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Ex-Pirat Christopher Lauer.

© Paul Zinken/dpa

Christopher Lauer rechnet ab: Interessiert euch gefälligst für Landespolitik!

6285 Euro verteilt das Abgeordnetenhaus im Jahr pro Berliner. Doch kaum jemand hier interessiert sich für Landespolitik. Liegt’s an der Dominanz des Bundes? Der dezentralen Lage des Parlaments? Egal – das muss besser werden.

Mit der Landespolitik in Berlin ist es komisch: Sie fliegt irgendwie unter dem Radar. Was daran liegen könnte, dass Berlin auch von vielen, die hier leben, vor allem als Hauptstadt wahrgenommen wird und man dabei gerne vergisst, dass es ja noch ein Landesparlament gibt und eine richtige Landesregierung. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass der Regierende Bürgermeister nicht Ministerpräsident heißt und dass das Abgeordnetenhaus versteckt in der Nähe des Potsdamer Platzes liegt. Wie fremd die Berliner Politik den Menschen zu sein scheint, merkt man auch dann, wenn das Abgeordnetenhaus – ein Halbtagsparlament, vielleicht ist auch das Teil des Problems – fälschlich Senat genannt wird.

Jetzt könnte man sagen: Ja gut, ist doch nicht so schlimm, ist ja „nur“ Landespolitik. Nur Landespolitik? Das Berliner Abgeordnetenhaus verteilt jedes Jahr 22 Milliarden Euro Haushaltsmittel und trifft grundlegende Entscheidungen über das Zusammenleben in Berlin. Bebauung des Tempelhofer Felds, Mietpreisbremse, Verbot von Ferienwohnungen, Verkauf von landeseigenen Grundstücken, der Bau neuer Wohnungen und vieles rund um die Dauerbaustelle BER wird dort auf den Weg gebracht. Oder eben nicht.

Wohin Desinteresse führt, sieht man am BER

22 Milliarden Euro sind eine ziemliche Stange Geld, die nicht einfach so vom Himmel fällt. Das ist unser Geld, unser Steuergeld. Und bevor jemand fragt: Ja, auch Politiker zahlen Steuern. 22 Milliarden – das sind bei etwa 3,5 Millionen Berlinerinnen und Berlinern 6285 Euro pro Person pro Jahr. Würden Sie privat eine solche Summe einem Fremden geben, ohne wissen zu wollen, was der damit macht? Natürlich nicht!

Warum interessieren Sie sich also nicht für die Berliner Landespolitik? In jeder Wahlperiode – die nächste beginnt zirka einen Monat nach der morgigen Wahl – werden zwei bis drei Doppelhaushalte verabschiedet. Da könnte man sich doch zumindest einmal in diesen fünf Jahren in eine Plenarsitzung setzen oder einen Ausschuss besuchen. Ja, Sie können da einfach hin! Vorher anmelden und ab geht er, der Peter. Oder Sie lassen die Zugriffszahlen für die Webseite des Abgeordnetenhauses mal ein bisschen in die Höhe gehen. Das parlamentarische Dokumentationssystem ist eines der besten, das ich kenne. Sie geben einen Begriff ein und bekommen jedes Ausschuss- und Plenarprotokoll seit 1989 (!) angezeigt, in dem der Begriff vorkommt.

Wohin Desinteresse führt, sieht man dann an Skandalprojekten wie dem BER: Das Parlament hätte ja auch von Anfang an beschließen können, umfassend über den Baufortschritt informiert werden zu wollen. Hat es aber nicht. Auch die Öffentlichkeit hätte Druck machen können. Tat sie auch nicht. So stellte man dem Senat (also der Regierung) einen Blankoscheck aus, und die Folgen sind bekannt.

Von den 30 Millionen Euro, die uns der BER im Monat kostet (und über die auch noch zu wenig gesprochen wird), könnte man die Gewaltschutzambulanz an der Charité, wo Opfern von sexueller und häuslicher Gewalt niederschwellig geholfen wird, 30 Jahre lang finanzieren. Man könnte Schulen sanieren, öffentliche Räume so umgestalten, dass dort weniger Kriminalität stattfindet, Sozialtickets günstiger machen, Museen kostenlos öffnen und und und. Kann man halt nicht, weil schlechte Politik am Ende des Tages doppelt kostet: zum einen mehr von Ihrem Geld, zum anderen Ihr Vertrauen in die Politik.

Gehen Sie doch mal selbst zu einer Sitzung

Deswegen: Gehen Sie ins Parlament! Schreiben Sie einen Abgeordneten an, fragen Sie ihn, was er den ganzen Tag macht! Interessieren Sie sich, bringen Sie sich ein – vielleicht ja sogar ganz altmodisch, indem sie in eine Partei eintreten. Versuchen Sie, der Politik zumindest etwas mehr auf die Finger zu schauen als bisher! Das gilt übrigens auch für die Medien, vor denen – ich glaube, da verrate ich nicht zu viel – die Berliner Politik keine allzu große Angst hat. Es kann nur besser werden.

Christopher Lauer ist seit 2011 Mitglied des Abgeordnetenhauses und der Piratenfraktion. Er war unter anderem deren innenpolitischer Sprecher. Am Freitag trat Lauer in die Berliner SPD ein. Zur Wahl tritt er diesmal nicht an.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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