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Der Verein des kleinen Filmrauschpalasts, zu dem Arian Berndt (von links), Sophia Derda und Erik Scharwächter gehören, setzt auf freiwillige Mitarbeit und die Liebe zum Film, der für sie unbedingt analog gezeigt werden muss.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Das beliebteste Kino Berlins: Sie zeigen alles außer Til Schweiger

Der Filmrauschpalast ist das einzige Kino in Moabit. Es gibt kein Popcorn, die Heizung ist kaputt. Trotzdem ist das Team erfolgreich. Warum?

Es gibt kein Popcorn im Palast. „Niemand, der im Kino arbeitet, mag Popcorn“, sagt Arian Berndt. Er ist Filmvorführer im Filmrauschpalast, dem einzigen Kino in Moabit. Aber mit seinem Vollbart, dem dunkelblauem Mantel und der rosa Wollmütze sieht er eher aus wie ein hipper Seemann.

„Der einzige Grund, warum Kinos Popcorn verkaufen, ist, weil die Marge 600 Prozent beträgt. Und die Kinos alle ihre Gewinne mit Snacks und Getränken machen“, sagt Berndt. „Wir haben den Luxus, es uns leisten zu können, einfach darauf zu scheißen.“

Das Dach ist undicht und die Heizung kaputt

Berndt sitzt auf einem Sessel im Vorraum des Kinos. Der rot-weiß karierte Fliesenboden ist gesprungen, links von ihm sitzt Sophia Derda, die Social Media und das Programm mitgestaltet. Sie sitzt auf einer großen Leopardencouch, auf der so ziemlich jeder, der hier arbeitet, schon mal Sex gehabt haben soll. Neben der Couch steht der alte Ofen.

Sie heizen hier eigentlich mit Holz, aber der Ofen ist seit Monaten kaputt. Der neue Ofen ist jetzt da, er steht auf einem Stahlgestell, damit das Gebäude nicht unter seinem Gewicht zusammenbricht. Aber er läuft noch nicht. Deshalb hat Berndt seinen Mantel noch an.

[Moabit ist Beste. Das weiß auch unsere Tagesspiegel-Leute-Autorin Laura Hofmann. Sie kümmert sich um News aus Mitte. In den Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Das Dach ist undicht, es regnet rein. Vor der Fassade des Gebäudes in der Lehrter Straße steht seit Jahren ein Baugerüst. Wenn unten mal wieder ein Death-Metal-Konzert ist, können sie oben keine Filme zeigen, weil der Boden so stark vibriert. Über Berndt dreht sich eine Diskokugel, die von einem Baustrahler angeleuchtet wird.

„Bleibt das jetzt eigentlich immer so?“, fragt Derda.

„Der Baustrahler hat mich beim Ticketverkauf so geblendet, da hab’ ich ihn auf die Kugel ausgerichtet“, sagt Berndt. „Und ich dachte, wenn sie sich nicht dreht, ist es ja witzlos.“

„Hat ja auch was“, sagt Derda.

Das ist der Filmrauschpalast. Fragt man Berndt, ob sie hier das beste Kino Berlins betreiben, sagt er ohne zu zögern: „Natürlich.“

Der Filmrauschpalast soll das beliebteste Kino Berlins sein

Überall in Berlin bedrohen Profitdruck und Gentrifizierung kulturelle Räume. Das Cinestar am Potsdamer Platz, das viele Originalversionen zeigte, ist seit dem Jahreswechsel zu. Auch in der Griessmühle, die jetzt schließt, gab es Filmvorführungen.

Aber hier, in der Lehrter Straße 35, wo alle Fassaden frisch eierschalengelb gestrichen, die Hecken akkurat gestutzt sind, liegt im zweiten Stock im Hinterhof einer ehemaligen Keksfabrik der Filmrauschpalast. Sie zeigen keine Werbung, das kleine Bier kostet 2,50 Euro, das große 3.

Der Eintritt kostet zwischen fünf und acht Euro. Laut dem Portal Testberichte.de belegt der Palast Platz 6 der besten deutschen Kinos, ist damit das beliebteste Berliner Kino – zumindest, wenn es nach den 340 000 analysierten Bewertungen geht. Dieses Jahr ist der Filmrauschpalast erstmals ein Partnerkino der Berlinale. Wie kann das funktionieren?

