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West-Berliner Gewimmel. Das Titelbild des Buches zeichnete Gerhard Seyfried.

© Abbildung: Berlinica-Verlag/Seyfried

Damals in West-Berlin: Bunt und hässlich, aber herzlich

Am Ende hatten sich die West-Berliner mit der Mauer arrangiert. In ihrer Stadthälfte war das Leben schrill und behütet zugleich

Dieser Satz fängt die verlorene Lebenswelt ein: „Berlin fühlte sich irgendwie immer gut an, auch wenn es nicht schön aussah – gerade an seinen hässlichen Ecken.“ Geschrieben hat ihn Tanja Dückers in der jetzt erschienenen Anthologie „Unser West-Berlin – Lesebuch von der Insel“ [herausgegeben von Eva C. Schweitzer, Berlinica Publishing, Berlin 2019, 224 Seiten, 20 €] Die Journalistin erinnert (sich) an die gepflegten Vorurteile gegenüber den Wessis, „die ein bisschen hinter dem Mond lebten“. Sie schreibt über Grenzkontrollen, die holprige, von Kiefern gesäumte Transitstrecke und die Erleichterung, wenn man nach dem Besuch in „Wessiland“ wieder am Grenzkontrollpunkt Dreilinden angekommen war. Wieder zu Hause.

Bus 28 fuhr im Zickzack die Mauer entlang

In Kreuzberg zum Beispiel, das Detlef Kurth als Kind „zu einer bunten, widersprüchlichen, querdenkenden und zugleich herzlichen Heimat“ geworden war. Die Buslinie 28, natürlich längst eingestellt, fuhr im Zickzack an der Mauer entlang. Eine Haltestelle war am Lausitzer Platz, wo die Bürgerinitiative SO 36 ein Haus besetzt hatte. Einer der neuen „Mieter“ war Gerhard Seyfried, dessen Zeichnungen über die liebenswert-chaotische Halbstadt schnell Kult wurden. Die Polizei fuhr auf ihnen oft – wie in der Wirklichkeit der 80er Jahre – in verbeulten, von Steinen malträtierten Mannschaftsbussen, den „Wannen“, natürlich ohne die Aufschrift „Polente“. Die Beamten zeichnete Seyfried als tollpatschige Gesellen, denen man nicht böse sein konnte.

Die Vopos und der Citroen

Zahlreiche Tagesspiegel-Autoren haben an diesem Buch mitgewirkt. Bernd Matthies etwa schreibt über die Flughäfen Tempelhof, Tegel und Schönefeld. Vom letztgenannten hoben Interflug oder Tarom ab, „die für relativ wenig Geld die Welt erschlossen“. Andreas Austilat erinnert sich an ein „Abenteuer im Plänterwald“ im Jahre 1977. So viele Fallstricke lauerten bei der Einreise. Eine 20-Centimes-Münze etwa, die als „Devisen“ hätte deklariert werden müssen. Und wie baute man die von den Vopos abgenommene Seitenverkleidung wieder ein?

„Am Ende hatten sich die West-Berliner mit der Mauer derart arrangiert, dass sie auf ihr Niederreißen reagierten wie Stallhasen, denen man plötzlich die schützenden Wände weggenommen hat“, schreibt Harald Jähner. Da ist was dran. „Unser“ Berlin war eben speziell. Einfach zum Wehmütigwerden.

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