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Frischzellenkur für eine Legende. Aus dem VW T6 wurde der T6.1. Außen änderte sich wenig, aber das Innenleben!

© VW Nutzfahrzeuge

Der neue VW Bulli: Heinzelmännchen an Bord

Der Bulli, einst Lastesel des Wirtschaftswunders und Hippie-Schaukel, wurde in der Version T6.1 mit Assistenzsystemen und Rundum-Digitalisierung aufgerüstet.

Einmal nicht aufgepasst! Unachtsam den Kugelschreiber auf die Sitzbank neben den Fahrersitz gelegt und gestartet, vielleicht zu flott. Aber so ein Stift ist rund, der macht sich dünne, steuert nun zielgenau die Öffnung an, aus dem die Schlösser der Beifahrergurte ragen – schwupp, ist er weg. Also anhalten, Sitzfläche hochklappen – nichts. Selbst einem hochmodernen Wagen wie dem VW T6.1, dem neuen Bulli, sind offenbar noch Abgründe des Fahrzeugbaus eigen, die einen erst mal ratlos lassen. Soll man weitersuchen, Teile demontieren, womöglich etwas kaputt machen an dem doch nur zu Testzwecken erhaltenen Neuwagen? Den Stift verloren geben und einfach vergessen? Aber stört er womöglich die diffizile Technik, blockiert gar Bremsen, Lenkung, was auch immer? Nun, ein Fachmann hat den Stift schnell gefunden, das Problem gelöst, das leicht zu vermeiden gewesen wäre. Denn alle Versionen des ikonenhaften, bis in die vierziger Jahre zurückreichenden Modells verfügten schon über Ablageflächen, und das Upgrade T6.1 sogar noch einige mehr als der Vorgänger T6. In der Multivan-Version wäre ohnehin nichts passiert: Sie hat vorne nur zwei Einzelsitze. Aber der erste Testwagen sollte nun mal nicht die Familienkutsche, sondern der einfacher ausgestattete Handwerkerwagen sein. Also mit Doppelkabine und Pritsche, ganz so wie bei den ersten Bulli-Fahrerlebnissen in den Siebzigern, damals noch im T2. Ein praktisches Fahrzeug, aber eine Tortur. Sitzkomfort? Ein Fremdwort, bei langen Fahrten schmerzte der Nacken. Auch die hohe Ladefläche kam der Ergonomie nicht gerade entgegen, Folge des Heckmotors, der zudem selbst bergab bei 120 km/h notorisch streikte, durch eine perfide Mechanik abgeregelt. Jäher Seitenwind? Bloß nicht!

Als Handwerkerwagen, hier mit Ladefläche, ist der Bulli weiterhin hochbeliebt.
Als Handwerkerwagen, hier mit Ladefläche, ist der Bulli weiterhin hochbeliebt.

© Andreas Conrad

Mit dem ist in den Straßen der Amsterdamer Innenstadt nicht zu rechnen, wo der von Volkswagens Geschäftssparte Nutzfahrzeuge verantwortete Bulli ausprobiert werden konnte. Doch selbst wenn: Serienmäßig verfügt er jetzt über einen Seitenwindassistenten, der ab 80 km/h über das elektronische Stabilisierungsprogramm gegenlenkt – durch individuelles Abbremsen der Räder.

Weniger Kurbelei, mehr Assistenzsysteme

Über bis zu 20 solcher unsichtbaren Heinzelmännchen, die dem durch die vielen neuen Funktionen herausgeforderten Fahrer zur Seite stehen, verfügt der aktuelle Bulli. Viele waren schon im Vorgänger eingebaut, einige sind neu. Denn nun hat man die ehemals hydraulische durch eine elektromechanische Servolenkung ersetzt, die auf die vielen Informationen aus Sensoren und Kameras anspricht. Das hat eine direktere Lenkung, also weniger Kurbelei zur angenehmen Folge und macht eine ganze Reihe neuer Assistenzsysteme möglich.

Reklame mit der Ikone. Auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol versucht ein Shop mit einer T1-Attrappe Käufer anzulocken.
Reklame mit der Ikone. Auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol versucht ein Shop mit einer T1-Attrappe Käufer anzulocken.

© Andreas Conrad

So den „Lane Assist“, der über die Fahrbahnmarkierungen kameragesteuert gegenlenkt und den Fahrer durch Vibrieren des Lenkrads warnt, wenn der Wagen die Spur zu verlassen droht. Auch gibt es nun eine Verkehrszeichenerkennung, ebenfalls per elektronischem Auge, zwei neue Versionen der Rückfahrkamera, einen Ein- und einen Ausparkassistenten, zudem einen fürs Rückwärtsfahren mit Anhänger. Und dem Bulli-Fahrer steht nun auch der optionale, aus dem VW Crafter übernommene Flankenschutz bei. Dessen Ultraschallsensoren helfen beim Rangieren, warnen und bremsen zur Not, falls seitlich von hinten ein Auto, Radfahrer oder Fußgänger naht oder eine Mauer im Wege ist.

