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Intensivstation. Eine Covid-19-Infektion kann zum Herzinfarkt führen.

© dpa

COVID-19-Pandemie: „Das Virus schleicht sich in die Organe“

Blockierte Arterien, Muskelentzündungen, Infarkte: Kardiologe Burkert Pieske erklärt, warum eine Corona-Infektion gefährlich für das Herz ist.

Herr Pieske, bisher dachte man, dass das neuartige Coronavirus vor allem für die Atemwege und besonders die Lunge ein gefährlicher Erreger ist. Nun häufen sich aber Hinweise aus Italien, China und den USA, dass das SARS-CoV-2 auch das Herz ernsthaft in Gefahr bringen kann. Haben Sie ähnlich Erkenntnisse gewonnen?

Ja. Dass das Virus auch unser Herz schädigt, kann man mittlerweile als erwiesen ansehen. Wir wussten schon, dass Menschen mit angeborenen oder erworbenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei dieser Virusinfektion ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf tragen. Denn ein solcher Infekt ist eine zusätzliche Belastung für das Herz-Kreislauf-System. So kann das tagelang anhaltende hohe Fieber, das ein Symptom von Covid-19 ist, und die gestörte Sauerstoffaufnahme über die Lunge das Herz-Kreislauf-System überlasten. Doch nun können wir anhand eigener Erfahrungen in unserer Klinik und der Berichte aus den vom Virus schwerstbetroffenen Ländern feststellen, dass das Virus auch das Herz gefährdet. An der Charité beobachten wir zurzeit bei bis zu einem Drittel aller Covid-19-Patienten Hinweise auf eine begleitende Schädigung des Herzmuskels.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Wie genau schädigt das Virus das Herz?

Es gibt verschiedene mögliche Szenarien. Zum einen kommt es bei einer Virusinfektion zu einer Aktivierung des Immunsystems. Der Körper produziert Abwehrstoffe, die virale Eindringlinge neutralisieren sollen. Wenn das Immunsystem auf so hohen Touren läuft, richten sich durch eine fehlgeleitete Immunreaktion manchmal die Abwehrmaßnahmen gegen den eigenen Körper. Dabei ist es möglich, dass sie den Herzmuskel angreifen und Herzmuskelzellen schädigen. Dies ist für den Patienten sehr bedrohlich, denn sie geht oft mit schweren Herzrhythmusstörungen oder einer Herzmuskelschwäche einher. Das ist die derzeitig plausibelste Variante. Zum anderen sehen wir bei einigen Covid-19-Patienten eine Gerinnungsstörung, die lebensbedrohlich werden kann. Denn entsteht dabei ein Blutgerinnsel und verstopft Herzkranzgefäße, Gefäße im Gehirn oder in der Lunge, kann das einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder eine Lungenembolie hervorrufen. Ähnlich verheerend kann die Wirkung sein, wenn durch die virusbedingten Entzündungsprozesse bisher unerkannte Anlagerungen in den Arterien aufbrechen, eine Arterie blockieren und somit einen Herzinfarkt auslösen. Schließlich wirkt es sich auch auf das Herz aus, wenn das Virus die Lungen schädigt und damit deren Kapazität zur Sauerstoffaufnahme reduziert. Der Herzmuskel, der wegen der entzündlichen Prozesse im Körper schneller pumpen muss, bekommt dadurch nicht den benötigten Sauerstoff. Auch hierdurch kann es zu einer Herzinsuffizienz und Herzschädigung kommen.

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Kann das Coronavirus auch direkt den Herzmuskel befallen?

Theoretisch kann das SARS-CoV-2-Virus, wie andere Coronaviren, über den Herzkreislauf alle Organe im Körper befallen. Um sich in die Organe einzuschleichen, bindet sich das Virus an spezielle Rezeptoren, die sich auf den Körperzellen befinden. Da sich diese Art Rezeptoren auch auf der äußeren Oberfläche der Herzzellen befinden, können wir nicht ausschließen, dass das SARS-CoV-2-Virus in diese eindringt und so eine Herzmuskelentzündung auslöst. Seit Kurzem wird klar, dass das Virus auch die feine Innenwand der Gefäße schädigt und so möglicherweise Mikroinfarkte oder Thrombosen auslöst.

Können also auch Patienten, die keine der üblichen Symptome einer Covid-19-Erkrankung zeigen, Herzschädigungen erleiden?

Es gibt tatsächlich Fälle, bei denen Covid-19-Patienten ohne schwere Lungen- und Atemwegsbeschwerden eine akute Herzschädigung erlitten haben. Die Patienten kamen dann mit typischen Symptomen eines Herzinfarktes – also Brustschmerzen, Atemnot und deutliche Erschöpfungsanzeichen – in die Notaufnahme. Doch bei der Untersuchung der Herzkranzgefäße zeigten sich keine Blockaden, die auf einen Herzinfarkt deuten würden. Der Test auf das SARS-CoV-2-Virus fiel dagegen positiv aus. Bei näherer Untersuchung erwies sich dann, dass eine Herzmuskelentzündung vorlag.

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Könnten Brustschmerzen und Atemnot ohne Husten oder Fieber, was klassische Beschwerden einer Herzerkrankung sind, letztlich auch zu den Covid-19-Symptomen gerechnet werden?

Das ist derzeit ganz neu in der Überlegung und wird im kardiologischen Bereich viel diskutiert. Je mehr Covid-Patienten solche Symptome aufweisen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die medizinischen Therapieleitlinien angepasst werden müssen. Aber das wird sich erst in den nächsten Monaten herauskristallisieren.

Wie wird zurzeit bei Ihnen in der Klinik für Kardiologie nach Behandlungsmöglichkeiten zum Schutz des Herzens bei einer Covid-19-Erkrankung geforscht?

In der Kardiologie bringen wir gerade zwei Therapiestudien auf den Weg. Einerseits werden wir untersuchen, ob der Einsatz eines blutverdünnenden Medikaments in der Frühphase der Virusinfektion das Risiko auf Komplikationen durch Gerinnungsstörungen verringert. Andererseits erforschen wir, ob ein Medikament zur Therapie der Herzinsuffizienz einen positiven Effekt auf den Krankheitsverlauf bei Covid-19-Patienten hat.

Floris Kiezebrink

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