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Am S-Bahnhof Treptower Park: Deniz Yücel.

© Doris Spiekermann-Klaas

Deniz Yücel im Checkpoint-Interview: „Das ist eine Popularität, die ich mir nicht ausgesucht habe“

Wie war es, nach der türkischen Haft in Berlin anzukommen – und wie steht es um die Pressefreiheit? Ein Gespräch mit dem Journalisten Deniz Yücel.

Herr Yücel, unsere Gäste dürfen entscheiden, an welcher Station wir einsteigen. Sie haben den Treptower Park gewählt.
Ich hatte heute Vormittag hier in der Gegend zu tun, deshalb war das Zufall. Aber ich habe gerade zwei Touristen auf dem Bahnsteig getroffen und gleich mal das sowjetische Ehrenmal empfohlen, das finde ich sehr beeindruckend. Und die Insel der Jugend! Das sind gute Tipps für Berlin-Reisende, die nicht zum ersten Mal in der Stadt sind und Kreuzberg, das Brandenburger Tor und das Pergamonmuseum schon gesehen haben.

Die beiden Touristen haben Sie erkannt und wollten ein Foto. Passiert das öfter?
In den vergangenen Wochen ist es wieder mehr geworden, weil durch das Urteil in der Türkei mein Name und Gesicht in der Zeitung waren. Das ist eine Form von Popularität, die ich mir nicht ausgesucht habe. Wenn ich irgendwann nicht mehr auf der Straße angesprochen werde, bedauere ich das nicht.

Knapp zweieinhalb Jahre ist es her, dass Sie nach 367 Tagen aus dem türkischen Gefängnis Silivri entlassen wurden. Sind Sie wieder im Berliner Alltag angekommen?
Es hat eine Weile gedauert. Nach der Entlassung sind meine Frau Dilek und ich für ein Jahr nach Italien. Sie hatte mir während meiner Zeit im Gefängnis geschrieben, dass wir nach meiner Freilassung irgendwo hinsollten, wo unsere Füße die Erde berühren, und als ich im Knast saß, zwischen Beton und Stacheldraht, hat sich dieses Bild eingebrannt. Der Ort, an dem wir das gefunden haben, war in Sizilien, in der Nähe des Ätnas. Wir haben da ein kleines Haus gemietet, ein verfallener sizilianischer Palazzo. Nach einem Jahr sind wir zurück nach Berlin. Hier haben wir dann unsere Hochzeitsfeier, die damals im Knast nicht so groß ausgefallen ist, nachgeholt.

Sie haben im Gefängnis auch deshalb geheiratet, weil Dilek dadurch das Besuchsrecht bekommen hat. Die meiste Zeit haben Sie allein in Isolationshaft verbracht.
Ich habe meine Frau, die dann irgendwann kommen konnte, meine Eltern und meine Schwester gesehen, aber immer nur einmal die Woche und dann auch nur eine Stunde – wenn überhaupt. Die restliche Zeit habe ich damit verbracht, zu überlegen und zu analysieren, wo wir gerade stehen. Was macht die türkische Regierung? Was hat sie vor? Was sagt sie? Was bezweckt sie damit? Was können wir dagegen tun?

Macht einen das nicht total kirre?
Schon, aber besser davon kirre werden, als durch Langeweile oder Verzweiflung. Ich war da echt drauf. Ich habe vor meiner Inhaftierung bereits zwei Jahren als Türkei-Korrespondent für die „Welt“ gearbeitet und ich bilde mir ein, diesen Job nicht ganz schlecht gemacht zu haben. Aber ich war nie so gut über das deutsch-türkische Verhältnis informiert wie zu dieser Zeit.

Ihre Erlebnisse haben Sie in Ihrem Buch „Agentterrorist“ festgehalten. Und dafür auch in der JVA Moabit recherchiert.
Ich dachte, wenn ein Buch auf Deutsch erscheint und der Hauptschauplatz ein Gefängnis ist, kann es nicht verkehrt sein, ein deutsches Gefängnis mal von innen gesehen zu haben. Was ich wirklich erschreckend fand, war, dass in einigen Zellen Zustände herrschen, wie man sie aus Filmen kennt – die Toilette mitten im Raum und solche Sachen.

Ich habe mit der Gefängnisdirektorin gesprochen und es ist wohl schwierig, etwas zu ändern, weil das Gebäude unter Denkmalschutz steht. Natürlich gibt es gute Argumente, ein Gefängnis als Teil von Gesellschaft unter Denkmalschutz zu stellen. Aber dass er dort, wo Menschen untergebracht sind, Vorrang hat, ist wirklich grotesk. Die Haftumstände in den modernen türkischen Gefängnissen, die in den vergangenen 20 Jahren errichtet wurden, sind da nicht in jeder Hinsicht schlechter als in Deutschland.

[Das gesamte Gespräch nachhören können Sie im Checkpoint-Podcast „Eine Runde Berlin“ unter diesem Link.]

