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Kerle wie wir. Dominierende Figur in „Spur der Steine“ ist der Brigadier Hannes Balla (Manfred Krug, 2. von links), der sich von einem anarchischen Egoisten zum pflichtbewussten Mitglied der sozialistischen Gesellschaft wandelt.

© picture alliance / Keystone

Defa-Film "Spur der Steine": Die Partei, die hat immer recht

Vor 50 Jahren wurde „Spur der Steine“ durch die SED verboten. Ein Parteisekretär, der fremdgeht, nicht selbstkritisch ist? Für Ulbricht zu brisant.

Wenigstens wurden keine weißen Mäuse im Kino freigelassen wie 1930 im Mozartsaal am Nollendorfplatz. Auch auf Stinkbomben hatte man diesmal verzichtet, und die ins Kino „International“ entsandten roten Provokateure waren doch nicht ganz so rabiat wie die braunen Schlägertrupps in Schöneberg. Auch demonstrierende Marschkolonnen blieben Berlin im Sommer 1966 erspart, dennoch fühlte sich Frank Beyer, Regisseur des umstrittenen Premierenfilms, an die düsterste deutsche Vergangenheit erinnert: „Dass die Nazis Anfang der dreißiger Jahre den amerikanischen pazifistischen Film ,Im Westen nichts Neues’ im Kino niedergeschrieen hatten, wusste ich. Unfassbar war für mich, dass die SED, deren Mitglied ich war, eine solche gelenkte Provokation organisiert hatte.“

50 Jahre liegen die dramatischen, für Beyer und sein Team so fatalen Vorgänge um den Defa-Film „Spur der Steine“ in diesen Tagen zurück. Am 29. Juni 1966 war Beyer und dem Autor der Romanvorlage, Erik Neutsch, von DDR-Kulturminister Klaus Gysi beschieden worden, dass sie am kommenden Tag wie geplant im International an der Karl-Marx-Allee Premiere feiern könnten, aber der Film nach kurzer Zeit aus dem Programm genommen würde. „Der Film sei keine Verfilmung, sondern eine Verfälschung des Romans“, so gab Beyer später den Kern des Gesprächs wider.

Das dem Film zugrundeliegende Buch war ein Bestseller

Das Buch selbst niederzumachen, wäre Gysi kaum möglich gewesen. 1964 erschienen, hatte es in der DDR hunderttausende Leser gefunden, sogar Walter Ulbricht las und lobte das Werk. Da Neutsch kein Interesse an einer Mitarbeit am Film zeigte, hatten Beyer und Coautor Karl Georg Egel ein Drehbuch verfasst, dies den zuständigen staatlichen Stellen vorgelegt und ein Plazet erhalten, wenngleich der damalige Kulturminister Hans Bentzien den Regisseur bei Drehbeginn noch zur Sorgfalt bei der Darstellung der Parteifunktionäre ermahnte.

Genaugenommen geht es um nur einen, Werner Horrath mit Namen, gespielt von Eberhard Esche, für die fiktive Großbaustelle Schkona zuständig, ein Mann von Idealen, leider ohne Moral, jedenfalls aus Sicht der Partei: Verheiratet, schläft aber mit der feschen Ingenieurin Kati Klee (Krystyna Stypulkowska), bekennt sich trotz deren Schwangerschaft nicht zu ihr und gesteht, besonders verwerflich, auch vor dem Kollektiv sein moralisches Versagen nicht ein. Aber wenn er dies täte, wäre er seinen Posten los, könnte den unfähigen Oberbauleiter nicht ausschalten, was wiederum für den Fortschritt auf der Baustelle fatal wäre. Dritte Hauptfigur, eigentlich die dominierende, ist der von Manfred Krug dargestellte Brigadeleiter Hannes Balla, ein anarchischer Egoist, der ebenfalls ein Auge auf Kati geworfen hat und sich im Laufe der Geschichte zum sozialistischen Idealarbeiter mausert, der sich sogar für seinen Nebenbuhler einsetzt, vergeblich. Horrath wird Arbeiter in Ballas Brigade.

Regisseur Frank Beyer (Aufnahme von 1996) wurde nach "Spur der Steine" für Jahre kaltgestellt.
Regisseur Frank Beyer (Aufnahme von 1996) wurde nach "Spur der Steine" für Jahre kaltgestellt.

© picture-alliance/ZB

Es waren wohl weniger die antisozialistischen Eskapaden des selbstbewussten Brigadiers, der bei Bedarf schon mal einen Volkspolizisten in einen Teich warf, als das verwickelte Liebesleben des zumal zu demonstrativer Selbstkritik unfähigen Parteifunktionärs, das den Film in den Augen der SED-Spitze verdächtig machte und sein Verbot auslöste. Doch er wäre vielleicht einfach durchgewinkt worden, hätte nicht mittlerweile in der UdSSR Breschnews neuer Kurs Chruschtschows Tauwetter beendet. Das schlug Wellen gerade auch in der DDR, und besonders hoch schwappten sie beim berüchtigten 11. Plenum des ZK der SED vom 16. bis 18. Dezember 1965. Eine von Ulbricht versuchte vorsichtige Liberalisierung wurde rückgängig gemacht, die Fraktion der Betonköpfe, vorneweg Erich Honecker, setzte sich wieder durch und forderte als allererstes eine verschärfte Kulturpolitik, nicht dass es in Ost-Berlin einmal zuginge wie beim Stones-Konzert im September 1965 in der danach nicht mehr zu gebrauchenden Waldbühne.

