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Vielseitig. Heute ist in dem Bau die European School of Management and Technology zu Hause. Vor dem Balkon rief Karl Liebknecht 1918 die sozialistische Republik aus.

©  Thilo Rückeis

DDR-Bauten in Berlin: Staatsratsgebäude in Mitte - Fassade der Fantasie

Es diente Walter Ulbricht, Gerhard Schröder und Rammstein als Kulisse. Jetzt wird das Staatsratsgebäude am Schloßplatz 50 – und birgt manche Geheimnisse.

Da wachten sie stets bei feierlichen Anlässen vor dem großen Tor, die beiden jungen Männer mit dienstlich-kantigen Gesichtern unter dem Stahlhelm, mit Gewehr über der Schulter und in sehr blank geputzten schwarzen Stiefeln. Die standen auf einem Sockel, der eine Holzkiste war, und immer wenn es da unten piepte, legten sie das Gewehr von der einen auf die andere Seite. „Militärisches Zeremoniell“ vor der schweren Eingangstür im Staatsratsgebäude am Marx-Engels-Platz: Vor 50 Jahren wurde der Stahlbetonskelettbau mit der Fassade aus Sandstein und rotem Granit eröffnet und zur Überraschung vieler in der Mitte der Vorderfront mit dem antiken Eosander-Portal aus dem gesprengten Stadtschloss gegenüber versehen.

Der Grund? Karl Liebknecht hatte, auf einem Auto stehend, vor dem Balkon dieses Portals IV am 9. November 1918 die „sozialistische Republik“ ausgerufen. Nun sollte das eindrucksvolle, wuchtige Teil, das nie zum restlichen modernen Bau passen wollte, die Verwirklichung der Ziele Karl Liebknechts in der real existierenden DDR symbolisieren.

Als der Vorsitzende des Staatsrates Walter Ulbricht in den Bau zog, bewunderte er die schönen Arbeits- und Sitzungsräume – das Haus war großzügig gestaltet, hatte breite Treppenaufgänge, kleine und große Säle für Banketts, Empfänge und Auszeichnungszeremonien. Über drei Stockwerke zieht sich ein Glasbild von Walter Womacka, das die Arbeiterklasse verherrlicht, die quasi aus den Köpfen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht herauszuwachsen scheint.

Radikalinskis wollten das Haus abreißen

Die „Zeit“ schrieb über das 180 Quadratmeter große Kunstwerk: „Auffällig sind die apfelbrüstigen Genossinnen im Stil des sozialistischen Realismus, die aus christlicher Ikonografie bekannte Position eines antifaschistischen Kleinkindes sowie die bewaffnete Truppe vor dem ersten Plattenbauelement und der feste Händedruck, der die Arbeiter des Kopfes und der Faust im Mittelpaneel zu einem Zeitpunkt verbindet, da die Flucht nicht mehr möglich war.“

Hausherren, die jeden Tag das trotzige „Trotz alledem“ auf dem Weg in ihr Büro lasen, waren nach Walter Ulbricht (bis 1973) Willi Stoph (1973 bis 1976), Erich Honecker (1976 bis 1989), Egon Krenz (24. Oktober 1989 bis 6. Dezember 1989) und Manfred Gerlach (6. Dezember 1989 bis 5. April 1990). Das Gebäude lag wohlweislich in unmittelbarer Nähe zum großen Komplex des SED-Zentralkomitees, wo die eigentlichen Entscheidungen getroffen wurden, am heutigen Schloßplatz wurde vor allem repräsentiert.

Nach der Wende gab es Radikalinskis, die das Haus als höchst bedenklich politisch belastet – wie den gegenüberliegenden Palast der Republik und das Außenministerium – abreißen wollten. Die Debatte verstummte, nachdem das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt worden war. Nun konnte auch Gerhard Schröder 1999 getrost dort einziehen und störte sich – bis das Kanzleramt 2001 fertig war – überhaupt nicht daran, dass in einem Saal als großes Mosaik an der Stirnwand das DDR-Staatswappen prangte. Bis heute, na und? Dieser Teil der Geschichte interessierte auch nicht die Band Rammstein, als sie 2001 in dem Gebäude ihr Musikvideo zu „Ich will“ drehte.

Historischer Weihnachtsmarkt vor der Tür

Seit 2006 steht über dem Eingang „European School of Management und Technology“ – von 2003 bis 2005 war das Gebäude für 35 Millionen Euro grundsaniert worden, dabei fand man einen Fluchtkeller mit Räumen, die auf merkwürdige Weise belüftet wurden: Durch eifriges Strampeln auf zwei Fahrrädern wurden Frischluftventilatoren angetrieben. Die Architekten Roland Korn und Hans Bogatzky erinnerten sich: „Wir haben diesen Schutzraum auf Wunsch Walter Ulbrichts für den sogenannten E-Fall projektiert, wahrscheinlich wollten die da ausharren, bis die russischen Panzer kamen“.

Zum 50. Jahrestag des Hauses gibt es keine Feier, sondern einen historischen Weihnachtsmarkt vor der Tür – ja, genau da, wo früher die Soldaten strammgestanden hatten.

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