurde abgewickelt, wie so viele unrentable DDR-Betriebe, meine Mutter wurde arbeitslos. Und im Fernsehen wurde vermeldet, dass die letzten Iljuschin-Maschinen verkauft wurden – für eine West-Mark. Robert Ide

FLIEGENDE UNGETÜME

Meine Erinnerung an die Interflug ist verbunden – mit der Eisenbahn. Irgendwann in den 80er Jahren entschied sich die DDR, ihre wichtigsten Bahnstrecken mit einer Oberleitung auszurüsten. Elektro- sollten Dieselloks ersetzen, weil Strom aus Lausitzer Braunkohle billiger war als sowjetisches Erdöl. Für den Bau der Leitungen kam die Interflug, besser: ihre Hubschrauberflotte. Die riesigen Maschinen sowjetischer Bauart transportierten die Maste und Kabeltrommeln zu den Baustellen. Als bei uns in Pankow der – heute stillgelegte – Rangierbahnhof unter Strom gesetzt werden sollte, war der ganze Kiez elektrisiert.

Als der erste Hubschrauber heranknatterte, holten die Mütter erschrocken die Wäsche vom Balkon, während die Väter eher abgeklärt reagierten – obwohl sie in Wahrheit von den fliegenden Ungetümen, die einen mittleren Wirbelsturm verursachten, ebenso beeindruckt waren wie ihre Sprösslinge, die sich in Trauben am Zaun zum Rangierbahnhof herumdrückten.

Gereist bin ich mit der Interflug übrigens nie. Ihre Tickets schienen meinen Eltern nicht erschwinglich, die lieber zwei Wochen Vollpension im FDGB- Heim „Georgi Dimitroff“ in Wernigerode buchten als einen Flug nach Budapest. So richtig traurig war ich als Junge darüber aber nicht.

Denn die Interflug erschien mir damals auch etwas unheimlich: Ihre Flotte bestand aus altertümlichen Propeller-Maschinen, von denen unter Kindern die Kunde ging, dass die auch dann noch in der Luft bleiben konnten, nachdem drei der vier Triebwerke ausgefallen waren. Das wollte ich nun wirklich nicht erleben! Da guckte ich lieber den schicken Flugzeugen hinterher, die über mein Haus in Richtung Flughafen Tegel düsten: Schnittige Jets von PanAm , British Airways und Air France. Mit den Franzosen erlebte ich nach dem Mauerfall schließlich meinen Jungfernflug – von Tegel nach Stuttgart. Björn Seeling

BONBONS UND SCHIKANE

Per Interflug ging es für West-Berliner halb so teuer von Schönefeld nach Athen wie mit British Airways von Tegel. Die Nachteile nahm man in Kauf. So gab es keine festen Sitzplätze. Man rannte übers Rollfeld, um weit vorne, also weit weg von den Rauchern im hinteren Teil, sitzen zu können. Das Flugzeug roch ungesund nach Chemie.

Die extrem klebrigen Bonbons für den Druckausgleich hatten ebenfalls nicht das von der DDR angestrebte „Weltniveau“. Am schlimmsten war die Schikane. Bei der „Ein- und Ausreise“ in die DDR ließ man die Westler gerne lange schmoren. Ein spezieller Interflug-Bus lud sie unterm Funkturm ein und aus. Selbst bei der Einreise inspizierten die Vopos den Bus von unten mit Spiegeln, als würden Westler versuchen, illegal in die DDR einzureisen! Im Bus gingen die Vopos wichtigtuerisch durch die Reihen. Meine Mutter las zur Ablenkung den Tagesspiegel. „Na, Feindpresse?“, sagte ein Systemtreuer einschüchternd zu ihr. Er bekam nur einen kühlen Blick zurück. Anja Kühne

INNEN DDR, AUSSEN ADENAUER

Sieben Jahre nach der Wiedervereinigung sollte ich im Sommer 1997 den damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog bei seinem Staatsbesuch in den USA begleiten. Die „Konrad Adenauer“, unsere Antwort auf die Air Force One des US-Präsidenten, stand schon auf dem Flugfeld bereit. Bis zum Boarding sollte noch ein bisschen Zeit vergehen, also vertrieb man sich die beim Small Talk. „Das ist ja eine alte Interflug-Maschine“, sagte einer der Manager aus der Delegation mit wissender Miene und deutet auf die „Konrad Adenauer“. „Nein wirklich?“, fragte eine Unternehmerin etwas ungläubig.

