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Für den Prototyp des Audi RS e-tron GT wurden sogar eigene Tarnfolien entworfen.

© Andreas Conrad

Der neue Elektroflitzer Audi RS e-tron GT: Flugplatzrennen mit Erlkönig

Als einer der ersten durfte Actionheld Iron Man Audis "Speerspitze der E-Offensive" testen. Jetzt ist der Wagen serienreif.

Eine Viertelmeile geradeaus fahren, das sollte zu schaffen sein, selbst bei irrwitzigem Tempo. Am Ende müsste man nicht mal scharf bremsen, könnte den Wagen einfach ausrollen lassen, so eine Flugplatzpiste ist lang genug. Aber die Umstände sind doch recht speziell, eine gewisse Nervosität scheint da verzeihlich. Ende Oktober ist es abends um neun auch auf Rhodos stockfinster, ein wie verlassen daliegender Militärflugplatz wirkt da schon ein wenig gruselig, zumal rote Leuchten die vor dem Wagen liegende Rennstrecke markieren, als erwarte uns hier eine unheimliche Begegnung der dritten Art. Auch die Startampel zeigt noch auf Rot, aber nicht mehr lange. Letzte Anweisungen vom bereitstehenden Instrukteur, beide Füße fest auf die Pedale, was schon ziemlich schräg ist, quasi Vollbremsung und Vollgas zugleich, bis laut digitaler Anzeige die maximale Energie zu Verfügung steht – da plötzlich Grün – Bremsen los und ab.

Mit Karacho durch Lichttor: der RS e-tron GT auf dem Show-Parcours
Mit Karacho durch Lichttor: der RS e-tron GT auf dem Show-Parcours

© Audi AG

Mit einem irren Satz schießt der Audi RS e-tron GT nach vorn, seine beiden E-Motoren laufen sofort auf Hochtouren, pressen den Körper mit ihren maximal 646 PS in den Sitz. Immer schneller jagen die roten Lichter vorbei, Tempo, Tempo, schon ist die 100-km/h-Mauer durchbrochen, klettert, nein, springt die Anzeige den 200 km/h entgegen, da zischt die Ziellinie bereits vorbei, man darf sich entspannen. 12,19 Sekunden für exakt 402,34 Meter – ist doch gar nicht so schlecht, wenngleich der Tagesspiegel an diesem Abend unter den Kollegen der langsamste Teilnehmer bleibt und sich gegen die 11,67 Sekunden des Siegers Lucas di Grassi sowieso wie eine lahme Ente ausnimmt. Aber der eigens eingeflogene Brasilianer ist schließlich Profi, erfolgreicher Elektro-Pilot vom Team Audi Sport ABT Schaeffler und sogar Champion der Formel-E-Saison 2016/17.

Tempo dank Elektro hat in Tempelhof Tradition

Spürt man im Internet der Tradition der Flugplatzrennen nach, so trifft man in der Regel auf die leicht angerostete Welt der Oldtimer, der gern auch aufgemotzten, meist von Amateuren pilotierten und ausnahmslos mittels fossiler Kraftstoffe angetriebenen PS-Klassiker. Na gut, auch die schon wiederholt, zuletzt im August, in Berlin-Tempelhof ausgetragene Formel-E-Wettfahrt ist genau genommen ein Flugplatzrennen, aber nicht länger im Zeichen der automobilen Tradition, sondern des technologischen Fortschritts.

Der RS e-tron GT, noch ein Prototyp, ist ab Anfang 2021 zu haben.
Der RS e-tron GT, noch ein Prototyp, ist ab Anfang 2021 zu haben.

© Andreas Conrad

Da lag Audi Sport mit seiner Wahl des Ortes zur ersten Präsentation des RS e-tron GT also ganz richtig. Zumal solch ein Flugplatz ja nicht nur eine schnurgerade Rollbahn zum Beschleunigungstest bietet, wie er nicht mal auf kurvenreichen Rennpisten, schon gar nicht auf öffentlichen Straßen möglich und dort erst recht nicht ratsam wäre.

Achterbahnfahrt im Höllentempo

Er verfügt auch über reichlich Platz, um auf einer dramatisch illuminierten Show-Strecke die fast rennwagengleiche Wendigkeit und Kurvenstabilität des RS e-tron GT zu präsentieren, mit Lucas di Grassi hinterm Lenkrad und der versammelten Presse nacheinander auf dem Beifahrersitz. Eine Achterbahnfahrt im Höllentempo, nur eben in der Horizontalen, mit James-Bond-reifen Schleuderkehren, Zickzack-Jagd durch einen engen Hindernisparcours und finalem Durchstoßen einer bunt leuchtenden Nebelwand. Schon imponierend.

