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Christoph Reuter studierte Komposition und Jazzklavier in Berlin und Leipzig, bevor er auf der Kabarettbühne landete.

© Catrin Reuter

Der Käse hört mit: Ein Berliner Kabarettist auf schriftstellerischen Abwegen

Der Weiße Hai bevorzugt Death Metal, Kühe dagegen Vivaldi – in seinem Buch spaziert Christoph Reuter humorvoll durch die Musikwelt.

Wie so vieles beginnt auch manche Musik mit einem leeren Blatt Papier. Die Komponistin sitzt am Schreibpult, den Bleistift gespitzt, das Gewicht von Jahrhunderten des Genietums lastet auf ihren Schultern. Sie weiß, dass schon die ersten Noten, die sie gleich setzen wird, über die Qualität des ganzen Werkes entscheiden können. Wenn alles gut geht, wird sie später bei der Uraufführung hofiert und als Maestra getitelt. Oder aber vom Publikum verschmäht, von der Kritik verrissen.

Für den Musiker und Kabarettisten Christoph Reuter ein Schreckensbild. „Früher“, sagt er, „wurde jedem Kind vorgesungen – und dem Kind war es schon immer völlig egal, ob die Darbietung gut war oder nicht. Es ist erwiesen, dass Kinder einfach besser einschlafen, wenn ihnen vorgesungen wird.“

Reuter hat gerade ein komödiantisches Sachbuch mit dem Titel „Alle sind musikalisch – außer manche“ (Heyne Verlag, 368 Seiten, 20 Euro) geschrieben, das einem ausgiebigen Spaziergang durch die Welt der Musik gleichkommt, dabei aber auch Kapitel zu Curry, Wein oder Katzenmusik enthält und sich auf die Fahnen schreibt, dem Musikmachen wieder dort einen Platz zu sichern, wo es seiner Meinung nach hingehört: bei den Menschen.

„Wir haben in unserer Leistungsgesellschaft gelernt, Musik wettbewerbsorientiert zu denken und trauen uns gar nicht mehr, einfach drauflos zu singen. Damit geht aber etwas verloren“, sagt er. Musik gehöre, holt er aufgeregt aus, schon immer zu Zeremonien und Ritualen, Liedtexte seien Bestandteil der mündlichen Überlieferung. Musik schaffe Bindungen zwischen Menschen, Gruppen, Regionen, individuellen Erfahrungen und Gefühlen, die durch sie nachempfindbar würden.

„Wir trauen uns gar nicht mehr, zu singen“

Musik sei Antidepressivum und Lebenselixier, jeder Mensch habe einen Soundtrack seines Lebens. Selbst das Tierreich sei voller Musik, man denke nur an die Singvögel oder Wale, denen Musik essenziell für das Fortpflanzungsverhalten ist. Oder an Pflanzen, die positiv auf Beethoven reagierten. „Wäre die Musik eine Nebensache, hätte die pragmatische Evolution sie doch als erste ad acta gelegt“, meint der Autor.

Deshalb dürfe das Musikmachen auch nicht in intellektuellen Elfenbeintürmen verschwinden oder nur den Virtuosen und Begnadeten vorbehalten sein. Jeder Mensch sei musikalisch, das will er mit seinem Buch einmal klarstellen und damit dazu beitragen, dass Musik nicht nur konsumiert oder zur Hintergrundberieselung laufen gelassen, sondern aktiv gemacht wird, hemmungslos und selbstverständlich. Vermitteln will er das auf möglichst unterhaltsame Weise, man könne schließlich nicht Niederschwelligkeit predigen und dabei selbst einen unverständlichen, theoretischen Wälzer abliefern.

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Wie ein kabarettistischer Auftritt strotzt das Buch daher vor kurzlebigen Fun Facts, die man sich ohne es mühsam zusammensuchen müsste. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass der Weiße Hai einer Studie zufolge kurioserweise ausgerechnet Death Metal besonders gern hört? Kühe dagegen bevorzugen Vivaldi, was sich daran zeige, dass ihre Milchproduktion in barocker Begleitung im Schnitt um drei Prozent steige.

Solche und viele andere Details hat der Autor überwiegend durch Interviews mit Expert:innen, etwa Neurowissenschaftler:innen, Biolog:innen und Kulturtheoretiker:innen eingeholt. Das verleiht dem Buch, statt der Tiefe eines einzigen theoretischen Loches, eher einen weiten Horizont und macht es nicht nur für Musikliebhaber:innen interessant.

