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Die BVG liebt die Berliner, und die lieben ihre BVG – irgendwie.

© picture alliance / Wolfram Stein

BVG-Streik: Berlin und die BVG: Geschichte einer besonderen Liebe

BVG-Streik am Freitag? Unser Autor hat schon ganz andere Sachen mit der BVG überstanden – und sie mit den Berlinern. Eine Glosse.

Bitte erwarten Sie keine objektive Auseinandersetzung mit der BVG von einem, der sein Stadtleben großteils mit diesem Unternehmen mobilisiert hat, von der Schülermonatskarte (eine Buslinie) bis zum allumfassenden Seniorenticket. Ich bin auf der offenen Plattform des 65er Busses über dem Innsbrucker Platz herumgeturnt, als der noch ein Platz war, habe beim Antragstellen auf frühen Lochkartenformularen mit verstockten Bürokraten um Liniendetails gezankt, etwa alle zehn Jahre wegen vergessener Fahrscheine das „erhöhte Beför...“
Schon gut: Ist die BVG etwas Besonderes? Der „Große Gelbe“ zumindest darf als Mythos gelten. Der dicke Doppeldecker brachte uns auf Augenhöhe mit London und durchmaß die ummauerte Stadt mit der Präzision eines Uhrwerks, außer, es lag mal richtig Schnee. Die Fahrer waren Autoritäten, Großstadtkapitäne mit Schlips und Kragen, ganz ähnlich wie ihre etwas entrückteren Kollegen auf den Fahrersitzen der U-Bahnen.
16 Jahre lang leitete ein Mann das Unternehmen, der tatsächlich Piefke hieß, eine karierte Fliege trug, für sein Leben gern Bahnhöfe eröffnete und virtuos in den Machtspielen des Stadtfilzes mitmischte. Wurde gestreikt, was sicher mal vorkam, dann war das immer eher eine heitere Mobilisierungsübung der Gewerkschaft ÖTV – die Zeche zahlten ohnehin die Bonner. Viel Pathetisches ist gesagt worden über die BVG, die Hauptschlagader der bedrohten Stadthälfte, na, das stimmte ja auch. Die S-Bahn dagegen, das waren aus West-Sicht die Bösen, Boykottgemüse.

Die Klischees leben weiter

Daran hat sich natürlich viel verändert. Aber anscheinend leben die Klischees in modernisierter Form weiter. Hier die bürgernahe BVG mit ihren coolen Sprüchen, die uns doch alle liebt, dort die ewig dysfunktionale S-Bahn mit den genervten Managern, die sich täglich im Fernsehen für irgendwas entschuldigen müssen.
Das ist allerdings die Berliner Perspektive. Draußen in den Geberländern des Finanzausgleichs fanden sie es nicht so komisch, dass die BVG ausgerechnet den Spruch „Is mir egal“ zum Wahrzeichen nahm. Das Kaputtsparen der Quietsch-Ära hat sowieso beide Betriebe gleich gemürbt – die S-Bahn fuhr nur früher in die Grütze und bekam den Ärger zuerst ab, bevor dann auch die BVG nicht mehr so recht zurückgeliebt wurde.
Wenn also am Freitag die BVG bestreikt wird, dann liegt die Hauptlast auf der S-Bahn, die hoffentlich für diese Stunden von Signalstörungen, Schadzügen, Personen im Gleisbett und Polizeieinsätzen verschont bleibt. Aller Erfahrung nach wird es ohnehin nicht maximal schlimm kommen, weil die Fahrgäste für diesen einen Tag alle nicht unbedingt nötigen Touren streichen werden. Beim letzten BVG-Streik 2012 gelang es der S-Bahn sogar, nachmittags das Olympiastadion für den Bundesligafußball zu füllen.

Intakte Demokratie verlangt manchmal Leidensfähigkeit

Ob die Aufmuskelei der Gewerkschaft Verdi überhaupt nötig ist, darüber gehen die Meinungen naturgemäß auseinander. Die Lautstärke der Kritik hängt vermutlich unmittelbar mit der Länge der Zeit zusammen, die jeder von uns beim streikbedingten Warten verbringen muss. Aber für die Einschätzung mag ein Blick in die Berliner Stadtgeschichte hilfreich sein: auf den BVG-Streik 1932, dessen Anlass Lohnkürzungen waren. Nazis und Kommunisten nutzten in trauter Eintracht die Gelegenheit, die Weimarer Republik noch ein wenig mehr zu zerstören, es gab drei Tote und acht Schwerverletzte, bevor die Streikfront bröckelte und alles nach fünf Tagen abgeblasen wurde.
Das waren Zeiten. Niemand will sie zurück, und nichts haben die Streiks von heute und damals gemeinsam außer der Tatsache, dass sie die Stadt weitgehend lahmlegen. Aber auch die intakte Demokratie verlangt von ihren Bürgern manchmal ein wenig Leidensfähigkeit.

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