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Norbert Wolf ist der Inhaber des Gitarrenladens Wolf & Lehmann in der Prenzlauer Allee in Prenzlauer Berg.

© Doris Spiekermann-Klaas

Der Vielsaiter Norbert Wolf: Einer Berliner Gitarren-Instanz droht die Insolvenz

Als DDR-Musiker tourte er von Indien bis Sri Lanka, dann kam alle Welt in sein Fachgeschäft. Nun hadert Norbert Wolf mit dem Internet – und fühlt sich verraten.

„Ich habe etwas vorbereitet“, sagt Norbert Wolf und verschwindet im Hinterzimmer, „bin gleich so weit.“ Im Vergleich mit anderen Gitarrengeschäften, die sich an professionelle Konzertgitarrist:innen richten und sich mit viel Edelholz und Schellack-Glanz in Szene setzen, hängen hier nur wenige klassische Gitarren an der Wand, alles erschwingliche Einsteiger-Instrumente. 

Die Werkstatt erscheint über den Raum verteilt: hier ein Regal mit etwas Werkzeug, da eine Vitrine mit Kleinteilen, Überreste kaputter Instrumente, zweckentfremdet als Behälter für diverses Verbrauchsmaterial, sezierte Gitarren, prunklos und matt. Mit dem Glanz der klassischen Musikwelt, mit ihrem Stuck und Marmor, passt das nicht recht zusammen. Das will es auch gar nicht, zu trügerischen Werbefassaden hat Herr Wolf sowieso kein gutes Verhältnis.

„So, jetzt“, ruft er aus dem Nebenraum, gleich darauf flutet laute Rockmusik den leisen Raum, sodass die Saiten der an der Wand hängenden Gitarren mitzuschwingen beginnen. Strahlend betritt Herr Wolf den Raum. Zu hören sind die „Sugar Beats“, eine 1964 im Havelland gegründete Musikgruppe, die stilistisch an Bands wie die Beatles oder Cream erinnert. Herr Wolf stieß 1965 als Gitarrist dazu, da war er 16 Jahre alt. 

1949 in Berlin geboren, kam Norbert Wolf 1951 zu Pflegeeltern nach Nauen und mit elf Jahren ebenda zum ersten Gitarrenunterricht. Nach dem Abi machte er eine Lehre zum Maschinenbauer, baute bis 1972 Lokomotiven in Hennigsdorf. Als sein musikalisches Treiben mehr Fahrt aufnahm als die Loks, fand er sich auf Langstreckenflügen wieder, trat Mitte der Siebziger als Gitarrist der Band von Barbara Kellerbauer in Indien, Pakistan, Sri Lanka auf – ein Privileg, das nur wenige Bürger:innen der DDR genossen, auch wenn der Tourneeplan so dicht war, dass kaum Zeit für Erkundungen bestand.

„Auf einem Flug von Colombo nach Bangkok bin ich unverhofft an eine aktuelle Ausgabe vom ‚Der Spiegel‘ gekommen, in der von der Ausweisung Wolf Biermanns berichtet wurde“, erzählt er. „Da wurde mir schlagartig klar, dass wir als Band eine politische Aufgabe hatten, der Welt das offizielle Bild von der DDR zu vermitteln. Und dass ich das nicht länger machen wollte für ein Land, das Wolf Biermann auswies.“

Das Abschütteln der Stasi wurde zur Freizeitgestaltung

Zwei, drei Monate später sei er über Zufälle in die Kreise des Schriftstellers Stephan Hermlin gekommen, der Biermanns Ausweisung gerade öffentlich kritisiert hatte, habe bald darauf Regimekritiker Robert Havemann kennengelernt. „Fortan hatte ich eine ganze Traube an Stasi-Spitzeln an der Backe.“ Die abzuschütteln sei Teil der Freizeitgestaltung geworden.