Wer sich weniger für Musik als beispielsweise für Käse interessiert, kann das Milchprodukt hier einmal von der Musik her denken. Das klingt abstrakter, als es ist: Eine Schweizer Forschergruppe soll einige Emmentaler-Laibe jeweils sieben Monate lang mit verschiedenen Musikstilen beschallt haben – nämlich mit Mozart, Led Zeppelin und Eminem –, um herauszufinden, ob die Mikroorganismen, die den Käse machen, sich als ähnliche Musikästheten entpuppen würden wie Kühe, Haie oder Zimmerpflanzen und welche Musik der Käse am liebsten höre.

Ohne hier zu viel zu verraten, lautet das Ergebnis der Geschmackstester:innen: Käse hört eindeutig mit. Vielleicht sollten wir beim Frühstück in Zukunft also etwas besser auf unsere Ausdrucksweise achten.

Das Kabarettprinzip: Untergehen mit Freude

Reuter, Jahrgang 1977, kennt sich mit Musik aus. Nachdem er in Berlin und Leipzig Komposition und Jazzklavier studiert hatte, erzählt er, habe er sich jahrelang als Solopianist und Begleiter verdingt, Bühnenmusiken geschrieben und sei irgendwann, auch zunächst als Musiker, beim Kabarett gelandet. So wurde er etwa zum langjährigen Sidekick am Klavier für Eckart von Hirschhausen.

Dass auch Reuter selbst eines Tages als Kabarettist auf der Bühne stand, habe er einer Wette zu verdanken, bei der ihn ein Freund herausforderte, selbst einmal etwas Witziges darzubieten. Das habe wunderbar geklappt und mit dem Kabarett-Motto „Untergehen mit Freude“ habe er sich auf Anhieb anfreunden können – gerade für einen studierten, auf Perfektion getrimmten Musiker kann eine positive Einstellung zum Scheitern etwas Befreiendes haben.

„Perfektion gibt es nicht“, heißt folglich auch ein Kapitel seines Buches. Es folgten Auftritte auf Berliner Kabarettbühnen, vor allem bei den Wühlmäusen, den Stachelschweinen und in der Scheinbar, die für Berlin so etwas wie das Testlabor der Komik sei: „Wer gerade an seinem Fernseh- oder Tourprogramm arbeitet, kann hier jeden Gag auf Herz und Nieren erproben“, attestiert Reuter dem Lokal.

Sein Sujet, auch beim Kabarett, war von Anfang an die Musik – wie sollte es auch anders sein? Nach 15 Jahren der kabarettistischen Vermittlung von Musik habe ihn schließlich ein Literaturagent gefragt, ob er sein Programm nicht in Buchform fassen wolle. Wäre Corona nicht gewesen, hätte er vielleicht gar nicht die Zeit dazu gefunden, sagt Reuter.

Wie um zu beweisen, dass Musik weit mehr kann als bloß zu unterhalten, erklärt er, dass auch das Buchschreiben ein wenig wie Musikmachen sei. „Man beginnt bei einem weißen Blatt Papier wie beim Komponieren, schreibt ein Exposé, entwirft die grobe Form. Und wenn man das Gefühl hat, 80 Prozent fertig zu haben, stellt man bald fest, dass man in Wahrheit gerade erst angefangen hat.“

Kabarett in Buchform – geht das überhaupt?

Als schwieriger als gedacht habe sich die Übertragung der Bühnenshows auf das Buch gestaltet, erzählt er, sodass am Ende der Großteil des Buches extra recherchiert werden musste. „Der größte Teil dessen, was auf der Bühne funktioniert, hat im Buch überhaupt keine Chance, weil der Kontext fehlt.

Dabei habe ich überhaupt erstmals bemerkt, wie groß der performative Anteil auf der Bühne eigentlich ist, wie wichtig Mimik und Gestik. Manchmal muss man, um einen Gag zu entfalten, einfach einige Sekunden lang still sein. Den Leser kann man aber schlecht bitten, kurz nicht weiterzulesen.“

Wie gut die Gags auf dem Papier funktionieren, muss jede:r Leser:in selbst entscheiden. Eine Spur Altherrenhumor, der auf der Kabarettbühne funktionieren mag, weil ein Mann zu sehen ist, der persönliche Geschichten erzählt, können im Buch unzeitgemäß und auf manche Leser:in befremdlich wirken.

Davon abgesehen erhält, wer sich sehr für Musik und die Welt um sie herum interessiert, einiges an Gesprächsstoff für gesellige Brunch-Runden mit Käseplatte, die eines Tages wieder möglich sein werden. Vielleicht fühlt sich ja sogar jemand beim Anblick des Emmentalers zu einem spontanen Ständchen berufen.

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