Das Cover von „Agentterrorist“, das beim Verlag Kiepenheuer & Witsch erschien.
Das Cover von „Agentterrorist“, das beim Verlag Kiepenheuer & Witsch erschien.

© Kiepenheuer und Witsch

Wie sieht’s mit der Behandlung der türkischen Gefangenen in Berlin aus?
Als ich in Istanbul im Gefängnis saß, hat mich der damalige deutsche Generalkonsul einmal im Monat besucht. Laut Wiener Abkommen hat man Anspruch auf konsularische Betreuung. Ein türkischer Gefangener hier in Berlin hat erzählt, dass einmal im Jahr jemand kommt, am Bayram, dem höchsten religiösen Feiertag, und Döner mitbringt. Aber immer zu wenig! Als er das sagte, brach Gelächter aus, vor allem aufseiten der Mitarbeiter der JVA, woraufhin er sagte: „Das ist nicht lustig.“ Und er hat recht. Das ist nicht lustig. Weil, so viele Freuden hat man im Gefängnis nicht.

Eine Ihrer Freuden war die Unterstützung, die Sie von außerhalb erfahren haben. Wie erklären Sie sich im Nachhinein, dass es eine solch große Welle der Solidarität gab?
Auf der einen Seite hatte die Breite der Anteilnahme sehr viel mit mir persönlich zu tun. Dass beispielsweise „taz“, „Welt“, „Bild“, „Jungle World“ und „Reporter ohne Grenzen“ am Tag der Pressefreiheit vor dem Brandenburger Tor demonstriert haben, hat mit meinem persönlichen und beruflichen Werdegang zu tun.

Auf der anderen Seite war da eine Solidarität, die ganz weit weg von mir oder der Türkei war. Menschen haben irgendwo von meinem Fall gelesen und mir geschrieben, dass die Freiheiten und Rechte, die wir hier in Deutschland für selbstverständlich halten, es vielleicht gar nicht sind. Es ist ja nicht nur die Türkei, es sind auch Regime in Europa wie Polen oder Ungarn, in denen Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und andere Grundrechte eingeschränkt werden. Und in Deutschland gibt es eine Partei des organisierten Ressentiments, die von denselben Verhältnissen träumt.

Deniz Yücel zusammen mit Checkpoint-Autorin Ann-Kathrin Hipp.
Deniz Yücel zusammen mit Checkpoint-Autorin Ann-Kathrin Hipp.

© Doris Spiekermann-Klaas

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Wie nehmen Sie die Pressefreiheit hier in Deutschland wahr?
Wir haben Probleme mit der Pressefreiheit, aber mit der Situation in der Türkei oder in Polen ist das nicht vergleichbar. Dass eine Strafanzeige oder eine Strafverfolgung von der Bundesregierung hervorging, war, glaube ich, das letzte Mal bei der Spiegel-Affäre 1969 der Fall.

Es gibt natürlich auch in Deutschland, sagen wir mal, immer wieder Ambitionen. Zuletzt hatte der Bundesinnenminister angekündigt, eine Strafanzeige gegen eine Journalistin zu stellen. Aber da hieß es, die Kanzlerin habe deutlich gemacht, dass sie das für keine so gute Idee hält. Das heißt übrigens nicht, dass ich es für grundsätzlich illegitim halte, eine Strafanzeige aufgrund von Berichterstattung zu stellen. Es ist aber etwas anderes, wenn das die Bundesregierung macht.

Die gesellschaftlichen Anfeindungen gegen Journalisten häufen sich.
Ich finde, wir sollten als Journalisten nicht weinerlich werden. Diese Droherei im Internet ist auch ein Zeichen der Zeit. Das muss man als Person des öffentlichen Lebens aushalten. Bei den NSU-2.0-Drohmails habe ich neulich zum ersten Mal Strafanzeige erstattet, weil da der Verdacht im Raum stand, dass es eine Verbindung zur Polizei geben könnte, und das muss man ernst nehmen. Sonst habe ich das bisher nicht gemacht, weil ich weiß, dass die Fälle auch nicht verfolgt werden.

Im Gegensatz zu Ihrem Fall: Vom 32. Istanbuler Schwurgericht wurden Sie mittlerweile in Abwesenheit zu 2 Jahren, 9 Monaten und 22 Tagen Haft verurteilt. Haben Sie die Hoffnung, irgendwann in die Türkei zurückkehren zu können?
„Die Welt“ würde mich eher als Korrespondenten auf die Bahamas schicken als noch mal in die Türkei. Meine Frau würde es auch nicht zulassen. Und es gibt türkische Kollegen, in deren Anklageschrift steht „hatte Kontakt zu Deniz Yücel“, als ob es einen solchen Strafbestand gäbe. Unter all diesen Umständen ist es unmöglich, in der Türkei als Journalist zu arbeiten. Und ein Besuch ist auch nicht so ratsam. Aber fertig bin ich mit der Türkei nicht. Wir führen im Moment eine Fernbeziehung.

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