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Demonstrant in der verwüsteten Stasi-Zentrale 1990 in Berlin-Lichtenberg.

© dpa/picture-alliance

DDR-Geschichte: Wie Berliner vor 25 Jahren die Stasi-Zentrale stürmten

Am 15. Januar 1990 besetzten Demonstranten die Stasi-Zentrale an der Lichtenberger Normannenstraße. „Das ging erstaunlich fix“, erinnern sich Zeitzeugen. Und ein alter General schimpft auf die „bürgerliche Propaganda“.

Eine Schallplatte mit kommunistischen Kampfliedern ist geblieben. Und das gute Gefühl, die „letzte große Sache“ der Revolution in der DDR miterlebt zu haben. Philipp Lengsfeld, Sohn der prominenten Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld und CDU-Bundestagsabgeordneter, war beim „Sturm auf die Stasi“ in der Lichtenberger Normannenstraße dabei, am 15. Januar 1990. Ein Sturm war es eigentlich nicht, eher eine halbwegs organisierte Machtübernahme mit einem kalkulierten Quantum Straßenanarchie. „Das ging erstaunlich fix.“ Damals war Lengsfeld noch Schüler.

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) mit seinen großen Abteilungen für Inlands- und Auslandsaufklärung saß in einem unzugänglichen Straßengeviert am U-Bahnhof Magdalenenstraße. Durch die Maueröffnung vom 9. November und den inneren Zerfall der Staatsführung zerbröselte auch das Fundament der Stasi. In den DDR-Bezirken waren schon im Dezember Stasi-Dienststellen besetzt worden, um Aktenvernichtungen zu stoppen. Die Berliner Zentrale, inzwischen in „Amt für Nationale Sicherheit“ umbenannt, hoffte noch auf eine Wiederbelebung als Verfassungsschutzbehörde plus Nachrichtendienst einer erneuerten DDR, aber wegen der anhaltenden Bürgerproteste gegen den Geheimdienst gab die DDR-Regierung unter SED-Ministerpräsident Hans Modrow das Vorhaben auf. Am 13. Januar wurde offiziell beschlossen, das MfS aufzulösen.

100.000 rüttelten an den Toren

Zwei Tage später waren schon am Morgen Vertreter der Bürgerkomitees aus den DDR-Bezirken auf das Gelände gekommen, um mit dem letzten Stasi-Chef Heinz Engelhardt die friedliche Übergabe der Gebäude auszuhandeln. Für den Nachmittag hatte das Neue Forum zu einer Demonstration aufgerufen. Als die aufgebrachten Bürger – etwa 100.000 sollen es gewesen sein – an den Toren rüttelten, sahen sie drinnen überraschend viele bärtige Leute, die gar nicht nach Stasi aussahen.

Dass schon die eigenen Leute vor Ort waren, nahm dem anschließenden Sturm einiges an Schwung. Die Demonstranten strömten auf das dunkle, ausgestorben wirkende Gelände und strebten auf das einzige Gebäude zu, in dem noch Betrieb war, Haus 18, der Dienstleistungs- und Versorgungstrakt, in dem die tausenden Beschäftigten des Ministeriums einkaufen oder zum Frisör gehen konnten. Dort gab es auch eine Kantine, eine Buchhandlung und ein Reisebüro.

Er sicherte sich eine Vinyl-Trophäe

Dieses Haus war schnell erobert, nur Akten und geheime Dokumente fanden sich dort nicht. Einige Demonstranten plünderten, schlugen Scheiben ein, warfen Möbel aus dem Fenster. Die Volkspolizei, die den Dingen ihren Lauf ließ, bezifferte den Schaden zwei Tage später auf eine Million DDR-Mark. Philipp Lengsfeld sicherte sich seine Vinyl-Trophäe und verließ das Gelände auf Bitten der „Ordner“ vom Bürgerkomitee mit dem schalen Gefühl, „ein bisschen verarscht worden zu sein“: von der SED und der Stasi, von Modrow und Gysi, die vor einer Eskalation der Gewalt warnten. Warum stand der Versorgungstrakt offen und war beleuchtet? Warum war am Tag der Demonstration das Bürgerkomitee auf dem Gelände?

