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Joachim Król (links) und Horst Krause spielten in Detlev Bucks Roadmovie „Wir können auch anders ...“ zwei Brüder.

© imago images / United Archives

Buch-Vorabdruck einer Reise von West nach Ost: Krauses persönliche Wende nach dem Mauerfall

30 Jahre nach dem Mauerfall sind Lucas Vogelsang und Joachim Król von West nach Ost gereist. Dabei trafen sie auch Schauspieler Horst Krause. Ein Vorabdruck.

Wir treffen Horst Krause am S­Bahnhof Bellevue, ganz in der Nähe des Schlosses. West­Berlin am Wasser. Dort hat er früher gewohnt, Maisonette. Mit herrlichem Blick über die Stadt. Krause kennt die Nachbarschaft gut, geht noch immer ein und aus. Ein bunter Hund, die Leute wissen von ihm. Er hat den Marjan Grill vorgeschlagen, im Bogen unter den Gleisen, seit 1981 kroatische und internationale Küche. Gediegen hinter einer schweren Tür, innen Bescheidenheit und dunkles Holz, in den Fenstern Topfpflanzen, die das Licht durstig schlucken.

Die Lampen spenden ausreichend Schatten, die Tische stehen in schmalen Buchten, auf den Bänken sitzen stille Familien oder einsame Männer, die, ja wirklich, Brause vom Fass bestellen. Dieses West­Berliner Ding, süß und erfrischend. Kennt hier jedes Kind. Vorne gleich wartet ein feiner Herr, der Pferdeschwanz streng gebunden, das Einstecktuch sauber gefaltet, und schaut in die Karte wie einer, der sich nicht gern in die Karten schauen lässt. Es ist auch ein guter Ort für Geheimnisse. In den Ecken hängen noch die alten Gespräche.

Es hat sich nichts geändert

Hier, sagt Joachim, sah es vor 30 Jahren nicht anders aus. Hier am Eingang ist einst auch die Zeit stehengeblieben, auf damals noch frischer Tat ertappt. Gleich kommt ganz sicher Günter Pfitzmann durch die Tür oder zumindest Eberhard Diepgen, so ein Laden ist das. Kulinarische Kulissen. Großartig, Joachim ist schwer begeistert. Und er tritt ein, doch früher da als Krause, sucht einen Tisch ganz hinten, von dort alles im Blick. Gedämpfte Gespräche. Metall, das über Porzellan schabt. Das Zusammenkratzen letzter Bissen. Ein wirtlicher Ort.

Joachim aber ist unruhig, in Erwartung. Ich bin so aufgeregt, sagt er, als würde ich eine alte Freundin treffen. Eine längst vergangene Liebe. Eine andere Zeit. Die beiden Männer haben sich bestimmt 20 Jahre nicht gesehen. Er bestellt ebenfalls Fassbrause. Kinderbier, sagt der Kellner. Und bringt die Karte. Es gibt Räuberfleisch und Schlachtplatte.

Auftritt Krause. Bleibt vorne stehen, schaut, bis er Joachim entdeckt. Kommt dann rüber, und Joachim geht ihm entgegen, für die große Umarmung. Bruder, sagt er. Mensch, sagt Krause, bist du gewachsen. Ich hätte dich kaum erkannt. Er trägt ein kariertes Hemd, rote Hosenträger darüber. Seine Kluft. Wie damals im Film. Ah, sagt Joachim, du bist im Kostüm gekommen. Schöne Socken, sagt Krause. So geht es erst hin und dann wieder her.

Das Alter des anderen auch Spiegel des eigenen

Und sie stehen dort und lachen erst mal, schütteln die Köpfe, zwei verlorene Söhne. Heimkehrer, am Anfang ihrer eigenen Geschichte. Wie die Zeit vergeht, sagt Joachim. 26 Jahre, sagt Krause. Das Alter des anderen auch Spiegel des eigenen. Und Joachim legt erst sich und dann ihm die Hand auf den Bauch. Da, sagt er, sind ein paar Jahresringe dazugekommen. Sie lachen wieder, scheiß drauf. Figur und Figuren. Die Nahaufnahme eines Wiedersehens. Der erste Take, der sitzen muss. Die große Klappe, die fällt.

Król und Krause, Kipp und Most, sie sind hier, das hat keine drei Minuten gedauert, sofort mittendrin, haben gleich die ersten Szenen im Kopf, ihre Bilder auf Celluloid. Joachim im Anzug an der Straße. Einen Käfer auf dem Schuh, einen Kranz in der Hand. Krause am Steuer, zur Begrüßung ein Handschlag ohne Blickkontakt. So geht es los. Król und Krause, sie kannten sich nicht. Sie sind sich zum ersten Mal überhaupt beim Casting begegnet, an einem der Drehorte. Irgendwo in Brandenburg. Von Detlev Buck in die Gegend gestellt wie Pappkameraden. Der, sagt Joachim, hat uns zusammengebracht, um mal zu schauen, wie wir so aussehen. Nebeneinander.

