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Bedrohte, wilde Natur. Achim Förster vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) am Dahlemer Weg 247, wo eine Flüchtlingsunterkunft entstehen soll.

© Frank Bachner

Debatte um neue MUF Standorte: Wilde Natur vs. Flüchtlinge

Der Kampf um die ökologisch reizvolle Fläche am Dahlemer Weg zeigt, wie kompliziert der Streit um die MUF-Standorte ist.

Der Stamm ist noch so dünn, dass ihn Achim Förster mit einer Hand umklammern kann. „Ein junge Linde“, sagt er. Sie hat sogar mehrere dünne Stämme, die junge Linde, alle enden ungefähr auf Brusthöhe von Förster. Er geht weiter, das Laub unter seinen Füßen knirscht, er drückt Zweige zur Seite, dann zeigt er auf kleine, lila Blumen. „Lerchensporn, ein Mohngewächs“, sagt er dann, „für Insekten sehr wichtig, weil es die ersten Blüten sind, die aufgehen.“

Förster ist jetzt 68 Jahre alt, es ist Jahrzehnte her, dass er „den Wald im Museumsdorf Düppel gestaltet“ hat. Ein Experte für Bäume also. Jetzt sagt Förster, studierter Chemiker und einer der beiden Sprecher der Bezirksgruppe Südwest des Bundes für Umwelt und Naturschutz (Bund): „Wenn dieses Gebiet gerodet würde, wäre das ein Super-Gau.“

Das Gebiet, in dem er steht, ist eine rund 12.000 Quadratmeter große Wildnis am Dahlemer Weg, nicht weit vom Teltowkanal entfernt. Die Natur konnte sich hier ungestört ausbreiten, ein ökologisches Kleinod am Rand von Lichterfelde. Ein Holzzaun grenzt es zur Straße ab, seit ein paar Tagen hängen zwei Transparente an den Latten. „Hilfe. Ich werde abgeholzt“, steht auf einem.

„Es gibt einen Nutzungskonflikt“

6.000 Quadratmeter sollen platt gemacht werden, die Hälfte des Areals, eine Mobile Flüchtlingsunterkunft (MUF) soll hier entstehen, Wohnort für 500 Flüchtlinge. Nach ein paar Schritten stößt Förster auf Klaus Hufnagel. Der 72-jährige Arzt steht auch zwischen den Bäumen, er ist einer der Menschen, die gegen den geplanten Kahlschlag kämpfen. Hufnagel, ein drahtiger Mann mit Bartstoppeln und grünem Pullover, ist einer der Wortführer der Bürgerinitiative „Lebenswertes Lichterfelde“. Rund 900 Unterschriften gegen den Kahlschlag haben er und seine Mitstreiter schon gesammelt, „jeden Tag kommen fünf dazu“.

Ein paar Kilometer entfernt sitzt Cerstin Richter-Kotowski in ihrem Büro und seufzt: „Ich kann die Naturschützer ja verstehen, aber dann müssen die sich auch Gedanken machen, wie man die Probleme der Stadt löst.“ Dann seufzt die Bezirksbürgermeisterin von Steglitz-Zehlendorf noch mal: „Es gibt einen Nutzungskonflikt.“

Reihenweise Proteste gegen die neuen MUF-Standorte

Der Kampf um den Dahlemer Weg 247 ist ein Beispiel dafür, wie kompliziert die Politik in dieser Stadt bei Reizthemen sein kann. 25 neue MUF-Standorte in ganz Berlin wurden Ende März bekannt gegeben, nun gibt es reihenweise Proteste. In den meisten Fällen geht es um die Frage des sozialen Friedens. Können wir in dieser Gegend noch mehr Flüchtlinge verkraften? Das treibt die protestierenden Anwohner um. In Lichterfelde kommt noch etwa hinzu, das macht diesen Fall so besonders: der Naturschutz.

