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Berlin: Claus Guske (Geb. 1934)

Der freie Geist braucht Zeit und Raum, ein paar Bücher und einen bequemen Sessel

Über einen einsamen Fluss paddeln, tief im Polnischen, bis es dämmert. Sich der Natur aussetzen, die alles bietet, was man braucht. Bis auf Zelte und Konservendosen. War ein Lagerplatz gefunden, sammelte Claus das Holz, um Feuer zu machen für die Nudelsuppe. So war es Tradition seit 20 Jahren.

Zu Hause in Frohnau, im großen alten Haus mit den Rundbogenfenstern zischte fast jeden Abend ein Feuer im Kamin, winters wie sommers. Dann öffnete Claus eine Flasche Rotwein, steckte sich eine Gauloise an und las ein Buch.

Der Kamin ist pechschwarz vom Ruß der vielen Jahre. Wie es in seiner Lunge aussah, wollte Claus nicht wissen. Liberté toujours, darum ging es doch beim Rauchen und Zelten und Feuermachen. Claus nahm sich die Freiheit, zugunsten des Geistigen das Körperliche zu vernachlässigen. Still mit sich konnte er stundenlang sitzen und lesen oder Patiencen legen, während das Feuer sich krachend durch die Scheite fraß. Oder er spielte Skat. Mit sich allein. Fast alle Mitspieler hatte er über die Jahre verprellt – weil sie nicht aufhörten, Fehler zu machen. Beim Alleinespielen protokollierte er die Ansagen seiner gedachten Mitspieler und schummelte sich dann doch gerne zum Sieg.

Auf der Straße wäre er auch gerne alleine gewesen. Claus fuhr immer zu schnell. Seine Autos, es waren immer französische, bekamen Beulen vom Touchieren an Kotflügeln und Zaunpfosten.

Claus war einer der wenigen Grundschullehrer mit Doktortitel, hielt sich aber nicht für überqualifiziert. Nur in jungen Jahren ließen sich die Charaktere entscheidend prägen, meinte er. Er unterrichtete mit großem Einsatz, aber in altmodischer Manier. Claus konnte gut erzählen. Sein Spezialfach war Geschichte, Militärgeschichte. Er wusste, welches Regiment wo stationiert war, zu Kaisers Zeiten, in der Weimarer Republik und bei den Nazis. Als Junge hatte er die Eroberung Berlins erlebt. Sein Vater war acht Jahre im Krieg und in Gefangenschaft gewesen und hatte anschließend geschwiegen. Deshalb musste Claus anderswo erfahren, was da los gewesen war.

Er war der „Militärexperte der GEW“, sagt der Paddelfreund lachend, ein linker Gewerkschafter, im Herzen Sozialist, mitten im christlich-bürgerlichen Frohnau. Die Provokation gefiel ihm gut. Als sein Sohn nach einer Demonstration aus Spaß eine rote Fahne am Haus befestigte, ließ Claus sie wehen. Die Nachbarn sollten ruhig die Köpfe zusammenstecken und über den Revoluzzer schimpfen.

Als Jugendlicher war er „Hortenführer“ bei der „Deutschen Jungenschaft“, einer pfadfinderähnlichen Gruppierung. Sie zogen mit spärlichen Hilfsmitteln durch die Natur, campierten in Zelten mit Rauchabzug. Dort hatte Claus die Bedeutung des Feuermachens gelernt. Und die Bedeutungslosigkeit von Geld. Die Jungenschaft diskutierte über philosophische Fragen und verachtete alles Äußerliche und Bequeme. Gesungen wurde viel auf den Wanderungen, das Liedgut überlieferte Claus Jahrzehnte später seinen sieben Enkelkindern.

Als eine Wirbelsäulenversteifung diagnostiziert wurde, die Bechterewsche Krankheit, bewährte sich die geistige Vorherrschaft, der Claus seinen Körper unterwarf. Er nahm Tabletten gegen die Schmerzen und ließ der Krankheit ihren Lauf. Schwimmen und Krankengymnastik lehnte er ab. So stand er bald vor der Klasse mit tief gesenktem Kopf, ohne je ein Wort auf sein Leiden zu verschwenden.

Er trug offene Sandalen bis weit in den Dezember, ohne Socken. Dazu ausgefranste Jeans, eine Weste und ein T-Shirt. Den Hochzeitsanzug zog er nach der Hochzeit nur noch auf Beerdigungen an. Ein neues Kleidungsstück zu erwerben, kostete ihn Überwindung. Einmal im Jahr ging Claus zum Friseur.

Nonkonformist wollte er sein. Unangepasst und antibürgerlich. Ein 68er. Der Schuldienst ließ der Lebensform viel Raum. Im Landschulheim ließ er Jungs und Mädchen in gemeinsamen Zimmern schlafen, auch wenn das klar gegen die Dienstvorschriften verstieß. Der Schulrat tobte, es kam zu einem Disziplinarverfahren. Das blieb nicht der einzige Konflikt mit der Obrigkeit, denn wenn Claus eine Sache als richtig erkannt hatte, vertrat er sie ohne jede Furcht.

Natürlich machte auch er Kompromisse, um vernünftig leben zu können. Er kaufte das Haus, in dem er zur Miete gewohnt hatte, als die Gelegenheit sich bot. Zuvor hatten sie mit einer Bürgerinitiative erfolgreich den Verkauf ihrer Siedlung an Spekulanten abgewendet.

Was nach Abzug von Familie und Beruf übrig blieb an Geld und Arbeitskraft, investierte Claus in zwei Vereine. Er war Vorstandsmitglied, bevorzugte aber anstrengende körperliche Arbeit: Schrott zersägen, Wände verputzen. Notgedrungen arbeitete er sich durch Aktenberge, um an Fördermittel zu kommen. Eigentlich verachtete er den ganzen Papierkram, machte einen großen Bogen um Versicherungspolicen und Steuerunterlagen. Darum kümmerte sich seine Frau.

Der freie Geist braucht Zeit und Raum, ein paar Bücher und einen bequemen Sessel. Weil es abends spät wurde, verlegte Claus das Schlafen gern auf die Morgenstunden. Das frühe Aufstehen war sein größtes Zugeständnis an den Schulapparat. Nach der Schule verlangte der freie Geist zuerst nach einem Mittagschlaf.

Mit dem Krebs in seinem Körper würde er schon fertig werden. Hatte bei früheren Krankheiten ja auch geklappt. Bevor die Chemotherapie begann, holte er noch mal Holz aus dem Wald, zersägte es, spaltete die Baumscheiben, schichtete die Klötze zur Miete. Das wird für die nächsten Jahre reichen. Thomas Loy

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