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Cäcilia Vormstein, Antonia Biemer, Christoph Biemer, Ingo Bussmann, Friederike Wrobel, Anja Trekel, Pedro Matos und Armin Horn.

© Kai-Uwe Heinrich

Chorgesang in Berlin: Stimme Nacht, heilige Nacht

Familienbande, Freundschaft und die Liebe zum Gesang: Das Ensemble „Divertimento vocale“ bringt wieder den Französischen Dom zum Klingen.

Von Susanne Leimstoll

Die Geburt „Zu Beth’lem“ verläuft nicht auf Anhieb unproblematisch. „Ihr Menschen, freuet Euch, ein Kind ist Euch geboren“, lautet die frohe Botschaft. Aber: Wie stark soll man den Vokal bei „freudenreiche Naaacht“ betonen? Wäre noch mehr Dynamik gut, weil der Titel zum Auftakt keinesfalls lahm wirken darf? Die Frauen geben mal kurz den Ton an und das Tempo vor, und eine sagt zu den Männern: „Ihr dürft auch ruhig deutlicher sprechen.“

Eben noch haben Antonia und Christoph Biemer hier zu Abend gegessen mit zwei ihrer drei Töchter. Das Geschirr ganz schnell beiseite geräumt, schon geht unaufhörlich die Türklingel. Nun sitzen sie mit ihrer musikalischen Familie um den langen Küchentisch in der Wohnküche neben dem Regal mit Geschirr, Büchern und Spielen: zwei Soprane, zwei Altstimmen, zwei Tenöre, zwei Bässe.

Die Küche ist jetzt, am Montagabend nach sieben, ihr Probenraum. Vier Männer und vier Frauen blicken in die Partitur. Leises Blättern. Dann beginnen sie zu singen. Fragmente nur, aber schon die klingen betörend, herzerwärmend. Am Fenster der Papierstern gibt das Motto vor. Der Berliner Chor „Divertimento Vocale“ probt für sein einziges Weihnachtskonzert in diesem Jahr.

Es wird nicht geträllert, hier singen Profis. Muss auch sein, die Arrangements sind komplex. Die Mitglieder haben Musik oder Gesang studiert, fünf von ihnen sind heute im Hauptberuf Lehrer. Gemeinsam führen sie eine Berliner Tradition fort, das Werk Niels Köpckes, Antonia Biemers erst vor zwei Jahren verstorbenen Vaters. Er war ein von der Musik Beseelter, Sohn eines Organisten und Konzertpianisten. Ein ausgebildeter Kontratenor, der 1986 ein Männerquartett ins Leben rief, „Die Kurmärkischen Vokalisten Berlin“.

Die Stimmen der Sänger übernehmen die Rolle von Instrumenten

Eine Formation, die am Leben blieb, aus der später ein größeres gemischtes Ensemble wurde und das heute die Jungen mit Leben füllen. Er war ein Sänger, der das Komponieren beherrschte und dessen große Leidenschaft es war, Stücke à capella zu arrangieren, also für den Gesang ohne instrumentale Begleitung. Lieder, in denen die Stimmen der Sänger die Rolle von Instrumenten übernehmen, sie klanglich nachahmen.

Gerade passiert genau das während der Probe. „Kommet, Ihr Hirten“ startet nur mit dem Rhythmus. „Dum, dumm, dummm“, zupfen die Bässe und lassen das „m“ schön schwingen. Die Tenöre ergänzen die Bordunquinte mit einem hellen „Düü, Düü“, als sei es eine mittelalterliche Pfeife. Und die Soprane bewältigen als Flöten eine ganz schwierige hohe Sequenz.

Das Stimmenorchester erfüllt den Raum, es lässt die Melodie des Weihnachtsliedes beinahe zur Nebensache werden. Und danach, bei „White Christmas“, wird der Chor zur kleinen Besetzung einer Swingband. Ein Großteil der Arrangements aus den Programmen von „Divertimento Vocale“ sind Niels Köpckes Originale. Und in vielen Notenblättern stehen die handschriftlichen Vermerke aus der Zeit, als er noch dabei war. Da weiß der Bass, was zu tun ist, wenn bei der Unisono-Passage steht: „Volle Lotte!“

Die acht an diesem Tisch wirken, als sängen sie schon ewig miteinander, keiner fremdelt, die Stimmung ist gelöst. Ein Unternehmen, aus Freundschaft entstanden. Dabei sind vor kurzem drei neu dazugekommen. Der harte Kern aber bleibt. Weil die Chormusik für alle eine Herzensangelegenheit ist. „Weil man mit Chorgesang eine besondere Art der Verbundenheit transportiert“, sagt Sopranistin Friederike Wrobel. Weil ihn die Herausforderung reizt, dass jeder hier seine eigene Stimme hat, sagt Ingo Bussmann, der zweite Bass in der Formation.

Der Chor ist Familiensache

„Auch, weil es meine Integration unterstützt“, sagt einer der Tenöre, der Portugiese Pedro Matos. Er lebt erst seit zwei Jahren in Deutschland und studiert Gesang. Tenor Armin Horn ist Abiturient, mit 18 Jahren der Jüngste. Der A-Capella-Fan will Musik studieren. In ihrer Freizeit hören sie gern Vocal Jazz. Oder Bach. Oder Björk. Oder Justin Timberlake. „Weil meine Frau ihn mag und auch, weil er gut ist“, sagt Ingo Bussmann. Antonia Biemer schwärmt eher für „The Real Group“ aus Schweden. Divertimento heißt übersetzt: Spaß. Einen besseren Namen hätten sie nicht wählen können.

Antonia und Christoph Biemer, beide Lehrer, lernten sich während ihres Studiums im Kammerchor der Universität der Künste kennen. Er gab sein Jurastudium für die Chormusik auf. „Eigentlich wollte ich das immer machen und auch unterrichten“, sagt er. Seit 2012 sind sie bei „Divertimento Vocale“ zu acht, zeitweilig sangen Antonias Bruder und Schwester ebenfalls mit. Irgendwie ist der Chor nach wie vor Familiensache, und Niels Köpcke immer präsent.

Und so werden sie beim kommenden Weihnachtskonzert auch wieder für ihn singen. „Alle Weihnachtssätze sind von meinem Vater, gepaart mit Liedern, die wir gerne singen wollen“, sagt Antonia Biemer. Herzenslieder eben. Portugiesische, die Pedro mitgebracht hat, Köpcke-Sätze, Wüllner-Weisen, wie das „Wiegenlied“. Oder sie gönnen sich den Luxus, mehr als vierstimmig zu singen, wie bei Brittens „A Hymn“.

Vielen, die diesmal zum Konzert in den Französischen Dom kommen, ist das vom letzten Advent noch im Gedächtnis. Von einer Konzertreise nach Schweden hatte der Chor skandinavische Weihnachtslieder mitgebracht – und sang so wundervoll, dass mancher Zuhörer mit Tränen in den Augen und voller Dankbarkeit lauschte. Antonia Biemer erinnert sich: „Eine Frau sagte letztes Mal zu mir, ich dachte, der Stuhl neben mir sei frei. Aber da saß ja ein Engel.“ Für ihn wird ganz sicher auch diesmal Platz sein.

Festliche Lieder im Oktett. Sonnabend, 22. Dezember, 20 Uhr, Französischer Dom, Gendarmenmarkt 5, Tickets 21 Euro, Tel. 923 738 42 oder www.franzhans06.de

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