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Poetry-Slam-Spezialisten. Wolf Hogekamp und Robin Eisenberg gehören zu den Initiatoren der Berliner Szene. Fotos: Davids/Darmer

© DAVIDS/Sven Darmer

Dichterwettstreit in Kreuzberg: Berliner Poetry-Slam wird politisch

Das schmissige Dichterwettstreitformat „Poetry-Slam“ reagiert auf die Weltlage – und wird zunehmend ernsthafter.

„Darm und Gehirn sind zum Verwechseln ähnlich, vielleicht sind AFDler gar nicht so dumm, sondern haben nur Gehirn und Darm vertauscht?“, liest Sarah Bosetti, Poetry-Slamerin. Das Format, bisher als einfacher Dichterwettstreit bekannt, erlebt eine Politisierung. „Was, wenn der Syrienkrieg in Deutschland wäre?“, fragt Noah Klaus während seiner Performance. Er berichtet vom europäischen Frühling, einem imaginären Krieg in Deutschland, Hetzreden der „Patrioten gegen die Europäisierung des Orients“ – kurz „PAGEDO“.

Liebkosungen für Oma oder Hasstiraden für die Exfreundin scheinen keinen großen Anklang beim Publikum mehr zu finden. Der Grundton wird zunehmend politischer. Zirka 200 Studenten oder solche, die es gerne wären, treffen sich beim Poetry-Slam im Club SO36 in Kreuzberg. Die Atmosphäre stimmt: Ein unfreundlicher Türsteher, abgedunkelte Räume, gedämpfte elektronische Musik. Das Publikum kennt die Regeln des Poetry-Slam: Mit selbst geschriebenen Texten tritt man gegeneinander an. Jeder hat fünf Minuten, um zu überzeugen. Hilfsmittel sind nicht gestattet.

„Die politischen Zeiten sind härter geworden, 2014/2015 waren geprägt von schlimmen Entwicklungen“, sagt Wolf Hogekamp, „Slam-Papst“ und vor 20 Jahren Initiator von Poetry-Slam in Berlin. „Gerade Jugendliche trifft das, sie erleben solche Entwicklungen zum ersten Mal.“ Auch auf dem von ihm organisiertem U-20 Slam wird politischer Unmut laut. „Dass eine Gesellschaft so ungerecht sein kann, empört einen sehr – da wird das zum Zentralthema“, sagt er. Sich politisch zu geben, gilt aber auch als angesagt. „Früher war es egal, mit welchen Texten man kam; das Publikum bestand ausschließlich aus Germanistikstudenten. Heute sitzen Menschen mit den unterschiedlichsten Orientierungen im Publikum“, sagt Hogekamp. Der gemeinsame Nenner? Vor allem die „innere Moral, eine gewisse Ethik“. Daher die Politisierung.

Der Inhalt stand früher nicht im Vordergrund, der literarische Wert zählte, sagt Robin Isenberg.
Der Inhalt stand früher nicht im Vordergrund, der literarische Wert zählte, sagt Robin Isenberg.

© Davids/Sven Darmer

Robin Isenberg, Poetry-Slamer seit 2009, pflichtet ihm bei. „Als ich anfing, stand der Inhalt nicht allzu sehr im Vordergrund, es ging um den literarischen Wert, sprachliche Schönheit. Es hätte auch ein Gedicht über einen Baum sein können.“ Früher, sagt Hogekamp, war es das Internet, das man verteufelte, heute ist es der Rechtsruck in der Politik.

Auch seine eigenen Texte seien zunehmend politisch geworden. „Primär bin ich aber immer noch in die Sprache verliebt“, sagt Wolf Hogekamp. Denn im Vordergrund der Performance sollten auf alle Fälle sprachliche Schönheit, Wortwitz und Schlagfertigkeit stehen. Schließlich beschreibt das Format einen Dichterwettstreit.

Mit rund 15 regelmäßig stattfindenden Slams zählt Berlin zu den Slam-Hochburgen Deutschlands, nur Hamburg hat mehr vorzuweisen. Es liegt nicht nur an der großen Künstlerszene, dass das Format in der Hauptstadt solchen Anklang findet und einen Hype erlebt. In Berlin sind Poetry-Slams – das ist eine Besonderheit – alle autonom veranstaltet. Heißt: keine Großveranstaltungen, kein überteuerter Eintritt, kein Schick. Poetry-Slam soll „Underground“ bleiben. Außerdem gilt: Wer organisiert, tritt auch auf. „1993/1994 hat sich der Slam hier erst entwickelt, Literatur gab es so nur bei Lesungen. Das hat mich irritiert – es gab keinen Austausch mit dem Publikum“, erzählt Hogekamp. „Wir wollten den Poetry-Slam da hinbringen, wo die Leute sind.“ Und so lebt er heute: in Bars, Clubs und Konzertstätten.

Robin Isenberg hat allerdings ein skeptisches Auge auf die Entwicklung der Szene: „Es wird alles kommerzieller. Inzwischen gibt es Gagenauftritte, sogar Sponsoren – da kann man nicht mehr vom ursprünglichen Underground-Gedanken sprechen“, sagt er. Auch das Publikum ändere sich. Durch die Veröffentlichung der Aufnahme eines Auftritts der Poetry-Slamerin Julia Engelmann erlebte die Szene 2013 einen Aufschwung, ihre Videos haben sich durch die sozialen Netzwerke schnell verbreitet. „Seitdem kommen immer Menschen und erwarten lustige und lebensbejahende Texte und sind enttäuscht, wenn das nicht der Fall ist“, sagt Isenberg. „Als wäre nur das allein Poetry-Slam.“ Die Form sei so vieles und könne auch ganz anders interpretiert werden. Falsche Erwartungen sind also durchaus drin an einem Dichterabend. Denn Poetry-Slam ist nicht ausschließlich Stand-up-Comedy.

Poetry-Slam-Stadtbattle: Berlin–Leipzig. Dienstag, 30. August, ab 19 Uhr im SO 36, Oranienstr. 190, Kreuzberg. Tickets 8, ermäßigt 6 Euro im Vorverkauf.

Simin Jawabreh

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