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Einmal sei Herr Wolf mit Freundin und Tochter ins Vogtland gereist, um einen Freund zu besuchen. Da habe er neun Verfolger in drei Autos gezählt. „Wir wussten, dass in Oelsnitz eine Menge Arbeiter aus unserem Bus ausstiegen. Als es soweit war, standen wir mit allen auf, zogen in der Menge unsere Jacken um und setzten uns an andere Plätze im Bus wieder, sodass es von außen so aussah, als wären wir mit ausgestiegen.“ Er habe beobachten können, wie die Verfolger auf der Suche nach ihnen aufgeregt zwischen den Arbeiter:innen umherirrten. Durch eine blitzschnelle Verkleidungsaktion im Bus seien sie sie losgeworden. 

„Einen grünen Golf mit dem Kennzeichen IBV 7-12 – Stasi durfte Golf fahren – werde ich nie vergessen,“ erzählt Wolf. Am Ziel angekommen , habe er sich von seinem Freund einen bunten Pullover geliehen, sich den Bart abrasiert und vor dessen Haus nochmals verkleidet und zum Schein Gartenarbeit verrichtet, um zu beobachten, ob man ihm am Ende doch gefolgt sei. „Der Wagen fuhr dann tatsächlich am Haus vorbei, erkannt haben die mich aber in der Aufmachung nicht mehr.”

Vom Tourgitarristen zum Gitarrenforscher

Der Freund, den er in Markneukirchen besuchte, war der Gitarrenbaumeister Eberhard Kreul. In seiner Zeit in der Kellerbauer-Band habe Wolf mit seiner Gitarre einen Unfall gebaut und dem Instrument ein zusätzliches Loch an falscher Stelle beschert. Wer würde das reparieren können? Der Bassist der Band habe ihm geraten, den Gitarrenbauer zu kontaktieren, der das Instrument gebaut hatte – der würde seine Gitarre am besten kennen. „Auf die Idee wäre ich nie gekommen! Ich hatte diese Gitarre schon lange gespielt, war mit ihr gereist, hatte aber noch nie einen Blick ins Schalloch geworfen. Da stand drin, wer sie gemacht hatte, nämlich Eberhard Kreul, Erlbach.“

Der Besuch der Meisterwerkstatt habe seine Beziehung zum Instrument grundlegend verändert, erzählt er. „Eine Gitarre war für mich zuvor eine Gitarre, gleich wer sie gemacht hatte und mit welchen Mitteln – ein Werkzeug zum Musikmachen. Plötzlich tauchte da ein Mensch hinter dem Instrument auf, mit ganz eigenen Überlegungen, Techniken und Eigenheiten, der da im Grunde seine Seele mit verbaute.“

Auf die Substanz kommt es an: Gitarren im Laden von Norbert Wolf.
Auf die Substanz kommt es an: Gitarren im Laden von Norbert Wolf.

© Doris Spiekermann-Klaas

Im Anschluss an die Jahre in Rockbands hatte Wolf 1982 an der Berliner Musikhochschule Hanns Eisler sein Diplom als klassischer Gitarrist gemacht. Parallel arbeitete er als freier Mitarbeiter am Institut für Musikinstrumentenbau in Zwota. In den frühen Achtzigern begannen asiatische Hersteller preisgünstige Instrumente auf den hiesigen Markt zu werfen, mit denen die ostdeutsche Gitarrenproduktion nicht mithalten konnte. 

Das Institut in Zwota sollte sie mit bescheidenen Mitteln wieder konkurrenzfähig machen. Statt teurer Messapparatur, setzte man hier vor allem auf die Psychoakustik, also menschliche Ohren, die in Testreihen bessere von schlechteren Bauweisen aussieben sollten. Dort sei er auf das Problem der Intonation aufmerksam geworden. So, wie Gitarren gemeinhin gebaut werden, klingen sie stets verstimmt, wenn sie auf bestimmten Bünden gespielt werden   und so richtig gelöst sei das Problem bis heute nicht, erklärt Herr Wolf.

