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Frau mit Herz. „Maggy“ verhalf mit ihren Organisationen in Ostafrika über 100 000 Menschen zu Bildung und medizinischer Versorgung.

© Aurora/promo

Burundische Aktivistin besucht Berlin: Helferin auf Augenhöhe

Marguerite Barankits gab mehr als 20.000 Kindern in Burundi ein Zuhause und kämpft für die Aussöhnung zwischen Hutus und Tutsis. Eine Begegnung.

Marguerite Barankitse fällt auf in ihrem bodenlangen hellroten Kleid mit den auffälligen Stickereien und der passenden traditionellen Kopfbedeckung – jedenfalls in Berlin, wo sie im Rahmen der Aurora Dialogues zu Besuch war. Sie strahlt Energie und Entschlossenheit aus und ihre Augen leuchten so positiv und strahlend, dass man sich kaum vorstellen kann, wie viel Schrecken und Leid diese Frau schon miterleben musste.

„Maggy“, wie sie oft einfach genannt wird, kommt aus Burundi, einem kleinen Land in Ostafrika, das weit weniger Aufmerksamkeit erhält als die Nachbarländer Ruanda und Kongo. Lebensmittel sind knapp, kaum jemand hat Elektrizität, und seit Jahren gibt es Konflikte zwischen den Volksgruppen der Hutu und Tutsi. Marguerite Barankitse, selbst eine Tutsi, setzt sich vehement gegen die Verfolgung ihrer Hutu-Nachbarn ein.

Nachdem sie mitansehen muss, wie Dutzende ihrer Freunde ermordet werden, beginnt sie ein Hilfsnetzwerk für Kinder aufzubauen, gibt ihnen Unterschlupf und unterrichtet sie. Bislang haben ihre zwei Organisationen dazu beigetragen, mehr als 100 000 Menschen zu medizinischer Versorgung, Ausbildung und einer besseren Zukunftsperspektive zu verhelfen. Dafür wurde sie mit mehreren Preisen bedacht, unter anderem bereits 2016 mit dem „Aurora Prize for Awakening Humanity“ .

Ihre Bemühungen beginnen in einem der ärmsten Teile des Landes. Dort arbeitet Maggy als Lehrerin, eine Arbeit, die sie aufgeben muss, weil ihr politisches Engagement auf Unwillen stößt. Wenig später eskalieren die politischen Konflikte und ein Bürgerkrieg bricht aus, in dem vor allem Hutus verfolgt werden. Sie versucht, möglichst viele ihrer Hutu-Bekannten zu verstecken und zu schützen, doch sie werden von der Miliz gefunden.

Maggy wird als Tutsi nicht getötet. Stattdessen fesselt man der „Verräterin“ die Arme auf den Rücken und zwingt sie, zuzuschauen, wie 72 ihrer Hutu-Freunde ermordet werden. Das Erlebnis erschüttert sie sehr, ein Trauma. Auch wenn sie öffentlich darüber spricht, merkt man ihr die Trauer und das Bedauern darüber an, dass sie diese Menschen nicht retten konnte. Doch Maggy gibt nicht auf. Sie möchte ihrem „Leid in die Augen sehen“ und sich nicht bemitleiden lassen.

Auf "Maggy" wird ein Kopfgeld ausgesetzt - sie flieht aus Burundi

Ihre unermüdliche Energie und Stärke zieht sie dabei vorrangig aus ihrem Glauben, sagte sie bei ihrem Besuch in Berlin. Sie glaube fest an ein Leben nach dem Tod, und diese Gewissheit helfe ihr, mit der Ermordung so vieler ihr nahestehenden Menschen umzugehen. Immer wieder bete sie. „Oh Gott, ich habe nicht genug Kraft, aber ich möchte scheinen, ein Licht in der Dunkelheit sein“. Und das ist sie für die 20 000 Kinder, denen sie auf dem Grundstück eines Bischofs von 1993 bis 2015 Unterschlupf gewährt.

Zunächst sind es 25 junge Menschen, doch schnell werden es mehr und mehr, die von ihrer unermüdlichen Energie und dem Ehrgeiz gehört haben, niemanden abzuweisen. Sie verhilft ihnen nicht nur zu einem Dach über dem Kopf, sondern auch zu medizinischer Versorgung und Bildung. Die „Maison Shalom“ (Haus des Friedens), wie sie ihre Organisation tauft, baut in diesen Jahren mit burundischen und europäischen Unterstützern mehrere Schulen, ein Krankenhaus und sogar ein Kino.

Außerdem beteiligt sich Marguerite Barankitse an Demonstrationen gegen eine dritte Amtszeit von Präsident Nkurunziza, die in der Verfassung des Landes nicht vorgesehen war. Im Frühjahr 2015 eskaliert die Situation, die Polizei beginnt Proteste niederzuschießen, und auf Barankitse wird ein Kopfgeld ausgesetzt. Sie flieht aus Burundi und lässt nicht nur ihr Heimatland hinter sich, sondern auch alles, was sie in 23 Jahren aufgebaut hat. Dennoch verliert sie ihre Hoffnung nicht, sondern ist überzeugt: „Meinen größten Schatz kann mir niemand nehmen: mein Bewusstsein und meine Fähigkeit zum Wiederaufbau. Und dank meinem Glauben bin ich nie allein. Wo immer ich hingehe, werde ich Hoffnung und Freude verbreiten.“ 

Mehr als 90.000 Geflüchtete bekommen Hilfe von ihren Organisationen

Ein Großteil der Menschen in Burundi war in das vom Genozid gezeichnete Nachbarland Ruanda geflohen. Maggy, die dank ihrer Verbindungen nach Europa auch in Luxemburg hätte bleiben können, reist ebenfalls dorthin, da sie es nicht aushält, „herumzusitzen, während andere Menschen Hilfe brauchen“. 2017 errichtet sie in Kigali ihre zweite Organisation: „Oasis of peace“. Mit Unterstützung von privaten Spendern und Hilfsorganisationen bietet sie Schulprogramme, Berufsausbildung und psychologische Unterstützung für mehr als 90 000 burundische Geflüchtete an. Sie ist überzeugt, dass die Menschen dort „ihre Verletzlichkeit in Chancen verwandeln können“. Für sie ist das Wichtigste, dass die Geflüchteten eine Vision von der Zukunft entwickeln. Auch Nähmaschinen werden zur Verfügung gestellt  – stolz erzählt sie, dass die blauen Blumen auf ihrem Kleid von ihren Schützlingen hergestellt wurden. Da sie keine biologischen Kinder hat und darauf verzichtete, zu heiraten, um „so vielen Waisen helfen zu können, ihnen Hoffnung und Identität zu geben“, freut sie sich besonders, dass ein großer Teil ihrer jetzigen Kolleginnen und Kollegen in Ruanda ehemalige Kinder des „Maison Shalom“ in Burundi sind. Sie sind sozusagen ihre „Familie".

Dass die meisten Menschen es nicht schaffen, Mitmenschen als Geschwister zu begreifen, sieht sie als Hauptursache vieler Konflikte. Es gebe zu viel Mitleid und zu wenig Mitgefühl – sobald Menschen Leid erführen und Hilfe benötigten, werde ihnen oft nicht mehr auf Augenhöhe begegnet. Dabei „brauchen Menschen einfach Menschen, die ihnen helfen, ihre Chancen zu ergreifen, und mit ihnen gemeinsam leuchten wollen“.

Sarah Reim

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