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Ein Mann, ein Buch. Uwe Holmer lebt heute nahe Rostock.

© dpa

DDR-Geschichte: Erich Honecker, mein Gast

Vor 25 Jahren gab ein Pastor dem früheren DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker und dessen Frau Asyl bei sich in Lobetal. Noch heute hat er Kontakt zu Margot.

„Ohne Vergebung und Versöhnung findet man keine Lebensqualität, das gilt in der Ehe wie in der Gesellschaft“, sagt Pastor Uwe Holmer in Serrahn, einem Dorf im Landkreis Rostock, gleich an der Autobahn A 19. Der 85-Jährige schrieb vor 25 Jahren Geschichte: Holmer nahm am 30. Januar 1990 den gestürzten DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker und dessen Frau Margot auf und gewährte dem Ehepaar zehn Wochen Asyl in Lobetal bei Berlin.

Der Pastor leitete dort, nicht weit entfernt von Bernau, die Hoffnungstaler Anstalten mit 1200 Bewohnern und 500 Mitarbeitern. „Angst hatte ich damals nicht“, sagt Holmer, obwohl es auch Bombendrohungen gegeben habe. „Eine sehr menschliche Tat in einer Zeit, als sämtliche Regierungsinstanzen versagten“, meint der Historiker Fred Mrotzek.

Grundverschiedene Lebensläufe

In Lobetal trafen grundverschiedene Lebensläufe aufeinander. Holmer als evangelischer Mecklenburger war 60 Jahre alt und hatte zehn Kinder. Honecker war 77 Jahre alt, nach 13 Jahren als DDR-Regierungschef entmachtet worden und hatte nach einem Klinikaufenthalt keine Bleibe mehr. Die Wohnsiedlung der SED-Funktionäre in Wandlitz – 20 Kilometer weg – wurde aufgelöst.

DDR-Rechtsanwalt Wolfgang Vogel hatte bei der Kirche angefragt, ob sie „Erich und Margot“ aufnehmen würde. Überall wurde befürchtet, dass sich der Volkszorn gegen das Paar richten könnte, zumal auch Margot Honecker als Ex-Volksbildungsministerin nicht gerade beliebt war. Holmer stimmte nach langer Beratung mit den Mitarbeitern zu: „Wir beten jeden Sonntag um Vergebung, dann müssen wir das auch tun.“ Er brachte Honeckers in seinem Pfarrhaus unter, da nur noch zwei der Kinder zu Hause lebten.

Das Dorf war sicher

Die Idee, ein christliches Dorf wäre sicherer als anderswo, ging auf. Die Mitarbeiter wirkten in Debatten deeskalierend auf Protestler. „Manch einer ist damals mit Wut im Bauch zu uns gekommen, aber mit Verständnis wieder gefahren“, erinnert sich Holmer. „Nur einmal haben wir eine Bombendrohung gemeldet, weitere meldeten wir nicht mehr.“ Als die Honeckers im März doch in einen Regierungsbungalow in Lindow (Kreis Ostprignitz-Ruppin) wechselten, ging das schief. Es drohte eine Eskalation, das Ehepaar kehrte daraufhin noch einmal für zwei Wochen zu Holmers zurück. Bei Spaziergängen mit dem kranken Ex-SED-Chef vertrat Holmer die Ansicht, dass die deutsche Wiedervereinigung nach 40 Jahren kein Zufall sei. Eine solche Zeitspanne nenne die Bibel für eine Läuterung oder Buße. „Man hat die Macht immer nur für eine begrenzte Zeit“, sagt Holmer.

Verständnis wünscht sich Holmer auch in der Debatte um die „Pegida“-Bewegung. Viele hätten die 19 Punkte, die die islamkritische Bewegung in Dresden vorgelegt habe, nicht mal gelesen. „Wir müssen miteinander reden, nicht übereinander.“ Zu Gewaltakten müsse man „Nein“ sagen, aber auch über Probleme mit dem Islam in Europa redendürfen.

Den Pastor hält noch Arbeit und die Familie mit mehr als 60 Enkeln und Urenkeln auf Trab. Er hält Andachten bei der Betreuung Alkohol- und Suchtkranker in Serrahn und Vorträge. Sein Buch „Der Mann, bei dem Honecker wohnte“ ist rund 20.000 Mal verkauft worden. Der kranke Ex-DDR-Staatschef starb im Jahr 1994. Zu Margot Honecker in Chile hat der Pastor bisweilen noch per Post Kontakt.

Erich Honecker: Seine letzten Jahre in Deutschland

Januar 1993: Das neue, vereinte Deutschland liegt in der Dunkelheit. Es ist kurz vor Mitternacht in Frankfurt am Main, als Erich Honecker, 80 Jahre alt, in seine Boeing 747 der Fluggesellschaft „Varig“ steigt und nach Südamerika aufbricht. 22 Stunden später wird er seine Ehefrau Margot in Chile wiedersehen. Seine Odyssee dauert da schon viele Jahre an. Im Oktober 1989 muss er von seinem Posten als DDR-Staats- und Parteichef zurücktreten und seine Wohnung in der Politbüro-Siedlung in Wandlitz räumen.

Erich Honecker
Erich Honecker

© picture-alliance/ dpa

Er sitzt kurz im Gefängnis in Berlin-Rummelsburg, findet dann Asyl bei Pastor Holmer von Januar bis April 1990, ehe er sich im sowjetischen Militärkrankenhaus Beelitz behandeln lässt und im März 1991 nach Moskau ausgeflogen wird.

Als der Druck auf den Kreml erhöht wird, wird Honecker im Juli 1992 zurück nach Berlin geflogen, wo er im Gefängnis in Moabit landet. Dort verbringt er knapp 170 Tage in Untersuchungshaft, ehe er – nach einem kaum noch zu durchschauenden Prozess – schwer krank entlassen wird und sich zum Frankfurter Flughafen begibt. In Chile schließlich stirbt Honecker im April 1994. Margot Honecker, 87 Jahre alt, lebt dort noch immer. Das Foto rechts, eines der aktuellsten von ihr, entstand im Jahr 2011.

Winfried Wagner

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