zum Hauptinhalt
Die BVG will ein neues Tarifmodell ohne festes Ticket testen.

© imago/Enters

„Damit baut man Barrieren auf“: Fahrgastverband kritisiert Ticketpläne der BVG

Keine Barzahlung mehr und ein neues Modell um Fahrpreise zu berechnen – das testen die Berliner Verkehrsbetriebe derzeit. Der Fahrgastverband kritisiert die Pläne scharf.

Wenn nicht gerade Bahnstreik ist, kehren die Besucher langsam wieder zurück: Die Fahrgastzahlen im öffentlichen Nahverkehr liegen wieder bei mehr als 70 Prozent des Vorkrisenniveaus, teilten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) vor wenigen Tagen mit. 

Doch was auf die Passagiere aktuell zukommt und in den kommenden Jahren drohen könnte, gefällt den Vertretern des Berliner Fahrgastverbands Igeb nicht. Insbesondere bei Bezahl- und Tarifmodellen sprachen sie sich im Rahmen ihrer Jahres-Pressekonferenz am Donnerstag klar gegen Änderungen am System aus.

Die Igeb-Kritik gilt dem Vorhaben der BVG, in Bussen keine Barzahlungen mehr zu akzeptieren. „Wir sind erschrocken, dass jetzt weiterhin im BVG-Busverkehr das Barzahlen ausgeschlossen werden soll“, sagte der Vorsitzende Christfried Tschepe. Zwar gibt es für das aktuell als Pilotprojekt laufende Modell noch keine dauerhafte Zulassung der Senatsverkehrsverwaltung. Doch dass die BVG alle Busse mit bargeldlosen Kassensystemen ausgestattet hat, lässt ein Abrücken kaum erwarten.

„Barrierearmer Zugang zum öffentlichen Verkehr heißt auch, dass ich auch fahren kann, wenn ich nicht im Besitz eines Smartphones oder einer Kreditkarte bin“, sagte Tschepe. Sonst könnten insbesondere ältere Menschen und Kinder ausgeschlossen werden. Dabei könnte der bargeldlose Fahrkartenkauf nur der erste Schritt gewesen sein. 

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Der Fahrgastverband kritisiert, dass die BVG zudem an der Einführung eines Check-in-/Check-out-Systems arbeitet. Passagiere sollen dabei keinen Fahrschein mehr ziehen oder ein Abo abschließen. Stattdessen checken sie bei jeder Fahrt über das Smartphone ein. Eine App errechnet anschließend über einen gewissen Zeitraum den jeweils günstigsten Preis. Noch im September sollen die Tests dazu starten.

[Ob Wohnen, Verkehr, Sicherheit oder Gesundheit: Alles, was Sie zur Berlinwahl am 26. September wissen müssen, finden Sie jetzt auf der interaktiven Wahlseite des Tagesspiegel.]

Aus Sicht der Fahrgastvertreter ist die vermeintliche Vereinfachung ein Rückschritt: „Die Check-in-/Check-out-Lösung zielt auf entfernungsabhängige Tarife ab. Damit baut man Barrieren auf“, sagte Tschepe. Wichtig sei, dass Passagiere nicht ständig überlegen müssten, ob sie die Fahrt antreten. Genau das sei der Vorteil des bestehenden Abo-Modells über die Umweltkarte.

Der Igeb-Vorsitzende kritisierte, dass die BVG die Pläne ohne Abstimmung mit dem VBB umsetze. Schuld daran sei auch, dass der Berliner Senat, die im Koalitionsvertrag angekündigte Tarifstrukturreform in dieser Legislatur nicht angegangen sei, sagte Tschepe. 

„Dazu ist es nicht gekommen, stattdessen macht die BVG im Alleingang Vorschläge." Es sei Aufgabe des Senats, an dieser Stelle Entscheidungen zu treffen, sekundierte sein Stellvertreter Jens Wieseke. „Die Politik kann sich da nicht wegducken, sie ist dafür da, um das zu gestalten.“

[Sie haben die Wahl! Mit dem Berlin-O-Mat des Tagesspiegel können Sie herausfinden, welche Partei Sie in Berlin wählen sollten - auch in ihrem Bezirk.]

Die BVG weist die Vorwürfe des Fahrgastverbands entschieden zurück. "Es war, ist und bleibt oberstes Ziel der BVG zusätzliche Abonnent*innen zu gewinnen. Die einfache Handhabung verbunden mit dem günstigen Preis macht viele ÖPNV-Kund*innen zu Stammkund*innen. Die Abonnements bleiben in jedem Fall unverändert erhalten und sollen zukünftig durch weitere Vorteile noch attraktiver gestaltet werden", teilte das Unternehmen mit.

Auch ziele die Check-in-/Check-out-Lösung nicht darauf, entfernungsabhängige Tarife einzuführen. Das Ziel sei stattdessen, "die Nutzung des ÖPNV so einfach wie möglich zu machen", hieß es. Mit dem System könnten auch Gelegenheitsnutzer:innen ohne Tarifkenntnisse jederzeit sicher sein, den günstigsten Tarif zu zahlen. Es handele sich zudem nicht um einen Alleingang. Vielmehr sei das Vorgehen mit dem VBB abgestimmt, auch mit der Senatsverkehrsverwaltung sei man bezüglich bestmöglicher Tarife im Gespräch.

Bislang handele es sich zudem nur um einen Pilotversuch mit tausend Personen, betonte die BVG. Dieser solle im Oktober starten. "Von diesem Test erhoffen wir uns Erkenntnisse für Tarifentwicklung im Sinne unserer Kund*innen", hieß es.

Der Fahrgastverband nutzte die Pressekonferenz auch um ein Fazit nach fünf Jahren rot-rot-grüner Verkehrspolitik zu ziehen. Dieses fiel gemischt aus: Zwar seien etwa durch das Mobilitätsgesetz auf dem Papier wichtige Voraussetzungen für die Verkehrswende geschaffen worden. Doch „in der praktischen Umsetzung gibt es viele Defizite“, sagte Tschepe.

Fahrgastverband fordert schnelle Busbeschleunigung und Tramausbau

In diesem Zusammenhang nannte er auch das Problem der schleppenden Beschleunigung des Bus und Tramverkehrs. Vorrangschaltungen und eigene Spuren für Busse seien nur sehr langsam umgesetzt worden. Die Senatsverkehrsverwaltung verweist in diesem Zusammenhang regelmäßig auf die Bezirke, die die angeordneten Strecken nicht umsetzen würden. „Das mag zum Teil stimmen“, sagte Tschepe. „Aber letztlich ist es den Fahrgästen egal, ob der Senat oder die Bezirke Schuld sind. Tatsache ist, dass wir die Ziele nicht erreicht haben, was die Busbeschleunigung betrifft.“ Das auch in Berlin Dinge schneller gehen könnten, hätten die Pop-up-Radwege gezeigt. ähnliches forderte er auch für Busspuren.

Als wichtigstes Mittel für die Verkehrswende sieht der Verband weiterhin den zügigen Ausbau der Tramstrecken. Kurzfristig müssten zunächst jedoch gute Busverbindungen helfen. Tschepe machte die Bedeutung der beiden Verkehrsmittel im Vergleich zum U-Bahnbau an der Bauzeit deutlich: „Klar ist, dass der U-bahnbau immer ein aufwand ist der niemals schnell und günstig umgesetzt werden kann. Da reden wir von Jahrzehnten, bei der Straßenbahn von Jahren und Bussen, wenn man es richtig macht, Monate.“

Zur Startseite