Die CDU-Politikerin Richter-Kotowksi muss vier MUFS in ihrem Bezirk aufstellen, das ist eine Vorgabe der Senats-Finanzverwaltung. Die hat berlinweit die politische Führungsrolle bei diesem Thema. Und sie legte 2017 dem Bezirk Steglitz-Zehlendorf eine Liste mit Standorten vor, auf denen MUFS gebaut werden könnten. Aus ihrer Sicht jedenfalls.

Der Dahlemer Weg fehlte auf dieser Liste. Dafür waren Areale aufgeführt, denen Richter-Kotowski widersprach. Mal gegen einen Teil des Stadions Lichterfelde, mal gegen ein verpachteten Acker, mal, weil in der Umgebung schon ausreichend Flüchtlinge leben. Und der Osteweg kam nicht in Frage, weil dort Platz für eine Schule benötigt wird. „Kein einziger Standort, der vorgeschlagen wurde, hatte für uns Priorität eins“, sagt Richter-Kotowski. Priorität eins bedeutet: Dort kann unbedenklich ein MUF gebaut werden. Alle Vorschläge hatten wenigstens einen Makel, einige sogar mehrere.

„Sonst funktioniert eine sinnvolle Integration nicht“

Also prüfte der Bezirk Alternativen und sichtete Orte, die 2015, zu Beginn der Flüchtlingswelle, mal als potenzielle Standorte im Gespräch gewesen waren. Einer hieß Dahlemer Weg, doch der war bald wieder aus dem Rennen. Aber nicht endgültig.

Denn auf einmal geriet das wild gewachsene Gebiet wieder in den Fokus des Bezirks. Ein Naturareal, auf dem ein Schild mit der Aufschrift steht: „Geschützte Grünanlage.“ Geschützt seit Jahrzehnten. Richter-Kotowski sagt: „Als Grünanlage ist das Areal nicht mehr zu erkennen.“ Stimmt, sagt Förster, genau deshalb ist dieses Gebiet für Naturschützer ja so interessant. Auf der anderen Straßenseite liegt der Laehr-Park, aber der ist natürlich bei weitem nicht so urwüchsig.

Der Dahlemer Weg besitzt aus Sicht der Bürgerinitiative gleich zwei Makel, die gegen ein MUF sprechen. Der Naturschutz ist der eine. Der zweite ist die Frage der Integrationsfähigkeit. Richter-Kotowski sagt selber, sie wolle nicht zu viele Flüchtlinge in einem bestimmten Gebiet unterbringen. „Sonst funktioniert eine sinnvolle Integration nicht.“

Der nächste Schritt der Bürgerinitiative ist schon geplant

Das sehen Klaus Hufnagel und viele, die unterschrieben haben, genauso. Nur gibt es im Umkreis von wenigen hundert Metern zum Dahlemer Weg bereits zwei Flüchtlingsunterkünfte. Dort leben in einem Gebäude unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge, im zweiten vor allem Familien, insgesamt rund 250 Menschen. Deshalb fühlen sich die Anwohner von 500 weiteren Flüchtlingen überfordert.

Ja, räumt Richter-Kotowski ein, natürlich gebe es dort bereits Flüchtlinge. „Aber die Familien ziehen bald in entferntere MUFS.“ Im Übrigen gehe es auch um Infrastruktur. „Ich habe im Einzugsgebiet Dahlemer Weg zwei Grundschulen und ein Nachbarschaftsheim.“ Man könne dort Menschen integrieren. Die Bürgerinitiative kontert mit dem Hinweis auf den dramatischen Mangel an Kitaplätzen.

Noch herrscht auf der Grünanlage Dahlemer Weg Ruhe. Erst muss ein Umweltgutachten die Wildnis bewerten, erst dann wird entscheiden, ob gebaut wird. Von Ruhe ist die Bürgerinitiative weit entfernt. Der nächste Schritt ist schon geplant: In Kürze soll ein Videoclip entstehen, mit dem Geräusch von Kettensägen und Bildern zerstörter Natur.

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