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© dpa

Christopher Street Day: Erinnern, demonstrieren und feiern

Zum 30. Mal gehen am Samstag Homosexuelle für ihre Rechte auf die Straße. Diesmal wird der Zug von einem besonderen Gast gestartet.

Eigentlich wollte Rudolf Brazda Auftritte wie diesen immer vermeiden: Vor ihm ein ganzer Pulk von Fotografen und Kameraleuten, die dutzende Bilder von ihm machen, als er sich das neue Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen anschaut. Die Öffentlichkeit war und ist ihm suspekt. Da hilft es auch nichts, dass der Regierende Bürgermeister neben ihm steht. „Die sind alle deinetwegen hier“, sagt Klaus Wowereit kumpelhaft und nimmt den alten Mann in den Arm. Der freut sich sichtlich. „Und dennoch habe ich Bedenken“, sagt Brazda, „wegen der Nazis“.

Brazda, vorgestern 95 Jahre alt geworden, meint die neuen wie die alten Nazis. Die einen haben ihn ins Konzentrationslager Buchenwald gesteckt, weil er homosexuell ist, die anderen machen ihm heute Angst, weil sie aus demselben Grund Schwule verprügeln. Dennoch hat sich Brazda entschieden, nun doch in die Öffentlichkeit zu treten, um an sein Schicksal und das tausender anderer schwuler Männer im sogenannten Dritten Reich zu erinnern.

„Bei der Enthüllung des Denkmals wurde gesagt, dass es vermutlich keine Überlebenden KZ-Häftlinge gäbe“, erzählt Brazdas Nichte, „da habe ich beim Lesben- und Schwulenverband angerufen und gesagt: Es gibt noch einen, meinen Onkel.“ Der Verband hat Brazda sofort nach Berlin eingeladen. Klaus Wowereit empfing ihn am Freitag im Roten Rathaus. „Ein interessantes Gespräch“, sagt Wowereit, „denn er war als Tscheche und Schwuler doppelt diskriminiert“. Danach zeigte ihm Wowereit das Denkmal.

Geschätzt 10 000 schwule Männer waren im Nationalsozialismus in Konzentrationslager und Zuchthäuser gesteckt worden, einige Tausend fanden dabei den Tod. Daran will Brazda mit seinem Schritt in die Öffentlichkeit erinnern. Heute wird er um 11 Uhr an einer Gedenkfeier am Homo-Mahnmal teilnehmen, zu der unter anderem auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse erwartet wird. Anschließend will Brazda den Zug zum Christopher Street Day eröffnen, der Unter den Linden startet.

Es ist der 30. Aufzug durch die Innenstadt. Rudolf Brazda ist das erste Mal dabei. Er hat Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen und ist mit seinem Freund nach Frankreich gezogen. So blieb den beiden erspart, was anderen homosexuellen KZ-Opfern in Deutschland widerfuhr: Sie wurden in der Bundesrepublik wieder verhaftet, manchmal sogar, um ihre Reststrafe abzusitzen. Grundlage dafür war der unter den Nazis verschärfte Strafrechtsparagraf 175, den die Bundesrepublik unverändert übernahm. Auch an diese Opfer erinnert das Denkmal im Tiergarten.

„Mir gefällt das Denkmal“, sagt er, „ist richtig so“. Er ist geradezu aufgetaut, weil die Öffentlichkeit rund um ihn herum so zuvorkommend ist. „Wir sind extra aus Stuttgart angereist“, sagt eine Dame, und schüttelt seine Hand. Da wird Brazda richtig locker und fragt die Fotografen: „Soll ich mal eine typisch tuntige Handbewegung machen?“

Er lacht und lässt es dann doch sein. Stattdessen fährt ihm der Regierende durch die weißen Haare. Der Wind hat Brazdas Frisur zerzaust. „Danke“, sagt er schließlich, „dass ihr so gut aufpasst“.

Start der Parade zum Christopher Street Day ist am heutigen Sonnabend um 12.30 Uhr Unter den Linden 1. Die Abschlusskundgebung beginnt um 18 Uhr am Großen Stern, es treten mehrere Bands auf, als Hauptact hat die international erfolgreiche Berliner Country-Band Boss Hoss zugesagt (Weitere Informationen unter www.csd-berlin.de).

Der zweite – deutlich kleinere – Demonstrationszug findet fast schon ebenso traditionell in Kreuzberg und Neukölln statt. Start des linksalternativen „transgenialen CSD“ ist um 14 Uhr am Hermannplatz. Seine Route verläuft unter anderem durch die Sonnenallee und endet schließlich am Heinrichplatz. Anschließend wird auch hier gefeiert – rund um die Oranienstraße zwischen Möbel Olfe und SO 36.

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