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Fliegt übers Wochenende nach Kopenhagen - es ist eure Entscheidung.

© Federico Gambarini/dpa

Das richtige Leben im falschen: „Esst Fleisch, fliegt Flugzeug, fahrt SUV – aber steht dazu!“

Flugscham, Autoscham? Alles Unfug. Wer sich öffentlich geniert, giert nur nach einer Entschuldigung, um nichts ändern zu müssen. Eine Polemik.

Kürzlich kam eine Bekannte vorbei und erzählte von ihrem anstehenden Kurztrip nach Rom. Sie wollte ein paar Tipps, schwärmte von der Herbstsonne und Dolce Vita, um sich dann pflichtschuldig und mit zerknirschtem Ausdruck selbst zu geißeln, dass das mit dem Flug und der Airbnb-Wohnung ja eigentlich gar nicht mehr gehe … Klima und Gentrifizierung und so.

Tags drauf in der Kantine. Ein Kollege bestellte das Schnitzel. Statt es zu genießen, nölte er die ganze Zeit, dass man das ja eigentlich auch gar nicht mehr bestellen dürfe: Tierschutz, Methan, Gesundheit. Es sei ja nicht mal Bio. Aufgefuttert hat er es trotzdem.

Abends auf einer Party dann verabschiedete sich ein Kumpel auf den Balkon zum Rauchen. Allerdings auch in diesem Falle nicht ohne den selbstkritischen Hinweis, dass ihm natürlich bewusst sei, was er sich damit antue. Und wo er schon dabei sei: Die nächsten Tage müsse er dann auch mal etwas weniger trinken.

Schlechtes Gewissen: schlecht für das Herz

Ohne öffentlichkeitswirksames Lamentieren über die Zwiespältigkeiten zwischen persönlichen Wünschen und sozial akzeptiertem Verhalten geht derzeit anscheinend gar nix mehr. Nicht mal Adorno dürfte 1951 geahnt haben, dass seine damals notierte Behauptung „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ 68 Jahre später den Status einer unhinterfragten Wahrheit innehaben würde.

Dabei ist es prinzipiell zu begrüßen, dass die Leute mal anfangen zu reflektieren. Ja, es wird zu viel geflogen, ja, es wird zu viel Billigmode bei Primark gekauft, ja, Rauchen bringt einen um. Was ich aber nicht mehr ertrage, ist dieses Gejammer, aus dem keinerlei Konsequenzen folgen.

Fliegt übers Wochenende nach Kopenhagen, kauft Würstchen bei Lidl, bingewatcht „Germany’s Next Topmodel“, fahrt eure Kinder im SUV bis an die Klassenzimmertür. Aber dann steht vermaledeit auch dazu! Es ist eure Entscheidung. Es gibt nämlich sehr wohl ein richtiges Leben im falschen.

Ich könnte jetzt eine Reihe von Studien zitieren, die darauf hindeuten, dass das schlechte Gewissen für das Herz viel schlimmer sei als der damit verzehrte Frühstücksspeck. Aber eigentlich nehme ich euch gar nicht ab, dass ihr euch aufrichtig schämt.

Ihr braucht meinen Segen nicht

Wer sich wirklich geniert, der würde lieber tot umfallen, als mit seinem Gehadere auch noch permanent hausieren zu gehen. Deshalb sind die Begriffe Flugscham, Autoscham, Fleischscham kompletter Unfug. Das alles ist kein Ausdruck von Scham, sondern eine bewusste oder unbewusste Strategie, die Irritation aufzulösen. Ein Trick, nichts ändern zu müssen und trotzdem den aufgeklärten Weltbürger geben zu können. Ich weiß, dass ich das nicht sollte, aber immerhin weiß ich das.

Ich glaube, was ihr mit eurem Gegreine eigentlich wollt, ist Absolution. Die gebe ich euch aber nicht. Nicht, weil ich euch für euer Verhalten verurteile, sondern gerade, weil ich das nicht tue. Ihr seid denkende Erwachsene, selbst wenn euch eure Instagram- und Twitter-Accounts zu verunsicherten gefallsüchtigen Kleinkindern erziehen. Ihr braucht meinen Segen nicht. Ihr braucht überhaupt keinen Segen. Ihr könnt für euch selbst denken!

Wenn ihr etwas tut, tut es. Wenn ihr etwas nicht tut, lasst es. Aber egal wie ihr euch entscheidet, übernehmt verdammt nochmal auch die Verantwortung dafür!

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