Das zielte auf die Literatur wie auf den Film, von denen zwei neue Defa-Produktionen, „Denk bloß nicht, ich heule“ von Frank Vogel und „Das Kaninchen bin ich“ von Kurt Maetzig, auf dem Plenum auch gezeigt, niedergemacht und umgehend verboten wurden. Der bisherige Kulturminister Bentzien aber, der die Gefährlichkeit dieser Werke nicht erkannt habe, wurde durch Klaus Gysi ersetzt.

„Spur der Steine“ war da seit einigen Wochen abgedreht. Die Endfassung wurde Anfang März Mitgliedern des ZK, unter anderem Gysi, vorgeführt und fand, wie zu befürchten stand, keine Gnade, im Gegenteil, wie Dietrich Worbs in seinem Buch „Das Kino International in Berlin“ (Gebr. Mann Verlag, Berlin, 160 Seiten, 19,95 Euro) schildert. Beyer überarbeitete sein Werk, im Filmbeirat des Kulturministeriums wurde es nun sogar gelobt und am 15. Juni erstmals im Kino „Thalia“ in Potsdam-Babelsberg im Rahmen der VIII. Arbeiterfestspiele gezeigt. Es gab viel Beifall, und die Defa ließ 56 Kopien herstellen, um „Spur der Steine“ ab 1. Juli landesweit zeigen zu können.

Doch hatte nun auch Walter Ulbricht den Film gesehen und empörte sich auf der Politbüro-Sitzung des 28. Juni dagegen, woraufhin sofort ein Telegramm an die SED-Bezirkssekretäre erging, der Film sei verboten. Er verunglimpfe „in seiner Tendenz die Rolle der Partei und des Staates in gröbster Weise“, ereiferte sich Gysi tags darauf gegenüber Regisseur und Autor. Eine überschwängliche Propaganda für „Spur der Steine“ habe zu unterbleiben, doch könne er in den vorgesehenen Kinos für maximal acht Tage gezeigt werden. Allerdings werde der Film „bestimmt nicht unkritisch vom Publikum aufgenommen“ werden.

Nach inszenierten Krawallen wurde der Film aus dem Programm genommen

Der Minister sollte recht behalten, wie Beyer später schilderte. Zur Premiere drängte sich vor dem auf Tage ausverkauften International das Publikum. Die Schaukästen und die Plakatwand waren leer, aber die Menschen wussten ja oder ahnten zumindest, was – in doppeltem Sinne – gespielt wurde: „Um 20 Uhr beginnt der Film. 600 Zuschauer. 80 bis 100 Leute, die den Film schon kennen, spielen ,Stimme des Volkes’. Sie sollen den Film niederschreien.“

Die inszenierten Krawalle, die es auch in anderen Städten gab und die teilweise sogar in Prügeleien ausarteten, sollten sich an den folgenden Tagen fortsetzen. Lothar Heinke, langjähriger Tagesspiegel-Autor, hat eine dieser Vorstellungen selbst miterlebt: „20 Minuten geht alles gut. Doch dann bellen die ersten Zwischenrufer ihren Parteiauftrag ins Kino: ,Aufhören!’, ruft einer, ein anderer brummt: ,Das ist nicht unsere Partei!’, ,Den Regisseur müsste man einsperren!’ Frank Beyer, der auch in dieser Vorstellung, kurz nach der Premiere, anwesend ist, sitzt genau vor mir. Wut und Scham steigen in ihm hoch, der Hals rötet sich. Die Hände krallen sich in die Lehnen. Uns allen fällt es nicht leicht, ruhig und still zu bleiben. ,Gehen Sie doch raus, wenn Ihnen das nicht gefällt’, ruft schließlich einer den Provokateuren zu. Beifall. Stille. Dann wieder: ,Sehen so unsere Arbeiter aus?’ Das Licht geht an. ,Weitermachen!’, fordert der Saal. Die Schreihälse schweigen, Disziplin der Gutwilligen besiegt Stumpfsinn.“

Aber nicht lange: Nach drei Tagen wird der Film im „International“ aus dem Programm genommen und durch eine Komödie mit Sophia Loren und Marcello Mastroianni ersetzt. In der Partei gab es durchaus auch Kritik an diesem Vorgehen, aber ins Kino kehrte der Film erst zwei Wochen nach dem 9. November 1989 zurück, wieder im International. Auf der Berlinale 1990 lief er außer Konkurrenz im Wettbewerb, war dann auch im Kino erfolgreich. Frank Beyer aber, der nach „Spur der Steine“ als Filmregisseur auf Jahre kaltgestellt war, erhielt am 6. Juni 1991 bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises in Berlin für sein „langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film“ das Filmband in Gold.

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