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Oleander, Pool und U-Bahn. So lässt sich's leben und arbeiten auf dem Paletten-Sofa im Dachgarten an der Oberbaumbrücke.

© Kitty Kleist-Heinrich

Dachgartenparadies in Kreuzberg: Ein Sonnenplatz über der Oberbaumbrücke

Füße im Planschbecken, Laptop auf den Knien, nebenan Gemüse – so lässt es sich kreativ arbeiten. Ein Kreuzberger Marketing-Team hat sich als Freiluft-Büro einen Dachgarten angelegt.

Dörfer in Brandenburg haben ihren treuen Storch. In den Dachgarten der Kreuzberger „Diffferent GmbH“ kehrt eine Stockente stets zuverlässig zurück. Alljährlich brütet sie hoch überm Spreeufer an der Oberbaumbrücke auf einem Pflanzkasten zwischen den Kräutern und Salaten. Seit 2014 geht das so. Alle empfinden die Rückkehr der Ente als großes Kompliment für ihr kleines Paradies. „Damit die frisch geschlüpften Küken sicher vom Nest zum Boden watscheln können, haben wir sogar eine Rampe gebaut“, erzählt Marion Schumann, Leiterin der Unternehmenskommunikation.

Im Freiluftbüro diskutieren die Kollegen über neue Geschäftsmodelle

Die 34-Jährige steht an einem Sommertag zwischen hohen, gerippten Mangoldblättern, Sonnenblumen und Basilikumbüschen. „Bei schönem Wetter haben wir unsere Meetings hier draußen. Ist das nicht ein großartiger Arbeitsplatz?“, fragt sie, strahlt mit der Sonne um die Wette und präsentiert das Freiluftbüro. Dort klappten die Kollegen an einem der langen Gartentische ihre Laptops auf. Und während es um sie herum üppig grünt und blüht, diskutiert es sich viel leichter über Marktforschungsergebnisse, neue Geschäftsmodelle und Innovationen.

Am üppig bepflanzten Hochbeet: Marion Schumann, Leiterin der Unternehmenskommunikation.
Am üppig bepflanzten Hochbeet: Marion Schumann, Leiterin der Unternehmenskommunikation.

© Kitty Kleist-Heinrich

Der Ausblick ist überwältigend: Friedrichshain, Kreuzberg und die Spree aus der Perspektive der Möwen, die etwa in gleicher Höhe über dem Fluss schweben.

Bis 2011 gab es auf dem Dach des gut 15 Meter hohen Gebäudes an der Falckensteinstraße in Kreuzberg nur eine flache, öde Betonfläche, genau auf Höhe der Hochbahntrasse. Das Haus steht am Spreeufer direkt neben der Auffahrt zur Oberbaumbrücke. In den unteren Stockwerken ist der Watergate-Club untergebracht, in den drei Etagen darüber entwickeln die rund 80 Mitarbeiter der „Diffferent GmbH“ in geräumigen, lichtdurchfluteten Büros Ideen für Firmen, die sich Unterstützung im Marketing wünschen.

Es duftet nach Lavendel, Rosmarin und Tomatenlaub

Dabei schauten die Mitarbeiter jahrelang auf ein graues Betondach, bis sie beschlossen, auch in eigener Sache mal kreativ zu werden. Die Idee Dachgarten war schnell gefunden, aber erst mal bremste das Bauamt ihren Schwung, es hatte statische Bedenken. Eine Erdschicht mit Mutterboden auf der gesamten Decke wäre zu schwer gewesen.

Schließlich einigte sich die Agentur mit dem Bezirk darauf, in mehr als 30 großen, erdgefüllten Holzkisten zu gärtnern. Knie- bis hüfthoch stehen sie im Karree nebeneinander, dazwischen Sitznischen, schmale Gänge, in denen es nach Lavendel, Rosmarin oder Tomatenlaub duftet. Orange blühende Kapuzinerkresse quillt aus einem Hochbeet, Bohnen klettern drei Meter hoch. Bienen fühlen sich zwischen den tiefblauen Blüten des Borretsch wohl, Salatköpfe und Zucchini stehen gut im Wuchs.

Zum Greifen nah rumpelt die U-Bahn vorbei ... und bei Sonnenscxhein zieht das Team nach draußen - siehe nächstes Bild.
Zum Greifen nah rumpelt die U-Bahn vorbei ... und bei Sonnenscxhein zieht das Team nach draußen - siehe nächstes Bild.

