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Tuch des Anstoßes. Gegen religiöse Symbole im Dienst fährt das Bezirksamt Neukölln „eine klare Linie“. Bewerberin Betül Ulusoy will das nicht hinnehmen.

© Anna Agliardi

Der Fall Betül Ulusoy: Kopftuchstreit in Neukölln wird zum Politikum

Diskriminiert das Bezirksamt Neukölln Frauen mit Kopftuch? Der Fall einer jungen muslimischen Juristin bringt die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) in Bedrängnis.

Ihre Empörung hat Betül Ulusoy zuerst auf Twitter öffentlich gemacht und ihre Verbitterung hinter einer großen Portion Sarkasmus verborgen. „Juristin und Kopftuch? Im Bezirksamt Neukölln ist das problematisch. Aber hey, sie kämpfen sicher nur für meine Befreiung.“

Neuköllns Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), politische Ziehtochter von Heinz Buschkowsky, der das sogenannte Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgericht offen als „Katastrophe“ bezeichnete, findet die Vorbehalte gegen die junge Juristin wichtig, über die der Tagesspiegel berichtet hatte. Sie fühle sich dem „Neutralitätsgesetz des Landes Berlin verbunden“ und gibt offen zu, sie habe vor zwei Jahren eine Praktikantin mit Kopftuch abgelehnt. „Bisher sind wir eine klare Linie gefahren“, sagt sie.

Zwar habe Ulusoy noch keine Absage erhalten, ihre Einsatzmöglichkeiten und Einsatzorte als Rechtsreferendarin im Bezirksamt Neukölln bedürften aber einer Prüfung. In der nächsten Bezirksamtssitzung steht der Fall auf der Tagesordnung. Auf Twitter bekam Giffey Unterstützung von dem Neuköllner SPD-Bezirksverordneten Marco Preuß: „Wer den Staat repräsentiert, sollte dabei keine religiösen Symbole tragen – auch kein Kruzifix.“

In anderen Bezirken sieht man das freilich anders und so könnte das Kopftuch auch innerhalb der SPD zum Streitthema werden. Auf Anfrage ließ Pankows Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) verlauten: „Neukölln ist nicht überall“ – und meint damit wohl, was auch die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne), über die Sache denkt: „Kopftuchtragen ist kein Ausschlusskriterium. Kann es nach dem Antidiskriminierungsgesetz auch nicht sein.“

Hakan Tas, für die Linke im Abgeordnetenhaus, formuliert es drastischer: „Das Bezirksamt Neukölln diskriminiert Frauen mit Kopftuch.“ Und der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) spricht von einem „gravierenden Rechtsbruch“. Das Verhalten des Bezirksamts widerspreche eindeutig der Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts, sagte TBB-Sprecherin Ayse Demir.

Das Verbot gilt nur bei hoheitlichen Aufgaben

Nach dem Berliner Neutralitätsgesetz dürfen Beamtinnen keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt jedoch nur für solche, die im Bereich der Rechtspflege, des Justizvollzugs oder der Polizei beschäftigt sind, sowie für Lehrerinnen und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag an öffentlichen Schulen. Für Beamtinnen in der Ausbildung oder Rechtsreferandarinnen können zudem Ausnahmen zugelassen werden. Ohnehin gilt das Verbot im Bereich der Rechtspflege nur, soweit es um hoheitliche Aufgaben geht.

Juristinnen im Vorbereitungsdienst, die auf ihrem Kopftuch bestehen, dürfen deshalb bei Gerichtsprozessen nicht als Anklagevertreter erscheinen und lassen sich deshalb regelmäßig von dieser Dienspflicht befreien. Praktika oder anderen Beschäftigungen in Bezirksämtern steht das Kopftuch grundsätzlich nicht entgegen. Zudem prüft die Senatsinnenverwaltung derzeit, ob die strikten Regelungen nach dem jüngsten Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts beibehalten werden können. Die Prüfung sei auch noch nicht abgeschlossen, teilte die Behörde am Freitag mit. Die Karlsruher Richter hatten den generellen Kopftuch-Ausschluss für Lehrerinnen für unverhältnismäßig erklärt.

"Beim Kopftuch gibt es keinerlei Unrechtsbewusstsein"

Die Wirkung des Berliner Gesetzes wie auch anderer Landesgesetze ging allerdings auch bisher schon weit über den öffentlichen Dienst hinaus, für den es formuliert wurde, sagt die Juristin Eva Maria Andrades vom Antidiskriminierungsnetzwerk des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg. Sie berät seit langem Diskriminierungsopfer. Vor drei Jahren unterstützte das Netzwerk eine junge Berlinerin, der ein Zahnarzt wegen ihres Kopftuchs die Ausbildung zur Arzthelferin verweigert hatte.

„Anders als bei anderen Diskriminierungen gibt es für das Kopftuch keinerlei Unrechtsbewusstsein, wer diskriminiert, sagt ganz offen, dass es ums Kopftuch geht“, sagt Andrades, die das für eine Auswirkung des Neutralitätsgesetzes hält. „Die Leute fühlen sich dadurch sicher: Wenn der Staat das Kopftuch verbannt, dann darf ich das auch.“ In der Beratungspraxis des Netzwerks war das Kopftuch 2013 als Diskriminierungsgrund der drittgrößte Posten nach Hautfarbe und Sprache. Auch 2014, sagt Andrades, wurden ihr 31 Fälle bekannt: „Das ist seit Jahren ein gleichbleibend wichtiges Thema.“

Lesen Sie hier die ausführliche Geschichte zu Betül Ulusoy, die auf der Dritten Seite des Tagesspiegels erschien.

Unser Redakteur Sidney Gennies kommentiert: "Rückständig ist nur das Bezirksamt."

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