„No Popcorn, no Nachos, no Bullshit“

„Es gibt ein Richtig“, sagt Berndt und zeigt mit dem rechten Daumen nach rechts, „und es gibt ein Falsch“. Er zeigt nach links. „Und wir machen es richtig.“ Richtig heißt: Ein Soundsystem aus einem Kino mit 400 Plätzen in ihren Saal mit 45 Plätzen einzubauen. Richtig heißt: Die Filme in der Lautstärke zeigen, wie die Regisseure sie vorgesehen haben: 7,0 zeigt ein Display an.

„Die meisten zeigen es auf 3,5 oder 4“, sagt er. Dabei ist schon 5,0 nur 50 Prozent der vorgesehenen Lautstärke. Richtig heißt auch: Zwei 35-Millimeter-Analog-Projektoren, weil, wie Berndt sagt, analog alles Digitale schlägt, in Schärfe, Kontrast und Farbe. „Wir machen das nicht aus Nostalgie und weil es so schön knistert, sondern weil es einfach geiler ist.“ Und richtig heißt: „No Popcorn, no Nachos, no Bullshit“, sagt Berndt. So sehen sie das hier. Ohne Chips, Gummibärchen und Eis geht es aber auch nicht.

Es heißt aber auch: Keiner verdient hier etwas. Den Palast betreibt ein Verein. Knapp 50 Mitglieder hat er, um die 20 engagieren sich, alle ehrenamtlich. Berndt ist seit 2007 dabei. Er hat mal Wirtschaftsingenieurwesen studiert, BWL, Verkehrsmanagement. „Aber nichts abgeschlossen“, sagt er. Jetzt ist er Vorführer, auch in anderen Kinos.

1,4 Millionen Besucher hat ein Multiplexkino am Potsdamer Platz pro Jahr. Sie haben 9000

Ein paar Jahre zog der Palast als anarchisches Wanderkino durch die Stadt, seit genau 30 Jahren sind sie jetzt in der Kulturfabrik, die Berndt und Derda nur Kufa nennen. Ein Verein betreibt das Gebäude, was bedeutet, es vor dem Einsturz zu bewahren. Sie zahlen Hausgeld, die Reparaturen werden von den Mietern übernommen.

Nun soll endlich richtig saniert werden. Das Haus gehört indirekt der Stadt. Das Team muss keine Angst vor Verdrängung haben, obwohl der Filmrauschpalast winzig ist. Ein Multiplex am Potsdamer Platz habe im Jahr 1,4 Millionen Besucher, sagt Berndt. Ein Programmkino um die 100.000. Der Palast zählt 9000.

Hier laufen Quentin-Tarantino-Retrospektiven auf 35 Millimetern oder alle drei „Herr der Ringe“-Teile hintereinander. Aber aktuell auch „Jam“, ein Film, den eine Kollegin von Berndt auf einem Leipziger Filmfestival gesehen hat und unbedingt zeigen wollte. Auch wenn zur Vorstellung nur zwei Leute kommen. Wer sich im Verein engagiert, kann das Programm mitgestalten.

Einmal im Monat zeigen sie Trash

Durchschnittlich elf Zuschauer gibt es pro Vorführung. Bis vor einigen Jahren fielen fast alle Vorführungen aus, weil niemand kam. Dann zogen junge Leute in den Wedding und nach Moabit, nun profitiert der Palast von der Gentrifizierung. „Wir liegen zwischen Art-House und den Blockbuster-Kinos“ sagt Berndt.

„Wo die anderen Programmkinos sagen: Das ist uns zu populär, da sagen wir: Das machen wir.“ Der rote Faden, sagt Berndt, seien moderne Klassiker: The Big Lebowski, American History X, Watchmen. Einmal im Monat ist „Bahnhofskino“, da zeigen sie Trash – am Valentinstag unter dem Motto „Bullets, Bombs & Babes“ drei Filme, in denen Playmates in Badeanzügen und Pistolen Agentinnen spielen.

Gibt es etwas, das sie nicht im Filmrauschpalast zeigen würden? Berndt und Derda überlegen lange.

„Boah… Til Schweiger?“

„Vielleicht im Bahnhofskino?“ sagt Derda.

„Der wäre sogar dafür zu schlecht“, entgegnet Berndt.

Derda hakt nach: „Vielleicht in 20 Jahren?“

„Ja, dann kann man sich zurückerinnern.“

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