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Um das Chaos am Lageso in den Griff zu bekommen, engagierte der Senat die Beratungsfirma McKinsey – und somit auch Lutz Diwell. Er sollte ein Konzept entwickeln, wie die Flüchtlinge in Berlin integriert werden können.

© Britta Pedersen/dpa

Der „Fall Diwell“: Ehemaliger Staatssekretär profitiert von McKinsey-Deal

Angeblich ehrenamtlich beriet Lutz Diwell den Regierenden in Flüchtlingsfragen. Tatsächlich arbeitet der ehemalige Staatssekretär gegen Bezahlung, gemeinsam mit McKinsey, am Masterplan zur Integration.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der 64-jährige Jurist Lutz Diwell gilt als völlig unbescholtener, wenn auch streitbarer und querköpfiger Sozialdemokrat der alten Schule. Der gebürtige Berliner wurde nach dem Studium in Tübingen zunächst Staatsanwalt, 1994 Abteilungsleiter unter der Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach. 2001 ernannte ihn Innensenator Ehrhart Körting zum Staatssekretär, schon zwei Jahre später wechselte Diwell in gleicher Funktion ins Bundesinnenministerium.

Seine politische Karriere beendete der SPD-Mann 2009 im Bundesjustizministerium, seitdem ist er Rechtsanwalt in der renommierten Kanzlei Schellenberg am Kurfürstendamm und arbeitete auch als Berater für „Roland Berger Strategy Consultants“. Ehefrau Margret Diwell, ebenfalls Rechtsanwältin mit SPD-Parteibuch, war bis 2011 Präsidentin des Berliner Verfassungsgerichts. Angesichts dieser Lebensumstände fragen sich jetzt in Berlin nicht nur Politiker der Opposition, warum ein so anerkannter und profilierter Jurist kurz vor Erreichen der Pensionsgrenze es nötig hat, über merkwürdige Umwege an Geld zu kommen.

Ehrenamtlicher Flüchtlingsberater

Es geht um einen Honorarvertrag in Höhe von 238 000 Euro für die Beratung des Senats, der im Januar dieses Jahres beschloss, binnen zwei Monaten einen Masterplan zur Integration der Flüchtlinge zu erarbeiten. Ein Vertrag, der mit der Beratungsfirma McKinsey abgeschlossen wurde, die auf diesem Gebiet einschlägige Erfahrungen und Qualifikationen vorweisen konnte. Wegen des „Handlungsdrucks“ ohne öffentliche Ausschreibung. Politisch war das diskussionswürdig und wurde auch kritisch debattiert, aber rechtlich war es schwer angreifbar. Verantwortlich für die freihändige Vergabe war der Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning (SPD). Scheinbar unabhängig davon arbeitete Diwell für den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) ehrenamtlich als Berater für Flüchtlingsfragen.

Was bisher aber nicht öffentlich dargelegt wurde: Diwell sollte schon im Herbst 2015 Beauftragter des Senats für das Flüchtlingsmanagement werden. Wie man hört, für 3600 Euro pro 24-Stunden-Woche, mit geräumigem Büro, Dienstwagen plus Fahrer und vier Mitarbeitern. Doch die Vertragsverhandlungen scheiterten im September an den Forderungen Diwells, stattdessen wurde der Ex-Polizeipräsident Dieter Glietsch vom Senat zum Flüchtlings-Staatssekretär ernannt. Diwell blieb trotzdem Berater für den Regierungschef und Parteifreund Müller, angeblich ohne Salär.

Wenig Empörung im Senat

Aber nun ist es raus. Der angeblich so selbstlose Jurist arbeitete, ganz diskret und gegen Bezahlung, für den Senatskunden McKinsey. Der spezielle Auftrag: die Erarbeitung des Integrations-Masterplans, den die Senatskanzlei dringend brauchte und der am Dienstag vom Senat beschlossen wurde. McKinsey bestätigte auf Anfrage des Tagesspiegel, dass „Herr Diwell als External Advisor für uns in dem Masterplan-Projekt involviert ist“. Es stimme aber nicht, dass das gesamte Honorar an ihn fließen würde.

Die Opposition äußerte sich zu dem Vorgang bisher nur verhalten empört. Grüne und/oder Linke wollen nach der Berliner Wahl am 18. September mitregieren und sich mit dem Koalitionspartner in spe nicht allzu sehr anlegen. Dem Noch-Regierungspartner CDU ging es am Mittwoch nicht anders als den Oppositionsfraktionen. Sie fragte intern nach bei den Genossen, was es mit dem „Fall Diwell“ auf sich habe, aber es gab keine befriedigenden Antworten.

Also stellten sich die Christdemokraten quer. Sämtliche Flüchtlingsthemen, einschließlich des McKinsey-Vertrags, wurden am Mittwoch kurzfristig von der Tagesordnung des parlamentarischen Hauptausschusses genommen. Schriftlich und ohne jede Begründung, die Haushälter von SPD und CDU ließen die sanfte Kritik der Opposition im Ausschuss schweigend über sich ergehen. Das passiert sonst nie.

Erst im Mai, weit nach der Osterpause, sollen die – eigentlich ja sehr dringlichen – Flüchtlingsthemen wieder aufgerufen werden. Ganz nebenbei wurden noch weitere wichtige Themen vertagt. Etwa die Finanzierung der Bäderbetriebe, des Tierparks in Friedrichsfelde und des Karnevals der Kulturen.

Was macht noch mal McKinsey?

DIE FIRMA

McKinsey ist eine 1926 in New York gegründete Unternehmensberatung mit 9500 Beratern in 52 Ländern. In Deutschland begann McKinsey 1964, nun sind 1300 Männer und Frauen für die Firma tätig. Die Zentrale befindet sich in Düsseldorf. McKinsey wird – grob vereinfacht – beauftragt, wenn Unternehmen und Institutionen effizienter arbeiten, ihre Abläufe also verschlanken wollen. Der Arbeitsdruck in den Einrichtungen, die beraten wurden, kann sich dann erhöhen.

DER SENAT

Aktuell soll die Firma analysieren, wie die diversen Berliner Ämter, die alle mit der Flüchtlingskrise befasst sind, besser zusammenarbeiten können. Tatsächlich hatte es – zusätzlich zu den vielen Asylbewerbern – offenbar Pannen gegeben, weil sich Beamte nicht zuständig fühlten. McKinsey wird nun auch vorgeworfen, mit wenig hilfreichen Hinweisen Geld verdient zu haben. Das Ergebnis des Masterplans sei mager, teilt die Linke mit, es erkläre die externe Vergabe an McKinsey nicht.

DER HINTERGRUND

Oft wurde kritisiert, dass nach McKinsey-Analysen auch Entlassungen empfohlen worden seien. McKinsey ist gut vernetzt und hat kürzlich die schwedische Regierung beraten. Vor drei Jahren hat die Firma übrigens mit Blick auf Berliner Start-ups die Defizite der Hauptstadt zu analysieren versucht. Es fehle an Kapital für Wagemutige, an internationalen Investoren, an ehrgeizigen Absolventen – kurz: Berlin brauche Nachhilfe, wenn es sich als Gründer-Hotspot etablieren wolle. (hah)

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