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Bye, bye Tegel – Zeit zu gehen. 

© Michael Kappeler/dpa

Bye-bye, Tegel!: Einen todgeweihten Flughafen soll man dichtmachen

Der BER wird kommen, ehe die Coronakrise endet. Zeit, TXL zu schließen. Ein Abgesang auf ein überfordertes Glanzstück.

Sagen wir mal so: Geliebt haben wir West-Berliner den Flughafen Tempelhof. Das kam von der Luftbrücke. Tegel – das war eher so etwas wie eine zweite Ehe, getragen von beiderseitigem Pragmatismus und nicht allzu hohen Erwartungen. 

Oh, der Flughafen, den sie TXL nannten, war ohne jeden Zweifel praktisch. Profis, die seinen Zeittakt kannten und im letzten Moment aus dem Taxi sprangen, waren anderthalb Stunden später im Hotel in Köln oder Kopenhagen, das ging sonst allenfalls von Baden-Baden. 

Nun sieht es ganz so aus, als gebe es genügend Gründe, Tegel sofort zu schließen und so gut wie keinen, ihn noch einmal kurz zu eröffnen. Der Aufsichtsrat hat in sein Votum das unerlässliche „vorübergehend“ eingeflochten, aber mal im Ernst: BER ist genehmigt, öffnet spätestens im Oktober, und das Hochfahren des Flugverkehrs ist nirgendwo auf der Welt absehbar.

Sehr wahrscheinlich war es das für TXL. Wer „Flughafen Tegel“ googelt, der landet 9,1 Millionen Treffer, aber er liest dort, wo die Nutzerbewertungen stehen, erst einmal  dies: „Verkehrsanbindung, Sauberkeit und Organisation eine Katastrophe“. Oder: „Langsam, unfreundlich, vollkommen überfordert“. 

9000 Bewerter haben ihm bei Google durchschnittlich 2,5 von 5 Punkten gegeben, bei einem Hotel hieße das: Schnell abschließen, Schlüssel wegwerfen. Das klingt hart, aber ein zu enger Flughafen ohne Bahnanbindung und verlässlich freie Zugangsstraßen ist heute kein Geschäftsmodell mehr, das haben sie draußen schneller eingesehen als wir Eingeborenen.

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Vermutlich haben die Urteile von Ortsansässigen und Besuchern bei kaum einem anderen Flughafen der Welt so weit auseinander geklafft – kein Wunder, dass die Berliner FDP mit ihrer verzweifelten „Tegelretter“-Kampagne so weit abseits jeder überregionalen Realität navigierte. 

Ja, es war ein Flughafen der kurzen Wege, und es war bei der Eröffnung ein architektonisches wie funktionales Glanzstück, gebaut in Zeiten und politischen Randbedingungen, die es schon lange nicht mehr gibt. Die Alliierten konnten selbstverständlich ohne Bürgerbeteiligung anordnen, dass ein wesentlicher Teil der Jungfernheide plattzumachen sei, und es gab ja auch keine Alternative in der eingemauerten Halbstadt, wenn man denn akzeptierte, was nicht wegzudiskutieren war: Tempelhof reichte nicht mehr aus, lag viel zu tief mitten in der Stadt. 

Tegel dagegen hatte sogar Platz für große Interkontinentaljets, die dummerweise leider nie kamen. Die Architektur ließ, damals, nicht nur Kinderaugen staunen. Überall automatische Türen und Fahrstühle, Blech, Beton und Kunststoff im Stil der Zeit und im Übermaß, das war Science Fiction für jedermann, und wo in der Welt außer eventuell in Belize und Auckland war es schon möglich, mit dem Auto praktisch am Gate vorzufahren?

 Ruhe und Leere herrschen am Flughafen Tegel – vielleicht ja für immer?
 Ruhe und Leere herrschen am Flughafen Tegel – vielleicht ja für immer?

© Michael Kappeler/dpa

Überhaupt war die Autogerechtigkeit wohl das entscheidende Merkmal dieses Flughafens, er war gewissermaßen ein Organ der Stadtautobahn, aber die von ihm ausgesandten Taxigeschwader rüpelten sich auch über alle anderen Straßen in die City, vor allem, als dann nach der Wende auch die östliche Stadthälfte bedient werden musste. Damit begann dann auch die finale Überforderung. 

Tegel sollte alle versorgen und es allen recht machen, wurde aber für diese Aufgaben nicht mehr gestärkt, erst recht nicht mehr, als der Beschluss für BER fest stand. Lieblos wurde ein neues Terminal von Lagerhallenqualität drangeklotzt, ein Hohn auf die ursprüngliche Absicht der Architekten, noch ein zweites Sechseck hinzuzufügen, wenn Erweiterung notwendig sei.

Tegel wirkt zur Corona-Krise wie ausgestorben. 
Tegel wirkt zur Corona-Krise wie ausgestorben. 

© Fabian Sommer/dpa

Und während die Passagiere auf zeitgemäßen Airports anderswo in führerlosen Bahnen oder auf automatischen Passagiersteigen bequem weite Wege zurücklegten und unterwegs luxuriös shoppen und essen durften, mussten sie in Tegel zu Fuß eine notdürftig zusammengezimmerte Brücke überqueren und auf Lastenfahrstühle warten, eine Konstruktion, die etwa so dauerhaft war wie das Finanzpolster von Air Berlin, jener Airline, die davon profitierte.

Es gab nicht nur miese Jahre

Statt bequemer Fahrgastbrücken in die Kabine gab es plötzlich wieder das Warten auf vollgepresste Vorfeldbusse, und die Geschichten über das Gepäck, und was damit geschah, sind Legion. Aber wer sich an den nun wohl vorzeitig  todgeweihten Flughafen nur wegen seiner miesen letzten Jahre  erinnert, der vergisst natürlich, wie gut er vorher funktioniert hat.

Vor allem für Nordberliner Vielflieger lag er ideal, zumal, wenn sie das Glück hatten, nicht auch noch in der Einflugschneise zu wohnen. Er vermittelte die Illusion, dass leichtes Reisen in alle Welt möglich sei, wenngleich diese Welt meist nur über besser vernetzte und größere deutsche Flughafen angebunden war und die gelegentlichen Goodwill-Verbindungen in die Ferne, nach New York oder Dubai, immer ungeliebt und unwirtschaftlich blieben.

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Als die Drehscheibe nach Ost-Europa gefragt war, griff Wien schneller zu, da blieb praktisch nichts, und so war Tegel fast ebenso wie zuletzt Schönefeld vor allem Berlins Startrampe zu den schönsten europäischen Stränden und Städten. Es mag sein, dass das seine Popularität ausmachte, denn ein Flughafen, der mehr für Urlaubserinnerungen steht als für nervige Geschäftsreisen, der hat es in der Rückschau allemal leichter.

Bye bye, Tegel, es war schön mit dir, es hätte noch schöner sein können, aber wir wollen nicht mehr meckern. Jetzt sieht es so aus, als würde der ruppige Pragmatismus der Corona-Krise auch noch den Ausstand verderben. Das hat sich niemand gewünscht, aber es ist nun einmal so. Schließen wir ab – und hoffen, dass wenigstens der BER später mal wirklich gebraucht wird. 

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