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Drohgebärden. Auch verstärkte Polizeikontrollen und Razzien, selbstverständlich in voller Montur, sollen die Clanszene einschüchtern.

© dpa/Paul Zinken

Clankriminalität in Neukölln: Bezirk sucht nach neuen Strategien zur Bekämpfung

Neukölln sucht neue Wege zur Eindämmung der Clankriminalität – seit anderthalb Jahren schon. Bedarf ist da.

Neukölln gilt seit Längerem als Hochburg krimineller Clans. Im September 2018 kündigte das Bezirksamt an, mit neuen Ansätzen experimentieren zu wollen, um die sogenannte Clankriminalität zu bekämpfen. Kurz zuvor war der Intensivtäter Nidal R. am Tempelhofer Feld vor zahlreichen Zeugen mit mehreren Schüssen getötet worden.

Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) erklärte im Oktober 2018, die „extreme Brutalität“ einiger Clans gefährde „den sozialen Frieden“. Den Anfang sollte ein bezirkseigenes Ausstiegsprogramm aus kriminellen Clanstrukturen als Teil einer ressortübergreifenden Gesamtstrategie machen. Das Bezirksamt wollte sich im Winter 2018 damit befassen. Seither blieb es still um das mögliche Ausstiegsprogramm, konkrete Aktionen wurden nicht bekannt.

„Das Bezirksamt Neukölln entwickelt derzeit ein Aussteigerprogramm für Angehörige krimineller ethnisch abgeschotteter Subkulturen“, erklärt auf Anfrage Christian Berg, Sprecher des Bezirksbürgermeisters, im Namen von Hikel und dem ebenfalls an der Strategie beteiligten Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU).

Aufgrund der „mittlerweile bundesweiten Auseinandersetzung mit diesem Thema und der besonderen Bedeutung Neuköllns im Umgang mit kriminellen Teilen arabischer Großfamilien ist bei der Konzeptionierung und Umsetzung ein hohes Maß an Sorgfalt und inhaltlicher Expertise erforderlich“, sagt er weiter. Bislang seien umfangreiche Experteninterviews geführt und Erfahrungen aus anderen Aussteigerprogrammen gesammelt worden. Die daraus gewonnen Hinweise könnten „hilfreich“ für die Entwicklung eines Aussteigerprogrammes seien.

Nun werden eher junge Männer in den Blick genommen

Es sei jedoch zu berücksichtigen, sagte Berg weiter, dass ein direkter Ausstieg aus der Familie „nicht ohne Weiteres realistisch ist“. 2018 hieß es noch, dass sich das Programm ersten Überlegungen zufolge insbesondere an Frauen, Kinder und junge Menschen richten sollte. „Sie sind es, die aufgrund des innerfamiliären Drucks nur schwer aus kriminellen Clanstrukturen ausbrechen können“, sagte Berg damals. Das Programm solle ihnen dabei helfen, sich ein Leben außerhalb dieser Strukturen – die ja auch ihre Familie sind – aufzubauen. Jugendstadtrat Liecke brachte damals die Möglichkeit ins Spiel, Kinder aus kriminellen Clanfamilien in Obhut zu nehmen.

Aktuell geht das Bezirksamt Berg zufolge davon aus, „dass ein Ausstieg aus der Kriminalität das realistisch zu erreichende Ziel sein kann“. Vor dem Hintergrund der bestehenden Alternativen zur kriminellen Karriere, die den infrage kommenden (jungen) Männern angeboten werden können, seien die Herausforderungen groß „und ein Erfolg – zumal zum aktuellen Zeitpunkt – nicht sicher vorhersagbar“.

[330.000 Leute, 1 Newsletter: Die Autorin dieses Textes, Madlen Haarbach, schreibt den Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Neukölln. Den gibt es hier: leute.tagesspiegel.de]

Das heißt, statt eines Ausstiegs aus der Familienstruktur etwa für Frauen und Kinder nimmt das Bezirksamt nun eher bereits kriminell gewordene junge Männer in den Blick. Berg ergänzt, dass eine wesentliche Bedeutung in beruflichen Perspektiven und „attraktiven Alternativen zum Verbleib in kriminellen Strukturen“ liege.

Ein zentraler Partner des Bezirksamtes sei daher voraussichtlich die Jugendberufsagentur. Welche Ausbildungen und Berufe infrage kommen könnten, um jungen Männern eine Alternative zu einer lukrativen kriminellen Karriere zu bieten, ist offenbar noch nicht geklärt – speziell diese Frage dürfte das Bezirksamt auch vor Schwierigkeiten stellen.

Neukölln ist erster Bezirk mit eigener Staatsanwaltschaft

Das Fundament des Programms sollen verschiedene Strukturen und Netzwerke sein, die das Bezirksamt zusammen mit Landesbehörden seit einiger Zeit erprobt. Dazu zählen etwa die koordinierten Schwerpunkteinsätze, die das Ordnungs- und Gewerbeamt gemeinsam mit der Berliner Polizei durchführen. Neukölln verfügt seit 2015 als erster Berliner Bezirk über eine eigene Staatsanwaltschaft vor Ort.

Im Jugendamt ist die AG Kinder- und Jugendkriminalität angesiedelt, mit der Sozialarbeiter junge Menschen vor kriminellen Karrieren bewahren wollen. Die Experteninterviews hat Berg zufolge der Verein „Mafia? Nein danke“ im Auftrag des Bezirksamtes durchgeführt. Die Gespräche würden aktuell von dem Verein ausgewertet.

Anschließend sollen Empfehlungen erarbeitet werden, wie das Aussteigerprogramm und die Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden aussehen könnten. Veröffentlicht werden sollen diese Empfehlungen voraussichtlich im Laufe des Jahres 2020. Wann aus diesen Empfehlungen dann konkrete Aktionen folgen und ob es tatsächlich ein Aussteigerprogramm geben wird, ist also weiter ungewiss.

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