© Kitty Kleist-heinrich

Eine große Terrasse umrahmt den Arbeitsbereich. „Dort sitzen wir, wenn wir uns zwischendurch ein Päuschen gönnen“, sagt Marion Schumann. „Und nach Feierabend kann sich jeder Mitarbeiter im Dachgarten bis um 23 Uhr entspannen und seiner Lust zum Gärtnern freien Lauf lassen.“ Das Projekt Dachgarten mache so vieles besser: „Es bringt die Kollegen zusammen, fördert den Einfallsreichtum, die Zufriedenheit mit dem Job und beeindruckt Kunden.“ Marion Schumann erinnert sich an ihr Bewerbungsgespräch in der Agentur. Als sie den Dachgarten das erste Mal sah, dachte sie sofort: „Hier kann ich mich wohlfühlen.“

Gerade eben steht sie am Geländer Richtung Oberbaumbrücke, ziemlich genau in Höhe der Hochbahntrasse der U-Bahn-Linie 1, die sich vom Schlesischen Tor zur Oberbaumbrücke windet, zum Greifen nah. Ein Zug rumpelt heran. Man blickt auf die rot geklinkerten Türme der Brücke mit dem märkischen Adler und Berliner Bären an der Spitze, auf die Weite der Stadtspree zwischen Jannowitzbrücke, Osthafen und Treptower Park. Ausflugsdampfer ziehen den Fluss hinauf, die Sonne bringt den „Molecule Man“ am Ufer der Treptowers zum Glitzern. Marion Schumanns Haar weht im Windschwall der U-Bahn.

Büro mit Aussicht. Der lange Dachgarten-Tisch wird bei der „Diffferent GmbH“ gern für Teamsitzungen genutzt.
Büro mit Aussicht. Der lange Dachgarten-Tisch wird bei der „Diffferent GmbH“ gern für Teamsitzungen genutzt.

© Kitty Kleist-Heinrich

In einer Ecke der Terrasse steht ein Holzkohlengrill. Vor der Kiste, aus der Stockrosen in Pink Richtung Sonne klettern, kräuselt sich das Wasser im Kinderpool. Zur Spreeseite hin sitzt Werkstudentin Elisabeth Wierczoch auf dem Holzpaletten-Sofa im Schatten eines Oleanders: das Brause-Glas griffbereit, das Tablet auf den Knien, die bloßen Füße im Planschbecken. Mittagspause? Nein, Job. Sie ist gerade dabei, Interviews mit Kunden fürs nächste Meeting zu dokumentieren.

Was das Gärtnern betrifft, hatte das Team die eigenen Fähigkeiten anfangs ziemlich überschätzt. Regelmäßig wässern, zupfen, düngen, Läuse sichten - das klappte im Berufsalltag nicht so gut. Längst haben sie deshalb fachkundige Helfer vom Gemeinschaftsgarten Prinzessinnengärten in Kreuzberg engagiert.

Im Garten über Berlin - für alle spannend.
Im Garten über Berlin - für alle spannend.

© Kitty Kleist-Heinrich

Das Dachgartenjahr des Marketingteams beginnt aber mit grüner Basisdemokratie. Alle sollen mitbestimmen, was in die Beete soll. Jeweils ab Januar liegt in der Agentur eine „Saatgutliste“ aus. Jeder Kollege kann seine Wünsche eintragen. Chefgärtner ist Hausmeister Gert Fritsche, 65. Er hat jahrelang in der Gastronomie als Koch gearbeitet, nun kümmert er sich um die Haustechnik und mit Leidenschaft um den luftigen Garten. Er erntet Kräuter, Salate, Früchte und Gemüse und verarbeitet alles gleich kulinarisch. Sind die Bohnen pflückreif, kocht er für alle 25 Liter Bohnensuppe. Salbei und Zitronenmelisse hat er gesammelt und getrocknet, ein idealer Teeaufguss in allen Büros für den ganzen Winter.

Von der Dachkante hüpfen die Entenküken in die Spree

Natürlich hat auch er die Ente ins Herz geschlossen. Etwa 25 Tage brütet sie auf ihren Eiern, an die Nähe des Teams hat sie sich gewöhnt. Kaum geschlüpft, wagen sich die Küken erstmals die von Fritsche ausgedachte Rampe hinab und schnattern eine Zeit lang durch den Garten, bis sie mit ihrer Mutter von der Dachkante hüpfen und hinunter zur Spree segeln.

Letztes Jahr hat die Entenmama eins ihrer Küken auf dem Dachgarten zurückgelassen; es war etwas schwächlich. Da hat Gert Fritsche es in der Küche aufgepäppelt. Die kleine Ente bekam einen Namen: Gerdrud. Als Gerdrud schließlich kräftig genug war, wurde sie behutsam zu einem Gehöft in Brandenburg gebracht.

Das Gartenmagazin des Tagesspiegels.
Das Gartenmagazin des Tagesspiegels.

© Repro:Tsp

Dieser Beitrag stammt aus dem Tagesspiegel-Magazin „Garten“: 100 Seiten mit Themen für Berliner Stadtgärtner und solche, die es werden wollen. Das Magazin gibt’s am Kiosk und im Tagesspiegel-Shop.

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