Geballte Kraft. Der RS e-tron GT wäre auch mit normaler Lackierung ein Hingucker.
Geballte Kraft. Der RS e-tron GT wäre auch mit normaler Lackierung ein Hingucker.

© Andreas Conrad

Noch ist der präsentierte RS e-tron GT ein Prototyp, doch für Julius Seebach, Geschäftsführer von Audi Sport, bereits die „sportliche und technologische Speerspitze der E-Offensive von Audi“ und „unser erstes voll elektrisches High-Performance-Modell“. Zu kaufen gibt es ihn noch nicht, die Serienproduktion in den Böllinger Höfen in Neckarsulm beginnt erst in wenigen Wochen, in den Handel kommt er Anfang nächsten Jahres. Noch bleibt die sich vor dem Fahrer ausbreitende, sicher stattliche Batterie der Bordinstrumente und Displays weitgehend abgedeckt, gibt es davon selbstverständlich auch keine Werkfotos. Zudem wird der Wagen zwar nicht mehr in der üblichen, die Augen verwirrenden Tarnung des Erlkönigs vorgestellt, doch immerhin mit aufgeklebten, eigens designten, die dahinter verborgene Hochtechnologie suggerierenden Folien, die die Formen des Wagens freilich eher betonen als verbergen.

"Das Auto macht Spaß", meint Formel-E-Pilot Lucas di Grassi. Da hat er recht.
"Das Auto macht Spaß", meint Formel-E-Pilot Lucas di Grassi. Da hat er recht.

© Audi AG

Es handelt sich also, wenn man so will, um einen Edel-Erlkönig, der, kaum entworfen, schon den ersten prominenten Besitzer gefunden hat: Raste Robert Downey Jr., als „Iron Man“ Tony Stark früher noch im Supersportwagen R8, Audis schnellstem Verbrenner, mit seinen Gegnern um die Wette, so war er 2019 im Actionfilm „Avengers: Endgame“ auf den e-tron GT umgestiegen. Der befand sich damals noch in der Concept-Phase und musste auf Hollywoods Wunsch ohnehin wie ein PS-starker Benziner klingen – die Illusionsindustrie hat eben andere Bedürfnisse als ihr automobiles Gegenstück.

Der E-Sound wurde extra komponiert

Wobei nun auch der originale E-Sound des als Edel-Erlkönig schon sehr seriennahen RS e-tron GT eigentlich eine Illusion ist, wenn auch eine das Ohr überaus überzeugende. Das hätte sich Carl Benz vor 135 Jahren beim Zusammenschrauben seines Patent-Motorwagens Nummer 1 sicher nie gedacht, dass zum Automobilbau einmal auch das Komponieren gehören würde. Aus 32 Klängen haben Audis Tonsetzer den E-Sound kreiert, beschreiben ihn nun selbst als „souverän“, ein Qualitätsmerkmal, das so eine E-Rakete in sehr unterschiedlicher Weise erfüllen muss, je nachdem, ob der Fahrmodus für ökologisch verantwortungsvolles Dahingleiten oder für sportive Kurvenjagd gewählt wurde.

Im Rudel auf Rhodos. Diese Prototypen des Audi RS e-tron GT sind schon sehr seriennah.
Im Rudel auf Rhodos. Diese Prototypen des Audi RS e-tron GT sind schon sehr seriennah.

© Andreas Conrad

Wobei unter den Fahrern nur der die Klangkulisse in voller Breite genießen kann, der das optionale Soundpaket geordert hat: Neben dem bis 60 km/h gesetzlich vorgeschriebenen, beim RS e-tron GT aber schon aufgemöbelten Warn-Sound aus dem vorderen Außenlautsprecher surrt und röhrt es zusätzlich aus einem Pendant am Heck und zwei Innenlautsprechern, sozusagen in quattro-Phonie.
Klar, dass die Testwagen über all diese HiFi-Finessen verfügen, aber die stehen dann doch im Hintergrund, als am nächsten Morgen die eigentlichen Probefahrten quer über die Insel beginnen. Vorneweg Audis schneller Elektro-SUV e-tron S Sportback als Tempogeber, dahinter fünf RS e-tron GT in Kolonne. Was einem Alltagsfahrer, solcher automobilen Kraftprotze ungewohnt, schon mal die Sorge nimmt, er könne sich in einer Haarnadelkurve beim Tempo vertun. Denn was so ein dicker SUV mit logischerweise höherem Schwerpunkt schafft, gelingt einem flachen Flitzer wie dem RS e-tron GT allemal.

Ob sich einige Käufer ihren RS e-tron GT wohl auch mit Tarnfolien und rotem Zierrat wünschen? Gut möglich.
Ob sich einige Käufer ihren RS e-tron GT wohl auch mit Tarnfolien und rotem Zierrat wünschen? Gut möglich.

