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Das Eva-Maria-Buch-Haus in der Götzstraße beherbergt die Bezirkszentralbibliothek von Tempelhof-Schöneberg.

© imago/Joko

Update

Bücher zerschnitten, Parolen geschmiert: Haben Reichsbürger es auf eine Berliner Bezirksbibliothek abgesehen?

Die Bibliothek in Tempelhof ist das Ziel von Attacken, die mutmaßlich von Rechtsradikalen stammen. Auf den jüngsten Vorfall reagiert der Leiter mit einem Appell.

In der Zentralbibliothek des Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg sind sieben Bücher, mutmaßlich von einem oder mehreren rechtsgerichteten Tätern, zerstört worden. Dies bestätigte Matthias Steuckardt (CDU), der Bezirksstadtrat für Kultur, dem Tagesspiegel. Unter den Büchern sind Titel, die sich kritisch mit rechten gesellschaftlichen Tendenzen auseinandersetzen, und Biografien aus der Geschichte des Sozialismus. Der Leiter der Stadtbibliotheken des Bezirks, Boryano Rickum, hatte die Zerstörung am Mittwochabend auf Twitter bekanntgemacht und angeprangert.

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„Die Veröffentlichung ist mit meiner Zustimmung erfolgt“, sagte Steuckardt. Die Zerstörungen sind in der Bibliothek in der Tempelhofer Götzstraße bereits am 27. Juli aufgefallen, allerdings habe das Team der Bibliothek gezögert, sie öffentlich zu machen, um damit dem Täter oder den Tätern keine Aufmerksamkeit zu verschaffen, sagte Steuckardt.

Die Empörung über die Zerstörung sei jedoch irgendwann so groß geworden, dass man sich zu dem Schritt an die Öffentlichkeit entschlossen habe, und er, Steuckardt, habe diesen Schritt gebilligt. Bereits am 27. Juli hätten Verantwortliche der Bibliothek Anzeige gegen Unbekannt erstattet.

Die Solidarität mit der Bibliothek ist enorm. „Der Autor eines der zerstörten Bücher hat uns angeboten, dass er uns ein neues Buch zur Verfügung stellt“, sagte Steuckardt. „Es haben auch Bürger angeboten, dass sie für die Wiederbeschaffung der Bücher spenden wollen.“ Der finanzielle Schaden beläuft sich jedoch lediglich auf 120 Euro.

Bücher wurden offenbar auf der Toilette zerschnitten

Das sind die Titel der zerstörten Bücher:

  • Wolfgang Wippermann: „Denken statt denkmalen: Gegen den Denkmalwahn der Deutschen“
  • Lou Zucker: „Clara Zetkin - eine rote Feministin“
  • Patrick Stegemann und Sören Musyal: „Die rechte Mobilmachung: Wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen“
  • Patrick Schlaffer: „Hass. Macht. Gewalt. : ein Ex-Nazi und Rotlicht-Rocker packt aus“
  • Michael Kraske: „Der Riss: wie die Radikalisierung im Osten unser Zusammenleben zerstört“
  • Robert Misik: „Marx für Eilige“
  • Andreas Speit: „Völkische Landnahme: alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos“

Nach Steuckardts Angaben müssen die Bücher auf der Toilette zerschnitten worden sein. Sie lagen dann in einem Korb, den jeder Kunde nehmen muss, wohl erst mal unbeachtet an einer unauffälligen Stelle. Am nächsten Morgen wurden sie entdeckt.

Seit Jahren Ärger mit Reichsbürger-Parolen

Die Bibliothek hat Steuckardt zufolge seit Jahren Probleme mit Schmierereien in den Innenräumen. Die Parolen gehörten zum „Reichsbürger-Spektrum“. Sie seien stets sofort entfernt worden. Zudem lägen immer wieder Flyer, „aus dem rechten Spektrum“, wie Steuckardt es formulierte, zwischen Büchern.

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Auch der Gehweg vor der Bibliothek sei schon wiederholt mit Parolen aus dem Reichsbürger-Spektrum beschmiert worden, berichtete der CDU-Politiker weiter. Diese Parolen habe man ebenfalls sofort beseitigt. Steuckardt erinnerte außerdem an die Beschädigung mehrere Stolpersteine in Schöneberg kurz nach ihrer Verlegung im April.

„Die zunehmende Aggressivität dieser Angriffe ist schockierend“, erklärte der Stadtrat. „Bibliotheken sind Leuchttürme des Wissens und der Freiheit, die es zu verteidigen gilt. Wir werden uns den Feinden der Demokratie gemeinsam und entschlossen entgegenstellen.“

Bibliotheksleiter: „Politische Neutralität ist hier keine Option“

Auch die Beschäftigten der Bibliothek seien „schockiert und empört“, schrieb Leiter Boryano Rickum nach dem jüngsten Vorfall auf Twitter. „Schon jetzt ist klar, dass wir das so nicht stehen lassen werden“, erklärte er weiter. Öffentliche Bibliotheken müssten überparteilich gegen antidemokratische Strömungen Position beziehen. „Politische Neutralität ist hier keine Option.“ In der Zerstörung der Bücher sehe er „einen klaren Angriff auf unsere bundesrepublikanische Demokratie“.

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Rickum nahm den Vorfall zum Anlass für einen Appell: Er habe die betroffenen Bücher zwar selbst noch nicht gelesen, werde das jetzt aber nachholen - und empfehle das auch anderen. „Geht in Eure Bibliothek und sucht nach ihnen. Leiht sie Euch aus und befasst Euch mit ihnen“, schrieb Rickum bei Twitter.

Womöglich könnten Bibliotheken „quer durch unsere Republik“ die Titel ebenfalls beschaffen und besonders präsentieren. „Lasst uns gemeinsam aus diesem Vorfall einen wunderschönen Akt prodemokratischer Bewusstseinsbildung machen, indem wir Bücher lesen und reflektieren, statt sie zu zerstören.“ Auch die Bezirkszentralbibliothek überlegt, wie sie den Vorfall aufarbeiten soll. Angedacht sei etwa, die zerschnittenen Bücher auf einem Tisch auszustellen, um zur Diskussion anzuregen, hieß es am Donnerstag in einer Mitteilung des Bezirks.

Betroffener Autor: „Bin leicht angepisst“

Betroffene Autorinnen und Autoren machten bereits ihre Abscheu gegenüber den Tätern deutlich. „In guter alter Tradition geht da jemand in eine Bibliothek und zerstört Bücher, die sich mit der radikalen Rechten oder mit der Geschichte des Sozialismus befassen“, schrieb der Journalist und Soziologe Sören Musyal bei Twitter. „Bin leicht angepisst.“

Die Zetkin-Biografin Zucker schrieb zu den Zerstörungen: „Bücher sind nur Papier. Aber wir kennen die Geschichte. Ich will, dass es bei Papier bleibt!“

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