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1992 gründete er zusammen mit seinem Kommilitonen Uwe Lehmann das Gitarrenfachgeschäft Wolf & Lehmann in der Rosenthaler Straße, wo er seine Forschung weiter betrieb, hunderte von Instrumenten vermaß und eine aufwendige Methode entwickelte, um die Verstimmungen zu korrigieren. Die Details der „NoWo-Mensur“ sind ein Betriebsgeheimnis. Die Korrektur könne ein günstiges Instrument besser klingen lassen, als ein wesentlich teureres. Davon könne sich die Kundschaft auf Anfrage gerne bei einer Vorführung selbst überzeugen. Manche Gitarrenbauer und Hersteller haben seine Entwicklung bereits erfolgreich eingesetzt.

Knotenpunkt der klassischen Gitarrenwelt Berlins

Das Fachgeschäft Wolf & Lehmann, zunächst in der Rosenthaler, dann in der Claire-Waldoff-Straße, heute in der Prenzlauer Allee 203, ist zu einem der Knotenpunkte der klassischen Gitarrenwelt Berlins geworden. Neben dem Verkauf von Instrumenten samt Beratung veranstalteten die beiden Gründer Hauskonzerte, stellten Berliner Gitarrenlehrer:innen Räume für den Unterricht und für Schülerkonzerte zur Verfügung, vermittelten Musiklehrer:innen, Bandmitglieder, Gitarrenbauer.

Norbert Wolf weiß um den Wert des Handwerks.
Norbert Wolf weiß um den Wert des Handwerks.

© Doris Spiekermann-Klaas

Vor einigen Jahren hat sich Uwe Lehmann aus Berlin „wegverliebt“, seitdem führt Norbert Wolf den Laden allein. Die Mieten stiegen, Werkstatt- und Proberäume mussten aufgegeben werden. Mit dem Internet habe die Nachfrage nach Beratung abgenommen, erzählt er.

„Die Leute lesen im Internet, dass das Modell sowieso von diesem oder jenem Hersteller gut sei und bestellen es einfach online. Ohne zu verstehen, dass keine zwei Instrumente je gleich klingen.“ Die Fixierung auf irgendwelche Marken sei keine Garantie für gleichbleibende Qualität, schon der Werkstoff Holz lasse das nicht zu, von den notwendigen Ungenauigkeiten des Handwerks ganz zu schweigen. Eine Gitarre müsse man spielen – oder sie zumindest von jemandem, der spielen kann, demonstriert bekommen.

Von den Gitarrenlehrer:innen fühlt er sich verraten

Das Schlimmste sei aber, dass selbst die Lehrer:innen diesen Geist übernommen hätten. „Ich weiß von Schülern und Eltern, dass ihnen von Lehrerseite geraten wird, zu mir in den Laden zu kommen, sich einige Instrumente von einem ausgebildeten Gitarristen, also mir, vorführen zu lassen, um hinterher mit einigen Euro Ersparnis im Netz zu bestellen. Ich fühle mich verraten.“

Vor einigen Wochen sprach der Steuerberater erstmals von Insolvenz. Herr Wolf erzählte es einer Kundin, die darüber auf Facebook schrieb – eine Welle der Solidarität mit dem Gitarrenladen verhinderte vorerst das schnelle Aus.

„Ich kam plötzlich gar nicht mehr hinterher mit den Aufträgen“, erzählt Herr Wolf gerührt, Berliner:innen mit alten Gitarren, Dachbodenfünden oder im Gartenschuppen gefundenen Instrumenten, kamen plötzlich mit Reparaturaufträgen zu ihm. Eine Kundin habe eine Gitarre im Garten gefunden, die den Winter über an einen Baum gelehnt habe, ob man da was machen könne. „Schnell hat sich das aber wieder auf einem halbwegs normalen Niveau eingependelt. Man wird sehen, wie lange diese Nachfrage anhält.“

Auch Spenden seien ihm angeboten worden, aber das sei ein Missverständnis, sagt Herr Wolf. „Das ist lieb gemeint, aber ich möchte doch einfach nur von meiner Arbeit leben können.“

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