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Rund 12 000 Menschen haben nach Veranstalterangaben am Samstag in Berlin für die Energiewende demonstriert. Der Partywagen in der Mitte des Demonstrationszuges ließ Love-Parade-Stimmung aufkommen.

© Reuters

Demo in Berlin gegen Atomkraft: Rund 12.000 Menschen demonstrieren für Energiewende

Erst auf dem Wasser, dann im Regierungsviertel: Rund 12.000 Menschen haben am Samstag in Berlin für die Energiewende demonstriert. Der Demonstrationszug traf dabei auf den Frauenlauf, die thailändische Diaspora und Fußballfans.

Es ist ein Schauspiel, wenn sich Politik und Leben in Berlin treffen. Am Samstag zogen nach Veranstalterangaben 12 000 Menschen vom Hauptbahnhof durchs Regierungsviertel bis zur CDU-Zentrale, um für die Energiewende zu demonstrieren. Zuvor hatten sich 120 Boote an einer Wasserdemo am Humboldthafen beim Hauptbahnhof beteiligt. Auf dem Wasser bestimmten Kanus, kleine Boote und Flöße das Bild.

Auf dem Landweg bestimmten Atomkraft,-nein-danke-Fahnen das Bild, dazwischen aber auch viele selbst gemalte Schilder wie das eines Biogas-Anlagenbetreibers: "Biogas: Wir können immer." Daneben flatterten Campact-Fahnen. Das Protestnetzwerk gehörte neben dem BUND, den Naturfreunden und dem Anti-Akw-Netzwerk Ausgestrahlt zu den Veranstaltern der Demonstration.

Demo trifft Berlin

Schon am Hauptbahnhof mischten sich die Demonstranten mit Fußballfans aus Dortmund, die zum letzten Saisonspiel gegen Hertha BSC auf dem Weg ins Olympiastadion waren. Viele Demonstranten trugen selbst einen Fan-Schal: Weiß-Grün, nicht Werder Bremen sondern Energiewende. Am Reichstag trafen die Energiewende-Kämpfer auf Berlin-Touristen, die von der Reichstagskuppel aus die Demokratie bei der Arbeit beobachten konnten, nicht im Bundestagsplenum sondern davor. Am Brandenburger Tor mischten sich die Läuferinnen des Avon-Frauenlaufs zwischen die Demonstranten aller Altersklassen aus ganz Deutschland.
Auf der anderen Seite des Brandenburger Tors demonstrierten wenige Aktivisten mit drastischen Schautafeln gegen die Todesstrafe im Iran. Wenige Meter weiter sang die thailändische Diaspora, Anhänger der Rothemden, zur Unterstützung der abgesetzten Premierministerin Yingluck Shinawatra, deren Fotos sie hoch hielten. In ihrem Rücken tanzten 20 junge Leute, viele indischen Ursprungs, eine komplizierte Bollywood-Choreografie bejubelt von mindestens 200 Touristen.

Wer demonstriert für die Energiewende?

Die politische Vielfalt war auch im Demonstrationszug groß. Linke Jugendliche mit Campact-Fahnen, Demonstranten aus Stettin, die sich so einen Protestzug auch mal in ihrem Land wünschen würden. „Aber da würden nur zehn Leute kommen und die würden auch noch ausgelacht“, sagte eine von ihnen. Die Polen trafen sich mit Freunden aus Itzehoe in Berlin zur Energiewende-Demo. Ein Partywagen nach dem Vorbild der Loveparade fuhr in der Mitte des langen Demonstrationszuges. Viele trugen Anti-Akw-Fahnen, auch die 76-jährige Berlinerin Ursula Hüssler. „Atom geht gar nicht“, sagt sie. Viele Teilhaber aus Energiegenossenschaften sind angereist. Sie machen sich Sorgen, dass die „Energiewende“ nach der EEG-Novelle „ohne die Bürger stattfinden“ könnte, wie Arne Möbest das sagt. Er entwickelt Bürgergenossenschaften in Nordfriesland. Er stand gemeinsam mit gut 50 Nordfriesen und einem riesigen Banner vor dem Reichstag. Neben ihm Martin Schweighöfer. Der 85-Jährige gehört zu den Eigentümern des ersten Bürgerwindparks in Deutschland, dem 1991 gegründeten Windpark am Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog. Hans Detlef Feddersen gehörte zu den Gründern der Genossenschaft. "Das war damals eine verrückte Idee", erzählt er. 44 Gründer hätten jeweils 2000 Mark investiert, "ohne zu wissen, ob das etwas werden würde". Inzwischen hat die Genossenschaft 200 Mitglieder. Ihn und seine Mitstreiter befürchten, keine Chance mehr auf dem Markt zu haben, wenn Windparks nur noch über Ausschreibungen zustande kommen, wie es die derzeit im Bundestag verhandelte Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) es vorsieht.

