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Ein Bus der BVG.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa

Briefwechsel zwischen Rollstuhlfahrer und BVG: „Ich vermisse oft mehr Bereitschaft, anderen beizustehen“

Weil der Bus überfüllt war, schickte der Fahrer eine Mutter mit Kinderwagen weg. Hier der Briefwechsel zwischen der BVG und einem Rollstuhlfahrer, der mit ihr tauschen wollte – aber nicht durfte.

Ein Bus, drei Kinderwagen und ein Rolli: Keine Nachricht der letzten Tage hat so viele Leserreaktionen ausgelöst wie die Schilderung des Rollstuhlfahrers Bernd-Leopold Käther über eine Fahrt mit dem Bus 222 am Freitag, 27. Juli, um die Mittagszeit. