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Unter Druck. So fühlen sich viele Fahrdienstanbieter. Sie berichten, Uber wolle nicht, dass sie auch für die Konkurrenz Aufträge annehmen.

© dpa

Chauffeure unter Druck: Uber will nicht, dass Fahrer auch die Konkurrenz bedienen

Fahrdienstanbieter fühlen sich erpresst: US-Unternehmen Uber wolle ihnen verbieten, auch für den neuen Konkurrenten Bolt Aufträge entgegen zu nehmen.

Ahmet Demir (der richtige Name ist der Redaktion bekannt) hatte zuversichtlich auf den Start von Bolt in Berlin geblickt. Bolt, früher Taxify, verlieh in der Hauptstadt bisher E-Tretroller, neu hinzugekommen sind Mietwagen-Fahrdienste und reguläre Taxifahrten. Bolt hätte eine zusätzliche Einkommensquelle für Demirs Mietwagenunternehmen sein sollen.

„Eine zweite Chance“, wie er im Gespräch mit Tagesspiegel Background sagt. Denn die Coronakrise hat ihn und seine Fahrer nie richtig ins Geschäft kommen lassen. Gestartet hatte er sein Unternehmen im Sommer 2020. Damals machten ihn sinkende Corona-Fallzahlen zuversichtlich, wenngleich sein einziger Auftraggeber bis heute der US-Fahrdienst Uber ist.

Aus diesem Grund möchte Demir auch anonym bleiben – er will es sich mit Uber nicht verscherzen, fürchtet um seine wirtschaftliche Existenz. FreeNow, das Konkurrenzangebot von Daimler und BMW, habe bereits im März wegen der geringen Auftragslage einen Aufnahmestopp für neue Firmen verhängt.
Deswegen ruhten die Hoffnungen auf Bolt. Doch es kam anders. Am vergangenen Mittwoch, dem Start von Bolt in Berlin, meldeten sich seine Fahrer bei ihm: Sie hätten Anrufe von Uber bekommen, man habe ihre Konten gesperrt.

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Begründung: Sie könnten nicht gleichzeitig für Uber und den Konkurrenten Bolt tätig sein. Ihre Zugänge würden erst dann wieder aktiviert, wenn sie die Bolt-App löschten.

Demir vermutet, dass das mit den Preisen zu tun hat. Denn Bolt berechnet den Fahrern nur halb so viel Provision wie Uber und FreeNow – 15 statt 30 Prozent pro vermitteltem Auftrag.

Demir braucht dringend neue Aufträge, weil er kein Anrecht auf Corona-Staatshilfen hatte: Voraussetzung dafür seien stark rückläufige Einnahmen gewesen – doch er verdiente dauerhaft wenig, weil er in der Krise gestartet war. Das Verhalten des US-Fahrdienstvermittlers bezeichnet er als Erpressung: „Wenn Uber uns keine Aufträge mehr vermittelt, sind wir geliefert.“ Demir bat sich Bedenkzeit aus, sprach mit befreundeten Mietwagenunternehmern.

"Wenn Uber uns keine Aufträge mehr vermittelt, sind wir geliefert."

Sie berichteten von den gleichen Erlebnissen. „Nach Corona haben sich alle Unternehmer gefreut, dass da jemand mit frischem Wind in den Markt hineinkommt und auf Kunden- und Fahrerseite so gute Angebote entstehen“, sagt Axel Moring (richtiger Name der Redaktion bekannt). Der Start von Bolt habe den Wettbewerb befeuert: „Seit einer Woche fährt kaum jemand mehr ohne Preisrabatt.“

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Doch mit der Freude war es schnell vorbei, als Uber die Accounts seiner Fahrer offline setzte. Uber habe einen Hintergrundcheck gemacht, um zu prüfen, welche Fahrer sich auch bei Bolt angemeldet haben, sagt Moring. Mit der Sperre beraube Uber die Fahrer ihrer Lebensgrundlage – sie seien zu 80 Prozent für Uber und zu 20 Prozent für FreeNow unterwegs gewesen, sagt Moring.