„Das kann doch nicht sein. Eine alte DDR-Maschine?“ Irgendwie konnte ich sie gut verstehen, als sie hinzufügte: „Da muss ich aber noch mal überlegen, ob ich wirklich mitfliege. Ist das nicht gefährlich?“ Damals waren die Wirkungen der Propaganda, denen auch Wessis ausgesetzt waren, noch überall spürbar. Und natürlich scannte ich das Flugzeug auf Verschleißerscheinungen und DDR-Tristesse, schnupperte nach dem typischen Lysol-Geruch, sobald ich es betrat.

Jedes Geräusch, jedes kleine Ächzen bekam eine ganz andere Bedeutung. Aber wir schafften es heil nach Washington D.C. Auf dem Rückflug hätte ich die „Konrad Adenauer“ beinahe verpasst, weil das Programm zeitlich überzogen wurde. Nur weil ausnahmsweise der Journalistenbus auch mit in der Blaulicht-Kolonne fahren durfte, ging’s auch wieder zurück mit dem Ex-DDR-Fluggerät. Ein Abenteuereinsatz, so empfand ich es damals. Bei späteren Flügen mit der „Konrad Adenauer“ fühlte sich das alles freilich schon viel normaler an. Elisabeth Binder

Seite 2: Retter in der Not

Kesse Hüte, scharfe Typen. Die Interflug-Crew wird im April 1989 in Szene gesetzt – auf dem BRD-Flughafen in Frankfurt (am Main!).
Kesse Hüte, scharfe Typen. Die Interflug-Crew wird im April 1989 in Szene gesetzt – auf dem BRD-Flughafen in Frankfurt (am Main!).

© Sven Simon/Imago

RETTER IN DER NOT

Was jetzt? Das Paar trifft sich wieder am Flughafen in Wien, zu dem jeder getrennt gefahren war. Mit der Interflug soll es zurück nach Berlin gehen. Doch das Gepäck ist nicht da. Jeder hatte sich darauf verlassen, dass der andere es aus dem Hotel holen und mit zum Flughafen bringen wird. Der Abflug ist in gut einer Stunde.

Also mit dem Taxi zurück in die Stadt. Der Fahrer rast ein bisschen schneller als erlaubt. Und wartet vor dem Hotel auf die Rückfahrt zum Flughafen. Am Flughafen ist der Check-in längst abgeschlossen; der Schalter dicht. Mitarbeiter lotsen den Mann mit dem Gepäck nun durchs Gebäude – auch über nicht öffentliche Wege. Zu Beginn der 1980er Jahre war dies noch möglich.

Dann geht’s zu Fuß übers Rollfeld zur Interflug-Maschine, die immer noch dasteht. Also mit allen Taschen nach oben gehetzt und rein ins Flugzeug. Die Besatzung schließt sofort die Tür. Die meisten Passagiere gucken nicht gerade freundlich; sie haben wohl mitbekommen, warum die Maschine nicht pünktlich losgerollt war. Als sich der verspätete Passagier nochmals bei der Besatzung fürs Warten bedankt, sagt die Stewardess nur: „Aber das ist doch selbstverständlich.“ Und lächelt nur. Klaus Kurpjuweit

DSCHUNGEL STATT MAUER

Selbst nach über 25 Jahren wurmt es mich noch immer, dass der Mauerfall nicht zwei, drei Tage früher stattfand. Oder von mir aus vier Wochen später. Und nicht ausgerechnet dann, wenn ich mitten im thailändischen Dschungel sitze. Denn es ist schon frustrierend, an einem Ort zu wohnen, wo gerade Weltgeschichte geschrieben wird, aber man selbst ist nicht da.

