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Die Berliner Clubs leben auch vom Undergorund-Charakter. Das macht es schwierig, mit der Politik zusammen zu arbeiten.

© imago/fStop Images

Clubsterben in Berlin: Sie sind Opfer des eigenen Hypes

Clubs haben Berlin attraktiv gemacht – nun sind viele bedroht. Vielleicht müssen sie sich selbst und ihren Platz in der Stadt neu finden.

Noch ist von einem Ende nichts zu spüren. Der Türsteher fragt, ob man nicht in den kommenden Tagen mal das vertrocknete Laub aus den Zäunen vor dem Club entfernen könnte. Drinnen werden Bierkästen vom Lager hinter die Bar getragen. Techniker testen das Licht, den Sound, die Nebelmaschine.

Für ein paar Sekunden ertönt aus den Boxen lauter Ballertechno, 150 BPM mindestens, ein Vorgeschmack auf die Party, die hier später stattfinden wird. Soweit ein ganz normaler Freitagabend in der Griessmühle – nur, dass dieser Abend einer der letzten in dem Neuköllner Club sein könnte. Der Investor, dem das Gelände am S-Bahnhof Sonnenallee gehört, eine Tochter der österreichischen Sparkasse, hat den Mietvertrag zum 31. Januar gekündigt. Dann soll Schluss sein, das Gelände besenrein übergeben werden.

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Selbst das Dach des Clubs, auf das die Betreiber einen Hilferuf gepinselt haben, muss vor der Schlüsselübergabe gereinigt werden. Wenn in den nächsten zwei Wochen nicht noch ein kleines Wunder geschieht, wird die Griessmühle, derzeit einer der international bekanntesten Clubs der Stadt, im Februar schon Geschichte sein.

Die Technokultur ist zum Selbstverständnis geworden

Das Wunder könnte der Aufschrei sein, der derzeit durch die Stadt geht. Er kommt von Fans der Griessmühle, von Politikern, von Menschen, die sich um den allgemeinen Zustand der Berliner Clubkultur sorgen. Innerhalb weniger Tage unterzeichneten fast 30.000 Leute eine Petition zur Rettung des Clubs.

Sogar eine Bürgerinitiative hat sich gegründet, die am Montag einen offenen Brief an den Investor schicken will. Am Dienstag ist ein Treffen zwischen Investor und einigen Politikern, darunter Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), geplant.

Der Fall zeigt, wie wichtig die Technokultur für das Selbstverständnis Berlins geworden ist. Vor einem Jahrzehnt sah das noch anders aus. „Techno? Wirklich? Das gibt es noch?“ Er sei oft erstaunt angeblickt worden, wenn er Leuten vom Thema seines neuen Buches erzählte, schreibt Tobias Rapp 2009 in „Berlin, Techno und der Easyjetset“. Seitdem hat sich viel verändert.

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Die Stadt wirbt mit den vielen Clubs und der lebendigen Feierszene, große Streaminganbieter produzieren Serien, die im Berliner Technomilieu spielen. Und mittlerweile weiß sogar Tante Hilde aus Reutlingen, was das Berghain ist.

Die Technoclubs ziehen jedes Jahr Millionen Touristen aus aller Welt an, die zum Feiern nach Berlin kommen. Für viele bedeuten die Partys, die manchmal über mehrere Tage andauern, Freiheit. Die Clubs stehen für Toleranz und Offenheit, man könne dort sein wie oder wer man will, heißt es oft.

Die Clubkultur fördert Gentrifizierung

Gleichzeitig leidet die Technokultur an ihrem eigenen Hype. Zum einen, weil zu viele Menschen in die gleichen Läden drängen, man oft stundenlang anstehen muss, ohne die Gewissheit, reinzukommen. Zum anderen ist sie ein Gentrifizierungstreiber: Sie macht die Stadt für junge, hippe Leute attraktiv und damit für Start-ups und Investoren – die den Clubs irgendwann ihre Flächen wegnehmen, um Büros oder Hotels zu bauen.

Die Politik hat dieses Problem mittlerweile erkannt. Sogar die CDU setzt sich mit ihrem medienpolitischen Sprecher Christian Goiny für den Erhalt der Technoclubs ein. Er brachte am Donnerstag einen Dringlichkeitsantrag ins Abgeordnetenhaus ein, in dem er den Senat aufforderte, der Griessmühle landeseigene Flächen zur Verfügung zu stellen.

Über den Antrag konnte allerdings aus formalen Gründen nicht abgestimmt werden. „Clubkultur im Allgemeinen ist schützenswert, weil das Begegnungsorte mit soziokultureller Funktion sind“, sagt Goiny. Er fordert vom Senat eine Koordinierungsstelle, die zwischen Clubs und Bezirken vermittelt und dabei hilft, freie Räume zu finden.

Etwas Ähnliches plant auch Katalin Gennburg von den Linken, sie nennt es „Taskforce auf Landesebene“. Gennburg forderte kürzlich, kein Geld mehr für Tourismusmarketing auszugeben. „Die 14 Millionen Euro, die man damit einsparen würde, könnte man in die Förderung der Clubkultur stecken“, sagt sie.

