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Aus Randbezirk wird Radbezirk.

© Doris Spiekermann-Klaas

Buch von Günter Steinmeyer: Radfahren in Berlin – Poesie vom Sattel aus

Das Rad ist perfekt zum Flanieren, sagt Günter Steinmeyer. Seine Poetischen Polemiken gibt es jetzt als Buch.

Poesie und Fahrradfahren: Günter Steinmeyer macht beides – natürlich nicht gleichzeitig. Aber er verbindet seine zwei Leidenschaften, dazu noch etwas Architekturkritik und Berliner Geschichte, und fertig sind seine „Poetischen Polemiken“, erschienen in dem kleinen Berliner Verlag Edition Paradogs. Steinmeyers „Bike“ scharrt mit den Pedalen und drängt danach, ausgefahren zu werden, raus, raus, raus in das Berliner Betondickicht, um dort die wenigen noch freien Orte der Stadt zu suchen.

Denn es gibt ihn ja, den freien Platz, meint Steinmeyer. Er fährt vorbei an leer stehenden Gebäuden, Brachen und Parkplatzlandschaften. „Wenn ich durch die Stadt fahre, wenn man Berlin so körperlich erfährt wie beim Fahrradfahren, dann sieht man, dass durchaus Freiflächen da sind.“ Das verlassene Freibad in Lichtenberg zum Beispiel. Hier könnte bald ein Kombibad entstehen, wie derzeit geprüft wird. Aber dafür reicht die Fläche wohl nicht aus.

Am liebsten in die „Randbezirke“

In den „sogenannten Randbezirken“ fährt er am liebsten. Und wenn man bei dem Wort „Randbezirk“ das N streiche, dann sei es ja auch ganz schnell ein, genau, Radbezirk. Steinmeyer ist keiner von denen, die Berlin für eine Scheibe halten und meinen, man könne hinter dem S-Bahn-Ring herunterfallen.

„Warum nicht die Stadt erweitern um ein Stück? Warum alles nach Kreuzberg quetschen? Warum kein neuer Stadtteil, ökologisch errichtet?“ Das sind die Fragen, die Steinmeier, selbst Kreuzberger, stellt. Berlin ist ja eine Stadt, die nie aufhört, auszufransen – schrieb Karl Scheffler im 1910 erschienenen Klassiker „Berlin. Ein Stadtschicksal“.

„Berlin ist da am schönsten, wo es dich einfach in Ruhe lässt“, ruft Steinmeyer durch den Fahrtwind. Er ist ein Fahrrad-Flaneur. Lichtenberg mag er gerne, sagt er. Wenn er hier fahre, sehe er immer, was alles geblieben ist. „In Kreuzberg hingegen stelle ich beim Fahren fest, was alles nicht mehr da ist. Bars, Clubs, Häuserblocks. Weg. Und durch eintönige Betonbauten ersetzt.“

Als Fahrradfahrer mit beiden Beinen im Sarg

Günter Steinmeyer betreut auch die Z-Bar in der Bergstraße in Mitte, die im Juni 25 Jahre alt geworden ist. Es gibt also doch Bars in Berlin, die bleiben. 250 Veranstaltungen im Jahr machen sie dort. Kino, Lesungen, Kleinkunst, Improvisationstheater.

Berlin sei keine fahrradfreundliche Stadt, nein. Sogar gefährlich. Als Radfahrender stünde man immer mit einem Bein im Sarg. „Einmal Autotür auf und zack, das war’s.“ Keine guten Bedingungen für einen Fahrrad-Flaneur. Dabei könnte alles so schön sein, das Fahrrad habe zum Flanieren in der Stadt die perfekte Geschwindigkeit: Autos sind zu schnell, zu Fuß ist man zu langsam. „Der Radfahrer durchstößt die Stadt in gutem Tempo, nur er kann sie in seiner Gänze erfassen.“

In seinem Buch „Wo Hakenkäuzchen plärren“ geht es rund um und quer durch Berlin. Aber es sind keine Stadtrundfahrten, so was will Steinmeyer nicht. „Fahrrad-Flaneuren fällt es schwer, den Verlauf nachzuzeichnen“, sagt er. Eine Episode heißt: „Spandauer Tage, oder: Eine lange Fahrt gegen den Uhrzeigersinn“. Doch: „Der Kompass spielt schier verrückt, in dieser Stadt, wo in jeder Himmelsrichtung Osten liegt.“ Illustrationen gibt es auch, gemalt von einem Pferd mit dem Namen Norman Cassini, welches zusammen mit dem Illustrator Petrus Akkordeon im Berliner Umland lebt.#

„Wir lassen die Schlampe Kreuzberg zurück und tauchen ein in Tempelhof“

„Wir lassen die Schlampe Kreuzberg zurück und tauchen ein in Tempelhof“, heißt es auch in Steinmeyers Berlin-Miniaturen. Es ist ein schneller, ein vorbeifahrender Blick auf Berlin. Rückblick: „Berlin war mir eine Hüpfburg dieser Tage. Aufgeblasen war die Stadt und wir sprangen wie die Kinder auf ihr herum.“ Dann ist er in Wedding: „Glücklich glucksend gauckt sich die güllige Panke also vorbei an den vollen Villen …“

„Berlin ist eine Stadt, die nie ist, sondern immer nur wird“, schrieb Stadtversteher Karl Scheffler seinerzeit und wird so auch von Günter Steinmeyer zitiert. „Und man muss Berlin ertragen und mögen können. Eine liebende Mutter. Sie nährt uns mit Geschichten, lässt uns abends länger spielen und ruft uns regelmäßig zur Besinnung.“ Indigene Berlinerinnen und Berliner kennen übrigens 26 Wörter für Schnee, heißt es in Steinmeyers Bändchen. „Aber nur eine wohlwollende Zustimmung: dakannstenichtmeckern.“

Günter Steinmeyer: Wo Hakenkäuzchen plärren. Poetische Polemiken. 80 Seiten mit Illustrationen. Edition Paradogs, 11,90 Euro.

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