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Berlin: Das open government der Digital Natives

Mit den Piraten zieht eine neue Sprache ins Parlament ein - ehrlich direkt, aber auch szenig unverständlich

„Warum machen wir den Scheiß eigentlich?“, so stand es auf einem der Plakate der Piraten. Darunter ihre Forderungen. Und zehn Minuten nach der ersten Prognose sagte Spitzenkandidat Andreas Baum über das Ergebnis: „Ich bin baff.“ Mit den Piraten ist eine neue politische Kraft ins Parlament eingezogen mit einer neuen Sprache. Sie ist provokativ, vor allem für Jüngere normal, ein wenig auch Stimme des Protests gegen die Sprache der etablierten Parteien – aber sie ist nicht für alle verständlich.

„Ihre Sprache war ihr Marktvorteil. Von ihren Wählern wurde sie als positiv wahrgenommen“, sagt der Tübinger Rhetorik-Professor Boris Kositzke. Und das stimmt offenbar. Junge Menschen seien genervt von der verschwurbelten und komplizierten Politikersprache, die manches verschleiert. Das stellte im Juni bereits die Studie „Sprichst Du Politik“ der Friedrich-Ebert-Stiftung fest.

Dagegen überraschten die Piraten schon im Wahlkampf mit teils flapsigen, aber ehrlichen Stellungnahmen, bei denen sie ohne Umschweife selbst für sie möglicherweise Peinliches äußerten. Hatten sie sich mit einem Thema noch nicht beschäftigt, sagten sie dies offen. Doch andererseits sprechen sie auch eine Szenesprache, die die anderen Parteien und etliche Bürger noch immer wenig oder gar nicht kennen: die des Internets. Sie fordern „open government“ und meinen damit offenes Regieren. Sie kommen bei jenen gut an, die soziale Netzwerke nutzen, die sich politisch engagieren, indem sie online Petitionen unterzeichnen, sich über Twitter und Facebook zu Flashmobs verabreden oder „Green Guerilla“ betreiben, das heißt, heimlich Gemüse in der Innenstadt pflanzen. Und sie greifen kundig die Angst vor der Speicherung von persönlichen Daten auf. Auch deshalb nennen die Piraten Familienministerin Ursula von der Leyen „Zensursula“.

Die Piraten sind eine Partei der so genannten „Digital Natives“, einer Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist. Aber sie sprechen durchaus auch ältere Berliner an, bei denen der Laptop inzwischen zum Alltag gehört. Dass sie aus der Welt der Blogs Eingang in den Mainstream gefunden hätten, sei kein Zufall, sagt Kositzke. „Mit ihrer Gruppensprache beziehen sie Menschen mit ein, die bisher politikfern oder kritisch waren. Das habe zumindest am Anfang eine „identitätsstiftende Wirkung.“ Und sie trafen im vernetzten Milieu eines jungen und trendigen Berlins auf optimale Voraussetzungen für ihren Wahlkampf.

„Es ist eine Bewährungsprobe, ob sich die Sprache der Politiklaien etabliert oder nur in der ersten Phase ihrer Unwissenheit von ihnen gebraucht wird“, sagt Kositzke. Auch die Grünen hätten mit langen Bärten und Pullis und einer flapsigeren Sprache angefangen. Ob sich die Piraten als Partei etablieren, hänge langfristig davon ab, ob sie auch die breite Bevölkerung ansprechen würden. Und dafür müssten sie ihre Spreche modifizieren, sagte Kositzke. Wie die Grünen. Inhalte seien langfristig nur durchsetzungsfähig, „wenn sie gut und vor allem glaubwürdig präsentiert werden.“

Ähnlich sieht dies Sprachwissenschaftler Norbert Dittmar von der Freien Universität Berlin (FU). „Szenesprache ist nicht das Nonplusultra“, sagt er. „Wer viele Menschen erreichen will, muss sich mit möglichst wenigen klaren Worten gut verständlich ausdrücken.“Hadija Haruna

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