Eine Maßnahme, die schon umgesetzt ist, ist der Schallschutzfonds, für den Ende 2018 erstmalig Gelder zur Verfügung gestellt wurden. Auch für 2020 und 2021 hat der Senat für die Förderung eine Million Euro eingeplant.

Das Problem ist das Gewerbemietrecht

Das aktuelle Problem der Berliner Clubs hängt also nicht am politischen Interesse, sondern an der Immobilienwirtschaft. Die Hebel der Politik gegenüber Privatinvestoren sind kurz, weil Pachtverträge von Clubs unter das Gewerbemietrecht fallen

Gewerbemieter genießen keinen besonderen Schutz vor Verdrängung. Vermieter können unbefristete Mietverträge jederzeit ohne Begründung kündigen. Außerdem sind die Mietpreise nicht an einen ortsüblichen Mietspiegel gebunden und auch Maßnahmen wie die Mietpreisbremse oder der geplante Mietendeckel gelten nicht für Gewebeflächen.

Im Sommer 2019 brachte der Berliner Senat eine Bundesratsinitiative auf den Weg, die zumindest Preissteigerungen für Gewerbemieten stoppen soll. In der Zukunft, sagt Georg Kössler, clubpolitischer Sprecher der Berliner Grünen, müsse die Politik einfach mehr an die Clubs denken, bevor so etwas passiert. Bei Bebauungsplänen etwa, hier müssten von vornherein Standorte für Clubs mit eingebracht werden.

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Von einem Clubsterben will Kössler noch nicht sprechen. Es sei eher eine Clubverdrängung. Raus aus dem Stadtzentrum, wo Gewerbeeigentümer exorbitante Mietpreise verlangen können. Aktuell seien viele Clubs bedroht, darunter die Rummels Bucht, die wohl irgendwann in diesem Jahr schließen muss.

Ein Fehler, den man beim Bebauungsplan in der Rummelsburger Bucht hätte verhindern müssen, sagt Kössler. Auch über KitKat und Sage Club, die sich ihre Räumlichkeiten in der Köpenicker Straße teilen, heißt es, ihnen drohe das Aus; eine Einigung mit dem Investor sei aber noch nicht vom Tisch.

Die Wilde Renate, der Openairclub Else und das About Blank müssen weichen, wenn irgendwann die A100 dorthin gebaut wird, wo sie jetzt stehen – was aber unter Rot-Rot-Grün nicht passieren wird. Und das Mensch Meier an der Storkower Straße musste sich im letzten Jahr nach einer Mieterhöhung mit einer Crowdfunding-Kampagne retten.

Der Mythos der Berliner Clubs könnte sich auflösen

Welche Clubs sonst noch und wie stark bedroht sind, lässt sich nicht so leicht sagen. Die meisten wollen nicht mit der Presse sprechen, Informationen werden höchstens unter Drei weitergegeben. Die Angst, laufende Verhandlungen mit dem Investor zu gefährden, könnte ein Grund dafür sein.

Der andere ist die grundsätzliche Öffentlichkeitsscheue der Technoclubs. Viel von ihrer Anziehungskraft speist sich noch immer aus dem Underground-Charakter der Neunziger, daraus, dass sie nicht für jeden zugänglich sind. Türsteher reglementieren mit strenger Hand den Einlass, drinnen herrscht meist Fotoverbot.

Die kleinen Aufkleber, die die Mitarbeiter an der Kasse über die Handykameras kleben, sind zu einem beliebten Berlin-Souvenir bei Touristen geworden. Auch deshalb könnte der Fall der Griessmühle exemplarisch für die Zukunft der Berliner Clubkultur stehen. Wenn die Clubs auf einmal mit Politikern und Öffentlichkeit zusammenarbeiten müssen, fängt die zuvor beinahe undurchdringliche Fassade, der „Mythos Clubkultur“, an zu bröckeln.

Michaela Krüger, die die Pressearbeit für die Griessmühle macht, sagt selbst, dass es Überwindung gekostet habe, sich vor der Öffentlichkeit so „nackt zu machen“. Sie kennt den Club schon lange, ihre Stelle wurde aber erst geschaffen, als die Schließung drohte.

Trotzdem freue man sich über die Unterstützung aus der Politik und das rege Interesse – sogar die New York Times wolle berichten. Für sie liegt das auch daran, dass in der Griessmühle nicht nur Technopartys stattfinden, sondern verschiedene Veranstaltungen, von PingPong bis Flohmarkt.

Womöglich ist es das, was in den nächsten Jahren auf die Technoclubs zukommt: Sie müssen sich weiterentwickeln, mehr sein als nur verschlossene Partyorte des reinen Hedonismus und Exzesses. Vielleicht ist es Zeit, sich endlich von den Neunzigern zu lösen. (Mitarbeit: Madlen Haarbach)

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