Für eine staatlich gelenkte Inszenierung gebe es keine Hinweise in den Stasi-Akten, sagt Christian Halbrock, der selbst am 15. Januar im Pulk der Demonstranten mitlief und in der Stasi-Unterlagenbehörde zu dieser Frage geforscht hat. Die letzten Stasi-Generäle hat er allerdings nicht befragt. Heinz Engelhardt servierte damals einigen Bürgerrechtlern Kaffee und plauderte mit „Spiegel-TV“

2005 sagte Engelhardt dieser Zeitung, von einer gelenkten Provokation könne keine Rede sein. „Die Stasi war damals nicht mehr arbeitsfähig.“ Am 15. Januar wurden die meisten Mitarbeiter früher nach Hause geschickt, um sie vor Krawallen zu schützen. Das Neue Forum hatte dazu aufgerufen, Steine und Mörtel mitzubringen, um die Stasi einzumauern. Engelhardt: „Niemand wusste, was passieren würde. Wir hatten den Ungarnaufstand vor Augen. Damals wurden Geheimdienstleute erschlagen oder aufgehängt.“ Die Stasi-Generäle fühlten sich von der SED-Führung verraten, der Opposition als Bauernopfer ausgeliefert, um der Partei das Überleben zu sichern. Heute will sich Engelhardt nicht mehr zu den Ereignissen äußern. Die „bürgerliche Propaganda“ verbreite ein „verzerrtes, einseitiges und zum Großteil falsches Bild über das Ministerium für Staatssicherheit“, erklärt er in einer Mail an den Tagesspiegel.

Stasi-Zentrale mit Verspätung besetzt

Halbrock hatte sich in den 80er Jahren in der Umweltbibliothek der Zionskirche engagiert. Er wollte die Lügen der DDR entlarven und echte Reformen erwirken. Die Stasi war aus seiner Sicht im Januar 1990 schon mausetot. Beim Sturm auf das MfS wollte er im Wesentlichen dabei sein und „Devotionalien“ einheimsen. Statt spannender Abhörtechnik fanden sich aber nur billige Blech-Thälmanns zur Bürodekoration und ein paar Bücher.

Dass die Stasi-Zentrale für die DDR in Berlin im Vergleich zu den Bezirksdienststellen erst mit erheblicher Verspätung besetzt wurde, erklärt Halbrock vor allem mit der Maueröffnung. West-Berlin habe viel Aufmerksamkeit und Energie von den politischen Vorgängen in der DDR abgezogen. Halbrock beschreibt die Maueröffnung noch heute als ein „Fiasko“ für die DDR-Opposition. Sein damaliges Gefühl war: „Die machen sich einfach aus dem Staub.“ Die DDR hätte sich einem Selbstreinigungsprozess unterziehen müssen, bevor sie sich auflöst.

Arno Polcin, oppositionell gesinnter Metallfacharbeiter, kam zu spät zur Demonstration vor 25 Jahren, da war der revolutionäre Furor schon abgeebbt. Sein persönlicher Anti-Stasi-Einsatz begann erst einige Wochen später, als er offiziell beim neu gebildeten Bürgerkomitee Berlin die Stasi-Auflösung mit beaufsichtigte. Fast 100 Leute seien sie gewesen, und doch viel zu wenige, um die Kontrolle effektiv ausüben zu können. Die Reißwölfe hätten sie anfangs sicherstellen können, aber dass die Stasimitarbeiter auch einen Spezialmagneten zur Löschung von Tonbändern einsetzten, fiel erst später durch Zufall auf. In der Poststelle stießen die Kontrolleure irgendwann auf die vielen Säcke mit den Aktenschnipseln.

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