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Demonstration: Auf der Straße für mehr Klasse

Viel Stress, knappes Personal, marode Bauten: Tausende haben für bessere Schulen demonstriert Lehrer und Schüler schleppen die Probleme seit Jahren mit. Doch im Wahlkampf ist es kaum ein Thema.

„Ich war mal gerne Lehrerin“, steht auf dem Schild von Korinna Trautmann. Die Pädagogin ist eine von rund 3000 Teilnehmern – die Lehrergewerkschaft GEW schätzt eher 6000 –, die am Sonnabend für bessere Schulen auf die Straße gegangen sind. Jetzt läuft sie zwischen anderen Lehrern und vor allem Eltern mit Kindern vom Alex zum Gendarmenmarkt und erzählt, was sie umtreibt: Seit ihrem Einstieg 1988 sei das Standardpensum von 21 auf 26 Unterrichtsstunden pro Woche gestiegen. Das bedeute Dauerstress – und Teilzeit komme für junge Kollegen „wegen der unsäglich geringen Gehälter“ nicht infrage. Die Schüler seien nicht besser dran: Sportunterricht bis 19 Uhr und die früher so beliebten AGs wie Theater, Chor und Musik würden in die nullte Stunde abgeschoben. Neben der Schulzeitverkürzung auf zwölf Jahre stört Trautmann vor allem „diese Testeritis“: Vergleichsarbeiten bestätigten nur, was erfahrene Pädagogen ohnehin spürten. Hinzukomme der Frust der als Verlierer bloßgestellten Schulen. Am Ende sagt Frau Trautmann noch, sie sei nach wie vor gern Lehrerin. Und: Die Probleme an ihrem Steglitzer Gymnasium seien völlig andere als an Grundschulen in Brennpunkten.

Wie zur Bestätigung erzählt die Kreuzberger Viertklässlerin Siri: „In der dritten Klasse ist ganz oft der Schwimmunterricht ausgefallen, weil ein Lehrer krank war. Deshalb haben manche kein Seepferdchen bekommen.“ Außerdem seien „die Toiletten eklig“, die gerade sanierte Turnhalle schon wieder zu und das Schulessen schmecke nicht. „Vor allem die Kartoffeln“, fügt ihre Schwester Lou hinzu, die in die zweite Klasse geht.

Hinter den Mädchen und ihrem Vater steht eine Mutter mit ihrer zehn Monate alten Tochter im Tragetuch. Die Kita finde einfach keine neue Erzieherin, sagt sie: zu viel Arbeit für zu wenig Geld.

Personalmangel, Sanierungsstau, besseres und in Ganztagsschulen kostenloses Essen sowie zu wenig Platz und Geld für Musik, Kunst und Theater – das sind wesentliche Kritikpunkte der Demo-Veranstalter. Alles keine neuen Forderungen, und im Detail werden sie obendrein kompliziert. Vielleicht erklärt das die relativ schwache Beteiligung an der Demo. Dabei galt Bildung zu Beginn des Wahlkampfes noch als Großthema für die Zeit bis zum 18. September – zumal die Missstände mehr als eine Million Berliner betreffen, wenn man die Eltern mitzählt.

Andere Wahlkampfthemen haben die Probleme im Bildungsbereich überlagert. Welche das sind, das lesen Sie auf der nächsten Seite.

Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Sascha Steuer, glaubt, dass sich vielfach schon „Resignation“ unter den Lehrern eingestellt habe. „Nach dem Motto: Es ist zwar schlimm, aber wir finden uns damit ab.“ Zudem habe Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) ja eilig Verbesserungen wie monatlich einstellbare Lehrer angekündigt. Das sei „Ankündigungspolitik“, habe jedoch „viel Wind aus den Segeln“ genommen. Demgegenüber glaubt der grüne Bildungsexperte Özcan Mutlu, dass viele Betroffene der Bildungsmisere wie Eltern, die Hartz IV bekommen oder Kinder mit Migrationshintergrund kaum eine Lobby in der Stadt haben. Zudem seien Themen wie steigende Mieten so existenziell, dass sie das Thema Bildung im Wahlkampf überlagert hätten.

Der Landeselternausschuss (Lea) selbst, der die Demonstration federführend mit organisierte, hatte bereits Anfang des Jahres viele öffentlich wirksame Aktionen wie Konzerte oder Sternmärsche angekündigt, um in der heißen Phase des Wahlkampfs auf die Missstände aufmerksam zu machen. Wenige solcher Aktionen waren bislang öffentlich sichtbar – hinter den Kulissen, sagte Landeselternsprecher Günter Peiritsch, sei jedoch „viel passiert“. Der Lea sei mit allen Parteien im Dialog und baue Druck auf. Es sei jedoch klar, dass sich die Elternschaft auch nach dem Wahlkampf noch deutlicher ins politische Tagesgeschäft einmischen müsse und werde.

Das will auch Landesschülersprecher Jonas Botta: Wählen gehen und dann genau auf die Koalitionsverhandlungen schauen, fordert er auf der Bühne am Gendarmenmarkt.

In der Menschenmenge steht auch Helmut Hochschild, der die Rütli-Schule nach ihrem Scheitern kurzzeitig leitete. Er verteidigt die Reformen, unter denen viele Lehrer, Eltern und Schüler ächzen: Angesichts der mäßigen Ergebnisse im Pisa-Vergleich dürfe man nicht zu sehr „auf die deutschen Traditionen“ schwören, sondern solle das Schulsystem modernisieren. Und besser finanzieren.

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