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Tanz auf dem Vulkan. Geimpft lässt es sich leichter abfeiern.

© Imago/Hans Lucas

Die Befreiung nach der Pandemie: Nach Corona kommen die Goldenen Zwanziger, Teil 2!

Es wird wild, exzessiv, hemmungslos. Unser Kolumnist ist sicher: Wenn die Pandemie vorbei ist, fängt die Party an.

Neulich stand ich frisch geimpft auf der Straße. Entschuldigen Sie bitte, ich muss das leider erwähnen. Wenn man geimpft ist, ist eine der schlimmsten Nebenwirkungen, dass man allen direkt stolz davon erzählen möchte. Auch Ihnen natürlich. Ich stand also frisch geimpft auf der Straße, und neben mir stand mein Freund Dominik.

Wir unterhielten uns darüber, wie das Leben nach der Pandemie weitergehen könnte. Meine These war, dass ein großer Teil vor allem junger Menschen sich so richtig ins Leben stürzen werde. Dass Partys exzessiver würden, dass Kneipenabende länger dauern würden, dass viele nicht mehr ganz so kritisch schauen würden, wen sie da gerade treffen. Hauptsache, sie treffen nach gefühlten 24 Monaten im Wohnzimmer überhaupt mal jemanden, der nicht die eigene Katze ist, ein Paket liefert oder eine Pizza vorbeibringt.

Ich habe zu diesem Thema neulich einen guten Cartoon gesehen. Im ersten Bild sitzen zwei fremde Menschen an einem Tresen und sagen beide zufällig unabhängig voneinander: „Ich bin geimpft“. Im zweiten Bild hören sie, was der andere gesagt hat. Im dritten Bild schauen sie einander kurz an. Sie scheinen ganz kurz nachzudenken. Und schon im vierten Bild küssen sie sich.

Es wird ein bisschen wie der erste Burger nach einer langen Diät

Ich denke, da ist etwas dran. Die Einschränkungen der vergangenen Zeit werden sicher dazu führen, dass die Zeit nach der Pandemie etwas lockerer sein wird. Ein bisschen wie der erste Burger nach einer langen Diät. Bei dem ist auch kurz mal egal, wenn der von McDonald’s ist. Und bei den anderen beiden danach auch.

Dominik verwies mich, als ich so frisch geimpft auf der Straße stand, auf die Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Mir war das vorher noch nie so bewusst geworden, aber klar, es gibt eine verblüffende Parallele. Auch damals folgte auf eine entbehrungsreiche Zeit eine sehr ausschweifende.

[Behalten Sie den Überblick über die Corona-Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

Die Hyperinflation 1923 und vorher natürlich – ältere Tagesspiegel-Leser werden sich noch erinnern – der Erste Weltkrieg, das waren die beiden großen Krisen. Aus denen wuchsen dann die berühmten goldenen Zwanziger, die immerhin so wild gewesen sein müssen, dass man noch hundert Jahre später davon spricht. Auf Regen folgt Sonnenschein. Und wenn es ziemlich lange geregnet hat, reichen schon ein paar kleine Strahlen aus, um die Gemüter zu erhitzen.

Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.
Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.

© Peter von Felbert

Und dann, immer noch frisch geimpft, dachte ich mir Folgendes: Was wäre, wenn nicht nur die Jungen nach der Krise feiern, als gäbe es kein Morgen, sondern wenn wir alle diese Einstellung übernehmen?! Uns über Dinge freuen, einfach weil sie wieder möglich sind. Auch wenn sie gar nicht so besonders sind oder vielleicht sogar vor der Krise ein wenig negativ konnotiert waren.

Ein Hundehaufen auf der Straße? Ist es nicht wunderbar, dass wir alle wieder raus dürfen? Nicht nur Hundebesitzer, wir alle! Ach, es ist so schön. Ein feines Häufchen hast du da gemacht, fremder Hund samt fremdem Besitzer, der es einfach liegen gelassen hat. Recht so! Das Leben ist zu kurz, um Kacke in Plastiktütchen in den Müll zu tragen.

Das Leben nach Corona könnte ein großer Zug der Liebe werden.
Das Leben nach Corona könnte ein großer Zug der Liebe werden.

© Imago/Christian Mang

Illegaler Sperrmüll auf der Straße? Wunderbar! Schmeißt die Möbel aus dem Fenster, wir brauchen Platz zum Dancen! Das ist unser Haus! Bring den Vorschlaghammer mit, bis morgen muss der ganze Rotz verschwunden sein! Wen stören da schon drei Matratzen und eine Einbauküche auf dem Gehweg.

[Über die Corona-Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden]

Lange Schlange im Supermarkt? Wie großartig, dass so viele Menschen überlebt haben! Man möchte sie alle umarmen und T-Shirts mit der Aufschrift „Corona 2020/2021 – Ich war dabei“ verteilen. Lasst die zweite Kasse zu und uns einfach darüber freuen, dass wir gemeinsam in einer riesigen Reihe stehen dürfen.

Wer braucht Geld, wenn es Luft und Liebe gibt?

Der Bus kommt nicht? Ist mir egal, gehe ich halt zu Fuß. Steuererklärung? Bucht ab, was ihr wollt! Wer braucht Geld, wenn es Luft und Liebe gibt. Fuß gebrochen? Macht nix, besser als Corona …

Sie verstehen das Prinzip. Wir feiern einfach alles, was uns im Alltag begegnet. Es werden die Goldenen Zwanziger, Teil 2. Jetzt erst recht. Außer, dass wir uns den Teil mit den Nazis in den Dreißigern danach sparen. Das war wirklich überflüssig. Sorry, AfD. Dieses Mal nicht!

Ansonsten wäre ich persönlich bereit für eine Zeit, in der wir uns über all die kleinen und großen Dinge des Lebens ausnahmslos freuen.

Ich bin nämlich schon geimpft, müssen Sie wissen! Ich glaube, ich hatte das noch gar nicht erwähnt.

Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat die Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und zu schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Peter Wittkamp lebt mit Frau und Kind in Neukölln. Im Tagesspiegel beleuchtet er alle 14 Tage ein Berliner Phänomen.

Peter Wittkamp

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