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Bürgerstiftung Berlin: Florian Langenscheidt – Visionär und Skeptiker

Verleger Florian Langenscheidt hat den Niedergang des großen Brockhaus miterlebt. In Berlin referierte er über Fluch und Segen der Digitalisierung.

Ineinander verschlungene Fäden prägen die Decke des neu renovierten Wilhelm- von-Humboldt-Saales der Staatsbibliothek. Er wurde am Mittwoch eingeweiht mit einem kurzweiligen Vortrag über Segen und Fluch der digitalen Revolution.

Zusammengekommen waren die Mitglieder der Bürgerstiftung und des Rotary Clubs Berlin, um Florian Langenscheidt zu hören – darüber, wie sich das Beste aus der Digitalisierung machen lässt. Der Verleger und Autor, Nachfahre von Verlagsgründer Gustav Langenscheidt, war lange in leitenden Funktionen bei Brockhaus und Duden tätig und früh in der High-Tech-Welt als Business Angel ein Förderer von Startups.

Die Generaldirektorin der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Barbara Schneider-Kempf, hatte mit der Ankündigung eines großartigen dialektischen Erlebnisses schon recht hohe Erwartungen geweckt, aber der Redner erfüllte sie lässig, indem er auf zwei Rollen verteilt sprach – einmal in der des Enthusiasten und Visionärs und auf der anderen Seite in der des Skeptikers.

Niedergang des Großen Brockhaus

Und er konnte ja auch aus einem reichen Fundus schöpfen. Es mag sich nicht jeder ständig vergegenwärtigen, dass er das Wissen der Welt inzwischen jederzeit und überall auf seinem Smartphone abrufen kann. Der Unternehmer auf der Bühne aber hat hautnah den Niedergang des Großen Brockhaus miterlebt, der so lange Muss-Bestandteil einer jeden bildungsbürgerlichen Hausbibliothek war.

Von den Feierlichkeiten zum 200. Jubiläum des Garanten für Zuverlässigkeit, an dem 2500 Professoren mitgearbeitet haben, bis zum steilen Abfall der Verkaufszahlen und schließlich dem Werteverlust sogar auf den antiquarischen Märkten vor der Uni, wo man ihn im Zeitalter von Google und Wikipedia angeblich heute manchmal schon für 25 Euro haben kann.

Viele interessante Infos, die man nicht einfach so im Telefon sucht, gab es so ganz am Rande mitzunehmen, die Zahl der Geräte etwa, die sich im Smartphone verbergen. Langenscheidt hat 70 gezählt, von Kursbuch bis Kamera. Steht er abseits der Bühne eher auf der Seite der Skeptiker oder gehört er doch eher zu den Enthusiasten? Deutliche Skepsis klang zumindest durch angesichts der Zahl der Blicke, die jeder durchschnittlich am Tag auf sein Handy wirft: 250.

Am Ende des frei gehaltenen Vortrags und noch vor der lebhaften Diskussion standen zehn Empfehlungen für den Umgang mit dem Digitalen. Sie lassen sich im Grunde zusammenfassen zu einer Regel, mit der schon mittelalterliche Mönche ihre Lebenszeit beträchtlich ausdehnen konnten: Maß halten. Ein disziplinierter Umgang mit sozialen Medien und dem Internet führt zu einem Phänomen, das zum Lebensthema von Florian Langenscheidt wurde, dem Glück.

Um das auch Kindern zu gewährleisten, gab es am Ende rasch noch eine kleine Philippika für Eltern, die es versäumen, digitale Grenzen zu setzen. Das Glück, weiß der Experte und Vater von fünf Kindern, „wartet nicht im Laptop und nicht im Smartphone, sondern in uns“. Trotzdem hat er beizeiten in digitale Unternehmen investiert, die heute mehr Wert seien, als mancher Verlag es je war.

Für das Phänomen, dass man sich an bestimmte Dinge schneller gewöhnt, als einem klar ist, dafür hatte Sascha Köckeritz von der Braunschweiger Privatbank ein Beispiel mitgebracht. „Was“, fragte er das Publikum, „war die beste App während des Sommermärchens 2006“? Er sammelt einige Vorschläge, bis die richtige Antwort kam: „Damals gab es noch gar keine Apps.“

Das Altern hat auch gute Seiten

Unter den Zuhörern war auch der Kabarettist und TV-Moderator Eckart von Hirschhausen, der noch ganz eingenommen war von einem vorangegangenen Treffen mit Al Gore. In seiner zweiten Lebenshälfte will sich von Hirschhausen noch mehr den ernsteren Themen widmen, dem Klimaschutz, der vor allem ja auch Menschenschutz sei und – in einem demnächst erscheinenden Buch – den oft verkannten Qualitäten der zweiten Lebenshälfte.

Kreatives Gedankensprudeln ist durchaus typisch für Veranstaltungen der Bürgerstiftung. Dass man in fortgeschrittenem Alter nicht mehr so leicht eine digitale Sucht entwickeln kann wie in jungen Jahren und ziemlich firm ist in der Pflege analoger Kontakte, ist wohl auch eine gute Seite des Alterns.

Ob es freilich ein umfassendes Revival des handgeschriebenen Briefes geben kann, wie sich das bei der Diskussion so mancher wünschte, bleibt abzuwarten. Im kommenden Jahr wird die Bürgerstiftung ihr 20-jähriges Jubiläum feiern, die Vorbereitungen sind in vollem Gang, sagte Verena Werhahn vom Vorstand.

Bereits seit zehn Jahren führt die Vorstandsvorsitzende Heike Maria von Joest die Geschicke der Stiftung. Rund 500 Ehrenamtliche erreichen in Berlin fast 10.000 Kinder in Schulen und Kitas, bringen ihnen unter anderem auch die „Zauberhafte Physik“ näher oder die Vorzüge eines Kräutergartens.

Kein Wunder, dass die für Bildung umfassend engagierten Mitglieder sich an diesem historischen Ort, an dem unter anderem auch die Handschrift von Beethovens 9. Sinfonie aufbewahrt wird, besonders wohlfühlten.

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