Beim Nahen des Radlers steigt der Wagen selbst in die Eisen

War es nun dieser neue elektronische Helfer oder der „Front Assist“ mit Notbremsfunktion, der beim plötzlichen Herannahen eines Radlers von rechts in die Eisen trat? An sich keine kritische Situation, aber für die elektronischen Gehirnwindungen des Bulli, nach dem Transporter nun in der Multivan-Version, offenkundig kritisch genug um einzuschreiten. Auch bei anderer Gelegenheit verwunderte die mitunter übergroße Sensibilität der Sensoren, wenn auf dem Mittelstreifen ein nah am Fahrbahnrand gebautes Mäuerchen auftauchte oder man zügig an einen vor roter Ampel wartenden Wagen heranfuhr und sofort auf dem digitalen Display die Warnung „Fahrweg kontrollieren“ auftauchte. Na, besser zu früh als zu spät. Solch ein schickes „Digital Cockpit“ hatte der zuerst ausprobierte Transporter noch nicht, vielmehr klassische Analoginstrumente – eine aussterbende Gattung. Denn auch beim T6.1, dessen legendärer, eher schlicht konstruierter Urvater T1 der Lastesel des Wirtschaftswunders und später das beliebtestes Transportmittel der Hippies war, geht der Trend hin zur Rundum-Digitalisierung mit allen Finessen der Online-Konnektivität. Optional ist das digitale Cockpit selbst für den schlichten Transporter, dazu serienmäßig in den Topmodellen, mit der „View“-Taste am Multifunktionslenkrad variierbar in zwei Ansichtsmodi.

Schön übersichtlich. Blick ins Innenleben eines Bulli-Multivan.
Schön übersichtlich. Blick ins Innenleben eines Bulli-Multivan.

© VW Nutzfahrzeuge

Ergänzt wird es durch Online-Infotainmentsysteme verschiedener Preis- und Qualitätsklassen, von eher schlicht bis luxuriös, mit dem Topsystem „Discover Pro“, wie es auch im neuen Passat angeboten wird. In Verbindung mit den VW-eigenen Online-Diensten „We Connect“ und „We Connect Plus“ ist der Wagen per Smartphone sogar aus der Ferne zu kontrollieren, lassen sich die Türen öffnen oder schließen, man kann sogar hupen und blinken, um es auf einem unübersichtlichen Parkplatz zu orten, und vieles mehr.
Wenn etwa Sohnemann oder Töchterlein die Spitzengeschwindigkeit des Bullis austesten wollen, ihnen als Führerscheinnovizen aber nur Tempo 100 zugebilligt wurde, sie gar den festgelegten Radius ihres Ausflugs überschreiten – sofern die Funktionen „Geschwindigkeitsbenachrichtigung“ und „Gebietsbenachrichtigung“ per App aktiviert sind, sehen es Papa oder Mama am Smartphone sofort und können den Nachwuchs per Anruf zur Raison rufen. Nur den Wagen vom Rücksitz aus per Handy steuern wie einst James Bond in „Der Morgen stirbt nie“ – das ist beim neuen Bulli weiterhin nicht möglich. Es kommt sicher noch.

Seit dem Produktionsstart des T1 im Jahr 1950 wurden weltweit rund zwölf Millionen Bullis verkauft. Demnächst ist der T6.1 zu haben.
Seit dem Produktionsstart des T1 im Jahr 1950 wurden weltweit rund zwölf Millionen Bullis verkauft. Demnächst ist der T6.1 zu haben.

© VW Nutzfahrzeuge

Bleibt die Frage: Erkennt man den Neuen überhaupt, unterscheidet er sich hinreichend vom Vorgänger? Vorne mehr als hinten. Besonders die Front wurde überarbeitet, der Kühlergrill vergrößert, die Scheinwerfer durch zwei verchromte Querspangen mit ihm verbunden, der Wagen soll so breiter und markanter wirken. Neu gestaltet und angeordnet wurden auch die Plaketten an den vorderen Kotflügeln mit den Namen der jeweiligen Version, also „Transporter“, „Multivan“, „Caravelle“ oder „California“.

Auch ein Elf-PS-Trecker hieß mal Bulli

Für eingefleischte Bulli-Fans gibt es sogar ganz offiziell auf Wunsch eine fünfte: „Bulli“. Das war lange Zeit undenkbar, der Kunstname, zusammengesetzt aus „Bus“ und „Lieferwagen“, schon vergeben und markenrechtlich geschützt. Bulli, so hieß ein 1956 vorgestellter Kleintraktor der Heinrich Lanz AG, Mannheim, ein agrotechnischer Schwächling von gerade mal elf PS, mit sechs handgeschalteten Vorwärts- und zwei Rückwärtsgängen. Der stärkste Bulli wird mit 199 PS und einem geschmeidig schaltenden, beim Kickdown freilich ein wenig verzögert reagierenden Automatikgetriebe angeboten. Es verfügt über sogar sieben Vorwärtsgänge, rückwärts muss es sich mit einem begnügen. Ein neuer Bulli ist eben kein alter Trecker.

Technische Details

Versionen: Der VW T6.1 wird in vier Versionen angeboten: Transporter als Kastenwagen, Kombi, Pritschenwagen (Einzel- oder Doppelkabine); Multivan für Familie und Geschäft; Caravelle für Personenbeförderung (bis zu neun Sitze); California als Reisemobil. Als Kastenwagen ist er ab 22.990 Euro zu haben, als Multivan ab 31.000 Euro. Markteinführung ist Anfang November.

Antrieb: Der frontgetriebene T6.1 wird nur als Diesel mit folgenden 2-Liter-TDI-Motoren angeboten: 90 PS, maximales Drehmoment 220 Nm, Höchstgeschwindigkeit 152 km/h; 110 PS, 250 Nm, 164 km/h; 150 PS, 340 Nm, 183 km/h; 199 PS, Bi-Turbomotor, 450 Nm, 201 km/h. Alle Motoren erfüllen die seit 1. September für Neuzulassungen vorgeschriebene Abgasnorm Euro 6d Temp-EAVP. Optional wird Allradantrieb angeboten.

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