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Gamer im Februar in Leipzig.

© dpa/Hendrik Schmidt

Computerspiele-Sucht: Kinder zocken immer mehr und geben dabei viel Geld aus

Mehr als fünf Stunden hängt Deutschlands Jugend täglich im Netz, die Suchtgefahr steigt - und neuerdings auch das finanzielle Risiko.

Von Fatina Keilani

„Computer machen Apfelmus aus Kindergehirnen“, sagte Joseph Weizenbaum schon 2005, und der muss es wissen: Er war Professor am Massachusetts Institute of Technology. Inzwischen ist die Zeit über seine Worte hinweggegangen, ebenso die Technik, und Kinder sind zumindest in der westlichen Welt ständig mit Computern beschäftigt. Auch Smartphones sind schließlich vollwertige Computer, mit denen man zusätzlich auch noch telefonieren kann.

Die Krankenkasse DAK hat zum Thema Computerspielsucht eine Studie erstellen lassen und kommt zu alarmierenden Ergebnissen: Kinder verbringen sehr viel Zeit mit Computerspielen und geben dafür immer mehr Geld aus; viele verlieren die Kontrolle und sind akut suchtgefährdet. Die Studie wurde am Dienstag in Berlin vorgestellt.

Befragt wurden 1000 Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren in Deutschland mittels computergestützter Telefoninterviews. Rund 90 Prozent der Jugendlichen in Deutschland lieben demnach Computerspiele. Vor allem kostenlose Games wie „Fortnite“ sind beliebt. Der Haken: Die Spiele sind zwar zunächst kostenlos („free to play“), animieren aber zu Käufen innerhalb des Spiels.

Spielsucht ist eine anerkannte Suchtkrankheit

Die Umfrage in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Deutsches Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters, geht Fragen nach wie: Welche Auswirkungen hat ihr Spielverhalten auf Alltag und Gesundheit der jugendlichen Spieler? Wie viele Risiko-Gamer gibt es? Wie hoch ist die Suchtgefahr? Wie viel Geld wird am Ende doch für ursprünglich kostenlose Spiele ausgegeben?

Die wichtigsten Erkenntnisse: In der Woche zocken Jungen täglich zweieinhalb Stunden, Mädchen zwei Stunden. Am Wochenende oder in den Ferien ist es deutlich mehr: Fast vier Stunden die Jungen, gut drei Stunden die Mädchen. Damit ist nur das Spielen gemeint - andere Online-Aktivitäten wie WhatsApp schreiben, Youtube oder Netflix gucken kommen noch hinzu. Insgesamt hängt Deutschlands Jugend täglich über fünf Stunden am digitalen Endgerät.

Jeder siebte Gamer zeigt riskantes oder pathologisches Spielverhalten – bei den Jungen ist die Quote mit 18,2 Prozent doppelt so hoch wie bei den Mädchen. Kriterien für eine Internetspielstörung nach DSM-5 sind zum Beispiel: Der Spieler kann an nichts anderes mehr denken als das Spielen, vernachlässigt andere Hobbys und Aktivitäten, benutzt das Spielen um negative Gefühle zu regulieren oder Probleme zu vergessen oder belügt sogar Familienmitglieder, Therapeuten oder andere über das Ausmaß seines Spielens.

Insgesamt sind es neun Kriterien. Wer fünf erfüllt, dem darf nach den Vorgaben der American Psychiatric Association die Diagnose Internet Gaming Disorder gestellt werden. "Speziell der Kontrollverlust ist für einen Suchtforscher das wichtigste Kriterium überhaupt", sagte der Suchtforscher Rainer Thomasius, der die Ergebnisse vorstellte.

Fürs Aufhören braucht es eine Entscheidung, fürs Weiterspielen nicht

Die DAK hatte den Informatiker Gregor Engelmeier auf ihr Podium geladen. Engelmeier entwickelt Lernspiele für Erwachsene und hat festgestellt, dass Spielehersteller sich derselben Techniken bedienen wie er, um den User zu motivieren, dass die Spieleindustrie dies jedoch für andere Zwecke tut. Er beschrieb plausibel und eindrucksvoll die Mechanismen, mit denen die Spielehersteller es erreichen, den Gamer möglichst lange im Spiel zu halten, und die Tricks, ihn am Aufhören zu hindern. Sie schaffen zum Beispiel Gemeinschaften, in denen der Spieler vor seinen Freunden glänzen kann, und das nächste Spiel fängt mit einem Klick sofort an. "Es bedarf einer Entscheidung, nicht weiterzuspielen, aber es Bedarf keiner Entscheidung, weiterzuspielen", sagte Engelmeier. Das weltweit gefragteste Spiel ist derzeit "Fortnite". Der Großteil der Jungen von 12 bis 16 Jahren spielt es.

Geldausgaben bis 1000 Euro

Neben die Spielsucht ist nun noch die potenzielle Gefahr der Überschuldung getreten, denn mehr als die Hälfte (52 Prozent) der regelmäßigen Gamer gab im Zeitraum von sechs Monaten vor der Befragung Geld für Spiele oder Extras aus, hiervon zu 89 Prozent Jungen. Im Durchschnitt lagen die Ausgaben bei 110,65 Euro im Halbjahr, bei einer sehr weiten Spanne, die im Einzelfall bis 1000 Euro reichte.

Die größten Umsätze machte dabei Epic Games mit dem Spiel „Fortnite“. Dieses Spiel favorisieren derzeit 48 Prozent der 12- bis 13-Jährigen und 39 Prozent der 14- und 15-Jährigen. DAK-Vorstandschef Andreas Storm richtete an die Politik die Forderung, Lootboxen zu verbieten. "Die Ergebnisse zeigen, dass Computerspiel zum Glücksspiel wird", sagte Storm. Belgien und die Niederlande hätten ein solches Verbot bereits erlassen. Lootboxen sind ein typisches Beispiel für die Dinge, die man im Spiel kaufen kann. Sie basieren auf dem Wundertütenprinzip. Der Spieler erhofft sich davon, zum Beispiel die Freischaltung eines neuen Levels oder bessere Waffen für sein Spiel. Es können aber auch Nieten dabei sein - das Geld ist dann trotzdem weg.

Lesen Sie hierzu auch: eine Mutter und ihr Sohn auf der Gamescom in Köln - der weltgrößten Computerspielemesse. Und weiterführend: Gregor Engelmeier über Digitalisierung.

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