Schwacher Trost damals: Die Airline, die mich nach Südostasien transportiert hatte, war dem Staat der friedlichen Revolution eng verbunden: Interflug. Es war damals einfach die günstigste Weise, von West-Berlin nach Bangkok zu kommen: U-Bahn nach Rudow, von dort mit dem Bus über die Grenze mit der üblichen korrekt-muffeligen Kontrolle, dann einchecken und pünktlich ab durch die Wolken.

Übrigens per Airbus A-310, eine der drei Maschinen, die sich Interflug kurz zuvor zugelegt hatte. Möglich, dass es dieselbe Maschine war, die später bis 2011 offizielles Regierungsflugzeug zum Transport des Bundeskanzlers war. Kamen mir Inneneinrichtung und Service irgendwie ungewöhnlich vor, anders als der Standard bei West-Airlines? Ich glaube nicht.

Auch der Rückflug Wochen später verlief ohne Zwischenfälle, ungewohnt war nur der Empfang an der Grenze. Eine Kontrolle fand praktisch nicht mehr statt. Und auf dem sonst menschenleeren Seitenstreifen der Straße von Schönefeld nach Rudow strömten die DDR-Bürger Richtung West-Berlin. Andreas Conrad

OLYMPISCHER EINSATZ

Im Sommer 1980 hat die Interflug Hochkonjunktur. Es geht Richtung Osten. Moskau. Die Olympischen Spiele rufen die Spritzensportler der Welt in die Metropole der Großen Ruhmreichen Sowjetunion, aber die Freude ist getrübt, denn die Amerikaner und, natürlich, auch die Bundesrepublik boykottieren das Ereignis an der Moskwa (wegen des Einmarschs der UdSSR in Afghanistan). Andere, die etwas weniger hörig sind, kommen, so die Franzosen, Italiener und Engländer.

Also, die Interflug ist im Dauerstress. Wenn „die Freunde“ rufen, fliegt man drauf. Brigaden, Kollektive und ganz normale Sportfans vermischen sich in den Maschinen, natürlich möchte/sollte/könnte man den Frauen und Männern mit dem GDR auf dem Trikot zujubeln. Beim Endspiel im Fußball CSSR-DDR (1:0) zum Beispiel. Oder als Waldemar Cierpinski seinen zweiten Olympia-Marathon gewinnt und DDR-Sportreporter-Star Heinz-Florian Oertel vor Begeisterung überschnappt und den Vätern daheim spontan empfiehlt, ihre Neugeborenen Waldemar zu nennen.

Beim Rückflug sitzen wir im Abflug-Restaurant in Scheremetjewo und warten auf unseren Aufruf. Wir warten. Und warten. Und warten. Bis einer mit seinem Fernglas entdeckt, dass unsere Maschine längst da draußen in Startposition ist, aber mehrere Sowjetmenschen auf der rechten Tragfläche der weißen IL 62 wild diskutieren.

Ein Stück Blech ragte nach oben, heraus quollen Kabel und Leitungen wie aus einem aufgeschnittenen Bauch. Mannmannmann, schto djelatch, was tun? Geld war alle, Sekt war sauer, Ende ungewiss. Neben mir an der Bar sitzen schlanke dunkle ranke schnittige Männer der französischen Olympiamannschaft, einer fragt, woher ich komme. Berlin? West oder Ost?, hakt er nach. Ich: Ost. Er spontan: Mon Dieu, wie schaaaade. Nach einigen Stunden ist der Schaden behoben. Ein Gerücht geht um: Interflug hat extra für uns eine Reparaturkolonne eingeflogen. Spassibo und Doswidanja. Lothar Heinke

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