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"Kurze Beine, kurze Wege", lautet die Regel für Schulanfänger. Wenn Schulraum fehlt, werden die Wege länger.

© dpa/p-a/Thomas Warnack

Bürokratie in Berlin: Ihr wisst doch, wo ich wohne!

Name, Geburtsdatum, Adresse – immer und immer wieder, Formular für Formular. Wer sein Kind in Berlin in die Schule schicken will, braucht mehr als nur ein robustes Handgelenk. Ein Kommentar.

Ihren Namen kann meine Tochter schon längst schreiben. Na gut, den kleinen Bogen bei ihrem Anfangsbuchstaben „J“ zieht sie immer noch mal nach links und mal nach rechts, aber das hat sie bestimmt auch bald raus. Schließlich ist sie schon fast sechs Jahre alt und wird in diesem Sommer eingeschult. Ich hatte in den vergangenen Wochen und Monaten ebenfalls reichlich Gelegenheit, meine eigentlich völlig unleserliche Handschrift zu korrigieren und ein schwungvolles, formvollendetes „J“ zu üben – sogar viel häufiger, als mir lieb ist.

Wer sein Kind in Berlin in die Schule schicken will, braucht eben ein robustes Handgelenk. Und ein geduldiges und in Bürokratie geübtes Gemüt.

Im vergangenen Herbst wurden wir vom Bezirksamt Wilmersdorf-Charlottenburg aufgefordert, unsere Tochter als Schulanfängerin anzumelden. Seitdem habe ich viel Zeit damit verbracht, ihren Namen, ihr Geburtsdatum und unsere Adresse in Formulare einzutragen. Dabei sind genau diese Daten dem Bezirk offensichtlich bekannt, sonst wäre er nicht auf die Idee gekommen, uns den Aufforderungsbrief zu schreiben. Aber mit Logik kommt man in Berlin nun einmal nicht weiter.

Ich möchte auch nicht, dass jemand die Daten meiner Kinder online abschöpft

Mir ist schon klar: Datenschutz ist wichtig, nicht erst seit dem Skandal um Cambridge Analytica. Ich poste keine Fotos meiner Kinder auf Facebook, ich möchte auch nicht, dass jemand ihre Daten online abschöpft. Rechtlich gilt auch für Bezirksämter der „Direkterhebungsgrundsatz“, die Daten meiner Tochter dürfen also nur bei uns abgefragt werden. Jeweils einzeln von Schulamt, Jugendamt und Gesundheitsamt, auch wenn es bei allen Formularen um den Prozess der Einschulung geht. Aber das kann doch nicht bedeuten, dass man dieselben Informationen immer wieder handschriftlich zu Papier bringt und ins Bezirksamt schickt, wo sie gestempelt und gelocht und abgeheftet werden. Ich bin mir sicher: Seit 1985, als ich eingeschult wurde, hat sich da kaum etwas geändert.

Wenn man im Schulamt oder im Jugendamt anruft, gerät man in der Regel an eine freundliche, hilfsbereite Mitarbeiterin – die allerdings auch immer gehetzt wirkt. Kein Wunder, wahrscheinlich hat sie einen Stapel Formulare auf dem Schreibtisch, alle mit einem schwungvollen „J“ in der ersten Zeile.

Formular für Formular

Formular eins im Fall des Schulanfang-Papierkriegs: die offizielle Anmeldung, ausgefüllt direkt in der zuständigen Grundschule des Einzugsgebiets.

Formular zwei und drei: der „Antrag zur Aufnahme eines Kindes in eine andere öffentliche Grundschule“ (uns gefällt die Nachbarschule einfach ein bisschen besser). Die Schulsekretärin riet uns, das Formular in zweifacher Ausführung auszufüllen und ein Exemplar direkt an die Wunschschule zu schicken, da die Bearbeitung des Antrags beim Schulamt eine Weile dauern könne.

Formular vier: der Meldebogen bei der schulärztlichen Untersuchung.

Formular fünf: der Antrag auf Hortbetreuung am Nachmittag. Name, Geburtsdatum, Adresse, immer wieder.

Bei mehr als 32.000 Schulanfängern potenziert sich der Aufwand

Man könnte jetzt sagen: So viel ist das doch gar nicht, fünf Zettel mit ein paar Basisinformationen, die sind schnell ausgefüllt und abgeschickt, geprüft und abgelegt. In Berlin werden 2018 aber mehr als 32.000 Kinder eingeschult, in den kommenden Jahren wird diese Zahl deutlich steigen, der Aufwand potenziert sich also. Verwaltungstechnisch ist unsere Tochter zudem ein einfacher Fall: Sie ist in Berlin geboren, ihre beiden Eltern sind Berliner mit deutscher Staatsangehörigkeit und festen Arbeitsverträgen, sie hat keinen sonderpädagogischen Förderbedarf. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie viele Formulare freiberuflich arbeitende oder von Sozialleistungen lebende Eltern ausfüllen müssen, deren Kind eine andere Nationalität hat oder schwerhörig ist.

In der Präambel des rot-rot-grünen Koalitionsvertrags steht: „Wir packen die Modernisierung unserer Verwaltung an und werden die Bezirke mit mehr Personal und Ressourcen ausstatten.“ Dann fangt mal an! In vier Jahren wird auch mein Sohn eingeschult, bis dahin erwarte ich Fortschritte. Falls das nicht klappt, kann seine große Schwester immerhin das Ausfüllen der Formulare übernehmen.

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