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Der neue Doppel-Null-Agent der BVG, der 300er, rollt zwischen der Philharmonie und dem Bahnhof Warschauer Straße - vorbei an der East Side Gallery.

© Thilo Rückeis

Bummeln mit der BVG: Mit dem 300er zu den Attraktionen der Stadt

Die Berliner testen ihren neuen Touristenbus. Vor allem Elektrobusse rollen zwischen Philharmonie und Warschauer Straße.

Hat man sonntags noch nichts vor, kann so eine Busfahrt durch die eigene Stadt ein schöner Zeitvertreib sein und das persönliche Koordinatensystem festigen. Die Verwaltungsangestellte aus Reinickendorf – graue Haare, rosa Bluse, so mittelalt – hat sich extra die Mühe gemacht, an die Warschauer Straße zu fahren, um von dort auf der nagelneuen Linie 300 eine Premierenfahrt an die Philharmonie zu unternehmen. „Es gab ja viele Änderungen in letzter Zeit. Das möchte ich einfach mal so verinnerlichen.“ Erwartungsvoll schaut sie zu den Bussen, die sich unter der Brücke versammelt haben, darunter viele neue Elektrobusse mit abgerundetem Dach. Das sind die neuen „E-Citaro“ von Mercedes. Die 300er-Linie soll den Touristen zeigen, dass Berlin seine Luft sauber hält.

Mit dem 300er gibt es jetzt drei Doppel-Null-Linien, die dem kundigen Berlinreisenden eine Rundfahrt durch die Innenstadt bieten, von der City-West in die City-Ost, doch anders als 100er und 200er bricht die 300 quasi auf halber Strecke ab. Kritiker vermuten deshalb, es handele sich eigentlich um eine aufgemotzte Kiezlinie, deren geringe Distanz ein Zugeständnis an die geringe Reichweite der Busse sei (max. 150 Kilometer).

30 Elektrobusse hat die BVG angeschafft

Ein Citaro schleicht heran, vermeidet jedes Rasseln und Dröhnen seiner Dieselverwandtschaft. 30 E-Busse hat die BVG angeschafft, jeweils zur Hälfte von Mercedes und dem polnischen Hersteller Solaris. Der Busfahrer ist gut gelaunt, auch für ihn eine Premiere. Die automatische Fahrplananzeige auf seinem Display funktioniert noch nicht, ist jetzt aber kein Grund stehen zu bleiben. Drinnen ist es angenehm kühl, die Haltestangen leuchten dottergelb, die Sitze sind im bekannten BVG-Buntdesign gehalten. Als Service fürs Handy gibt es zwei USB-Buchsen am Sitz, aber nur zum Aufladen.

Die Fahrt beginnt unter der Warschauer Brücke, über die Tamara- Danz-Straße zur Mühlenstraße, dort steigen die ersten Touristen zu, gesteuert per Smartphone-App, einige werfen ihr Fahrtziel dem Fahrer doch noch kurz an den Kopf, der antwortet mit einem Nicken, dann geht’s weiter.

Auf der Linie 300 werden Elektro- und Dieselbusse eingesetzt.
Auf der Linie 300 werden Elektro- und Dieselbusse eingesetzt.

© Thilo Rückeis

Ein Mutter-Sohn-Gespann ist aus Elmshorn bei Hamburg angereist, zum 25. Mal in Berlin, da hat man schon alles gesehen. Jetzt also die 300er-Linie. Ein älteres Ehepaar, beide 85, stellt sich als „Familie Pingel“ vor. Seit über 40 Jahren wohnen sie in einem Hochhaus nahe der Holzmarktstraße, vieles habe sich in ihrem Leben schon verändert, sagt sie. Dass der 300er jetzt zur Philharmonie fährt, möchte sie der BVG zugute halten. Dass sie aber ab heute nicht mehr mit dem 248er bis ans Südkreuz fahren können, um die Verwandtschaft aus Sachsen vom Bahnhof abzuholen, schlägt negativ zu Buche. „Schade“, sagt sie und lächelt. Man hat schon Schlimmeres erlebt.

Der M48 und der TXL verkürzt? Das jammert die Fans

Dass der Bus elektrisch angetrieben wird, fällt den wenigsten Touristen auf, die Fans aus der Spotterszene, Abteilung BVG-Busse, wissen natürlich genau Bescheid. „Die Elektrobusse sind cool, aber man hört sie halt nicht“, sagt Aron, 14 Jahre alt, aus Lichterfelde-West. Er befürchtet viele Unfälle wie bei den E-Scootern. Der Grund hängt ihm um den Hals: Kopfhörer. Aron trauert etwas den nunmehr verkürzten Linien M48 und TXL hinterher, das hätten diese Kultmarken des Berliner Busnetzes nicht verdient. Mit dem 300er muss er sich noch anfreunden. Auch viele Busfahrer – er habe da so seine Kontakte – fänden die neue Linie eher überflüssig. Andere Spotter unken über die Elektrobusse, die einen ganzen Tag zum Nachladen bräuchten. Die BVG hält dagegen, das Nachladen werde über Nacht erledigt, wenn die meisten Busse ohnehin im Depot stünden.

Auch die Berliner testen die neue Touristenattraktion.
Auch die Berliner testen die neue Touristenattraktion.

© Thilo Rückeis

Daniel – Commodore-C64-Basecap, Turnschuhe, blaues T-Shirt – wäre selbst gerne Busfahrer geworden, aber die BVG habe seine Online-Bewerbungen einfach ignoriert. Jetzt hat er sein Smartphone auf Video gestellt und nimmt die gesamte Fahrt auf, Dauer: 38 Minuten. Zusammen mit seinem Vater – der hat es zum Busfahrer geschafft – werde er die Streckenführung zu Hause genau unter die Lupe nehmen. Er liebäugelt auch mit einem Nachbau der Linie in einem Bus-Simulationsspiel. Seine Annahmen sind kritisch: Die 300er-Linie ist wahrscheinlich eine Fehlkonstruktion, zu viele Baustellen, zu häufiger Zickzackkurs. Er prophezeit ihr im Alltagsverkehr ein Stau-Desaster, schließlich muss sie sich Unter den Linden durchquälen und noch ein Stück über die Stillstandszone Leipziger Straße.

Wie elegant der Bus über den Asphalt gleitet!

Der Busfahrer, der seinen Namen lieber nicht verraten möchte, ist von den Citaros recht angetan, kurz, wendig, elegant über den Asphalt gleitend, lobt er an der Endstation Philharmonie. Besonders angenehm sei aber die lange Pausenzeit von 20 Minuten, das sei recht ungewöhnlich für die BVG. Vermutlich wolle man die neue „Vorzeigelinie“ nicht mit mauligen Fahrern beschädigen, die wegen Verspätungen ihre Pausenzeit einbüßen.

Die beiden Herren, die hinter dem Ausstieg Platz genommen haben, die Spiegelreflex auf dem Schoß, fahren die Strecke zurück in den Osten. Fürs Wochenende sind sie auf Berlin-Visite, nicht ahnend, dass ihnen hier die Premiere einer Buslinie geboten würde. „Gleich mal ausprobieren.“ Sie outen sich als Busplaner bei den Hamburger Verkehrsbetrieben. Mit den Elektrobussen habe man in Hamburg bisher eher mäßige Erfahrungen gesammelt, aber man setze auf die neuen zuverlässigen Citaros. Genau wie in Berlin.

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