Man habe auch ihm telefonisch angeboten, seine Flotte exklusiv für Uber fahren zu lassen – unter der Voraussetzung, auf Bolt zu verzichten. Zur Begründung habe es geheißen, man habe im Wettbewerb mit Bolt in anderen Ländern schlechte Erfahrungen gemacht. Moring möchte keine Hinweise darauf geben, ob er weiter für Bolt fährt – um nicht erkannt zu werden.

Viele Fahrer seien eingeschüchtert und wollten nicht mehr für Bolt arbeiten

„Man kann eigentlich nur falsch entscheiden.“ Viele Fahrer in Berlin seien jedoch eingeschüchtert und wollten nicht mehr für Bolt arbeiten.

„In Fahrerkreisen wird Uber nur noch als Mafia bezeichnet“, sagt er. Moring geht davon aus, dass sich einige hundert Fahrer in Berlin dem Druck des Fahrdienstes gebeugt haben. Uber zeigte sich bei der Nachfrage von Tagesspiegel Background ahnungs- und schuldlos: Jedes lizensierte Mietwagenunternehmen, das die regulatorischen und rechtlichen Anforderungen erfülle, könne sich auf der Uber-Plattform anmelden, teilte ein Sprecher mit. „Die unabhängigen Mietwagenunternehmen können sich von verschiedenen Anbietern Fahrten vermitteln lassen, was ja viele von Ihnen bereits jetzt bei diversen Plattformen auch tun.“

Uber sei immer an einem guten partnerschaftlichen Verhältnis interessiert und lege „höchsten Wert auf rechtliche Integrität“.

Zudem glaube man an Wettbewerb und begrüße den Eintritt neuer Marktteilnehmer, teilte der Sprecher mit.

Uber zeigt sich ahnungs- und schuldlos, man lege Wert auf "rechtliche Integrität"

Bolt hingegen verurteilte „die wettbewerbsschädlichen Praktiken, die sich aktuell auf dem Berliner Fahrdienstmarkt ereignet haben“.

Man bedauere sehr, dass Mietwagenunternehmen aktuell von der Vermittlung von Fahrten von einzelnen Wettbewerbern ausgeschlossen würden.

Diese Vorgehensweise schränke die Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten für die Unternehmen und ihre Mitarbeiter:innen ein und habe auch negative Folgen für die Verbraucher:innen. Das 2013 von Markus Villig gegründete Unternehmen Bolt mit Sitz in Estland ist nach eigenen Angaben mit 30 Millionen Kunden in mehr als 200 Städten in 40 Ländern einer der führenden Fahrdienstvermittler Europas.

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Zum Start lockte es in Berlin mit Kampfpreisen, Fahrgäste zahlten nur den halben Preis. Diese Kampfpreise gelten, wie beschrieben, auch für die Fahrer: Die Provision von 15 Prozent sei niedriger als im Markt üblich und ein attraktives Angebot, teilte Bolt mit. Ob es gegen das Vorgehen von Uber klagen werde, ließ das Unternehmen offen. Ahmet Demir hat sich dafür entschieden, nicht weiter mit dem Uber-Konkurrenten zusammenzuarbeiten.

„Ich glaube nicht, dass es noch viele Fahrer gibt, die es wagen, für Bolt zu fahren“, meint er. Uber verstoße zwar gegen das Kartellrecht, das Unternehmen habe ihm aber keinen schriftlichen Beleg für seine Forderung aushändigen wollen.

Zudem habe er weder das finanzielle Polster, noch Zeit und Energie, um gegen Uber vorzugehen: „Wir sind als Unternehmen ein kleiner Fisch im Ozean.“

Nun hofft Demir darauf, dass die Aufträge zurückkommen, wenn die Corona-Auflagen auslaufen. Bisher, sagt der Unternehmer, spüre er davon allerdings noch nichts.

Jutta Maier

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