© Andreas Conrad

Und wirklich, schon in der ersten mit Schwung genommenen Kurve zeigt sich: „Das Auto macht Spaß“, wie Lucas di Grassi nach seiner ersten Fahrt gelobt haben soll. Und ohne selbst darin Erfahrung zu haben, glaubt man ihm sofort, dass es „viele Parallelen“ zum Rennwagen gebe, „besonders die starke Beschleunigung, die wie bei uns lange Zeit voll zur Verfügung steht“. Und dann erst „der Grip und die Präzision, mit der das Auto um die Ecken geht“, dazu sein Bremsverhalten, „sehr gut – stark und exakt dosierbar“.

Ein Gran Turismo ist ebenso sportlich wie alltagstauglich

Was das Auto von einem Rennwagen aber doch unterscheidet: Es ist ein GT, ein Gran Turismo, ein Kürzel, das sich für ebenso hoch motorisierte und sportliche wie bequeme und alltagstaugliche, auch für Langstrecken geeignete Fahrzeuge eingebürgert hat. Wobei die über 90 kWh starke Lithium-Ionen-Batterie mit über 400 Kilometern Reichweite schon für ziemlich lange Strecken taugt. Und wenn der Saft dann doch zur Neige geht, gibt der e-tron-Routenplaner Tipps, wo man laden kann. Der Wagen temperiert sogar rechtzeitig vor Erreichen der ausgewählten Säule die Batterie auf die zur Stromaufnahme idealen Grade vor. Ohnehin, das Thermomanagement: ein hochkompliziertes System aus vier Kühl- und Heizkreisläufen, damit es die beiden Elektromotoren, einer vorne, einer hinten, die durch den steten Wechsel zwischen Volllast und Rekuperation arg geforderte Batterie und nicht zuletzt die Insassen immer schön auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten temperiert haben – eines der technischen Details, die man bei der knapp zweistündigen Proberunde, von Einheimischen und Touristen am Straßenrand bestaunt, vom Audi-Beifahrer erfährt.

Wusch und weg. Ein Erlkönig in Aktion.
Wusch und weg. Ein Erlkönig in Aktion.

© Audi AG

Klar, dass der RS e-tron GT quattro-Antrieb hat, dass die Drehmomente präzise Rad für Rad nach den jeweiligen situativen Erfordernissen verteilt werden und auch Allradlenkung zum Angebot gehört, zwecks Steigerung von Dynamik und Stabilität. Ohnehin können die Kunden alle heute verfügbaren „State-of-the-Art-Technologien“ bekommen, wie Dennis Schmitz, einer der GT-Entwickler, verspricht. Dreikammer-Luftfedern etwa samt geregelter Dämpfer, Bremsscheiben aus Kohlefaser-Keramik statt der serienmäßigen aus Stahl oder wuchtige 21-Zoll-Räder. Und dann noch das ganze unter den schwarzen Abdeckungen des Erlkönigs verborgene Hightech-Interieur.

Schlag nach bei Goethe

Aber wieso eigentlich Erlkönig? In der berühmten Ballade geht es bekanntlich – „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ – nur um ein einziges PS, nicht um weit über 600 wie beim RS e-tron GT. Die Anleihe bei Goethe verdankt die Autoindustrie den beiden Motorjournalisten Heinz-Ulrich Wieselmann und Werner Oswald, die Anfang der fünfziger Jahre in der Zeitschrift „auto motor und sport“ Fotos von Prototypen im Stile des Dichterfürsten betexteten und als Titelzeile kurzerhand „Erlkönig“ darüber setzten. Ihr erstes parodistisches Poem war dem Mercedes-Benz 180 gewidmet: „Wer fährt da so rasch durch Regen und Wind? Ist es ein Straßenkreuzer von drüben, der nur im Umfang zurückgeblieben, oder gar Daimlers jüngstes Kind?“ Für den RS e-tron GT müsste man Goethe kaum umdichten: „Wer stromert so rasch durch Nacht und Wind? Es ist nur Audis jüngstes Kind.“

Technische Details
(Werte sind nicht final freigegeben, der Homologisierungsprozess läuft noch)

Abmessungen: 4,99 m (L), 1,95 m (B), 1,40 m (H), 2,89 m (Radstand)

Antrieb: zwei Elektromotoren, 598 PS/im Overboost 646 PS, max. Drehmoment 830 Nm, Höchstgeschwindigkeit 250 km/h, von 0 auf 100 in weniger als 3,5 Sekunden

Batterie: 93,4 kWh brutto/ 83,7 kWh netto, Reichweite über 400 Kilometer

Preis: ab etwa 138.000 Euro (Verkaufsbeginn Anfang 2021)

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