Ganz ähnlich sieht das Walter Nowottny, der aus Thalmassing bei Regensburg angereist ist. Er hat mit einigen anderen Bürgern vor zwei Jahren eine Energiegenossenschaft gegründet, die einen Solarpark betreibt. "Wir haben ein Windrad geplant", erzählt er. "Aber das hat unser (Ministerpräsident) Horst Seehofer (CSU) ja fast unmöglich gemacht." Seehofer hatte durchgesetzt, dass den Ländern freigestellt wird, ob sie den Ausbau der Windenergie an Land über eine Abstandsregelung erschweren. Wenn ein Windrad mit einer Höhe von 200 Metern geplant wird, muss der Abstand zur nächsten Bebauung zwei Kilometer betragen. "Damit wird der Bau nahezu unmöglich", sagt Nowottny. Was ihn aber besonders ärgert ist die geplante Regelung, wonach Solarstromerzeuger auf ihren selbst produzierten und verbrauchten Sonnenstrom einen Anteil an der EEG-Umlage zahlen sollen. Das sei doch, als müsste er den örtlichen Gemüsehändler dafür bezahlen, dass er im eigenen Garten Tomaten zieht, sagt Nowottny.
Bei der Abschlusskundgebung vor der CDU-Zentrale forderte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger: „Das Parlament muss nachbessern.“ Im Anschluss spielten die Berliner Reggae- und Dancefloorband Seeed und die Hamburger Rockband Revolverheld.

Was die Demonstranten wollen

Hermann Falk, Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE): „Die von der Bundesregierung geplante Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) bringt einen Systemwechsel. Sie bedroht akut die dezentrale und bürgergetragene Energiewende.“

Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND): „Die Pläne der Bundesregierung zur Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes verzögern die Energiewende. Deutschland steht vor einer Richtungsentscheidung. Entweder reißen einige wenige Stromkonzerne den Ausbau der erneuerbaren Energien an sich oder er erfolgt verbrauchernah in den Händen hunderttausender Bürgerinnen und Bürger.“

Christoph Bautz, Kampagnennetzwerk Campact: „Während Großunternehmen und Kohlekraftwerke mit Milliarden subventioniert werden, wird die Windkraft gedeckelt und der Ausbau der Solarenergie mit einer Sonnensteuer abgewürgt. Jetzt sind Abgeordnete und Ministerpräsidenten gefragt, diesen Unsinn zu stoppen.“

Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt: "Würden die Atomkraftwerke schneller als geplant abgeschaltet, verringern sich die riesigen Überkapazitäten im deutschen Strommarkt. Damit stabilisiert sich der Börsenpreis und die EEG-Umlage sinkt. Doch die Bundesregierung plant das Gegenteil: 2017 soll es für die alten maroden Reaktoren eine gigantische Steuerbefreiung geben, da ihr Betrieb sonst nicht mehr rentabel wäre. Das ist Energiewende paradox."

Uwe Hiksch, Naturfreunde Deutschlands: „Gemeinsam sind wir heute auf die Straße gegangen, um der Atom- und Kohlelobby entschieden entgegenzutreten. Wir werden in den nächsten Monaten unseren Widerstand gegen die klimaschädliche Kohleverstromung und den Aufschluss von Tagebauen mit kreativen Aktionen noch deutlich steigern.“

Claudius da Costa Gomez, Hauptgeschäftsführer des Fachverbandes Biogas: „Die von der Regierung vorgelegten Pläne zum neuen EEG benachteiligen Erneuerbare Energien gegenüber fossiler Erzeugung. Wer die Energiewende voranbringen will, muss andere Prioritäten setzen."

Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft: "Wer Solarenergie-Nutzer künftig zur Kasse bitten will und Klimasünder gleichzeitig in großem Stil entlastet, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die geplante Solar-Steuer wird tausende Menschen auf die Straßen bringen."
Henning Dettmer, Geschäftsführer des Bundesverbandes Wind-Energie: „Wir wehren uns gegen Ausschreibungen, weil wir wollen, dass die Energiewende weiter von Mittelstand und Bürgerenergie geprägt ist und nicht anonyme Finanzinvestoren entscheiden."

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