Das ungleiche Duo, das passte

Der korpulente Krause, der schmale Król. Das ungleiche Duo, das passte natürlich sofort. Zwei Brüder. Nicht ganz dicht, aber so blöde nun auch wieder nicht. So standen sie später auch auf dem Plakat zum Film, in den Händen einen Kranz und eine Kalaschnikow, im Rücken den himmelblauen Hanomag, und zwischen ihnen eine verrucht laszive Sophie Rois, die Beine offensiv übereinandergeschlagen. Es war der Anfang von etwas Großem.

Denn wenige Wochen später, am 3. Juni 1993, wurden der Film, wurden Krause und Król im Theater des Westens mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Bester Film, beste Hauptdarsteller. Damit einzusteigen, sagt Joachim jetzt, das war nicht das Schlechteste. „Wir können auch anders“, das kann man heute sagen, hat der Laufbahn der beiden Männer eine Richtung gegeben, ihnen jene Türen geöffnet, die zuvor verschlossen gewesen waren.

Joachim hatte die späten 80er Jahre mit großen Hoffnungen an einem Theater am Niederrhein verbracht, dort wollte er sich empfehlen, dort aber kam er nicht weiter. Der nächste Schritt als nie eingelöstes Versprechen. Nach seinem Abschied verlor er die Orientierung, füllten die Zweifel die Tage. Er war 35 Jahre alt und wusste nicht weiter. Das Land bewegt, der Mann noch nicht. Dann bekam er einen Anruf. Das Angebot von Buck. Das, sagt er, war meine Rettung. Danach durfte er mit Tom Tykwer und Sönke Wortmann drehen, echte Blockbuster, große Klassiker. Der Film hatte ihn bekannt gemacht.

Auch Krause schlug sich davor durch

Und Krause nickt. Ihm ging es da ähnlich. Der Film, sagt er, war der Wendepunkt für mich. Horst Krause, auch er spielte Theater, auch er schlug sich so durch. Erst in Parchim, dann in Karl­Marx­Stadt und schließlich in Dresden. Im Fernsehen aber war er nur selten zu sehen, ein Gesicht aus der zweiten Reihe, es versendete sich. 1987 durfte er im Polizeiruf 110 einen Gastwirt spielen, wieder nur eine Nebenrolle. Es war sein erster Auftritt in der Sendereihe, die er später im Westen über Jahre hinaus prägen sollte.

Damals aber tauchte sein Name nicht einmal im Abspann auf. Er war 50 Jahre alt, als die Mauer fiel, er drohte in Vergessenheit zu geraten. Dann traf er auf Buck. Und auf Król. Ein Glücksfall, sagt er. Horst Krause hatte noch einmal tief in den Osten hineinfahren müssen, um im Westen ankommen zu können. Denn erst der Film, die Figur des Most wie auf den Leib geschneidert, hat aus ihm einen gesamtdeutschen Schauspieler gemacht. Danach kamen die Angebote. Krause war nun einer fürs Fernsehen, bekam eine Hauptrolle im Polizeiruf, sein Name als Siegel, eine Wiederentdeckung. Fröbe ist tot, stand in der Zeitung, es lebe Horst Krause. Die Wende, sie hatte ihm tatsächlich eine zweite Chance ermöglicht.

Eine persönliche Wende

Nach dem Mauerfall, sagt er also, hat sich mein Leben sehr geändert, aber nicht weil ich reisen konnte, ich bin Bauernsohn, die sind bodenständig, die reisen nicht viel. Aber es wurde ein völlig anderer Lebensstil. Durch meinen Beruf hat da noch mal ein ganz anderes Leben begonnen. Seine persönliche Wende, sie begann am Ende des Films. Der große Erfolg, der Filmpreis, das alles hatte ihm auch eine neue Freiheit ermöglicht, und Horst Krause nutzte sie, kündigte am Theater und wurde Fernsehstar. Krause, sagt Joachim, du hättest danach alles spielen können. Nur Nurejew nicht.

[Lucas Vogelsang, Joachim Król: Was wollen die denn hier? Deutsche Grenzerfahrungen, Rowohlt, 272 S. ]

Wieder lacht er, alter Freund. Horst Krause aber wurde Horst Krause, der gutmütige Dorfpolizist mit dem Zweisitzer, dem weißen Helm, eine Figur als Ikone, in allen Wohnzimmern gern gesehen. Es ist eine Rolle, die seinen Namen trägt. Aber vielleicht ist es längst umgekehrt. Da, wie auch sonst in diesem Gespräch, verschwimmen die Grenzen. Horst Krause kann Horst Krause nicht mehr entkommen, mit ihm wohnt er noch immer in Brandenburg, mit ihm ist er im Fernsehen zu Hause. Diese Biografie, man nimmt sie ihm ab.

Krause hat den Osten in diese Rolle hinübergerettet, und wenn er dann im Feld steht, wieder im karierten Hemd, wieder die Hosenträger darüber, hat er auch den Most nicht vergessen. Krause bezeichnet sich selbst als Menschendarsteller. Und im Grunde spielt er seit 25 Jahren eine Variation des Menschen, den er am besten kennt. Horst Krause. Deshalb wird auch die DDR immer ein Teil dieses Spiels sein. Das kann, das will er auch gar nicht verhehlen. Krause spielt Land und Leute. Und wenn er wegfährt, nimmt er sie mit.

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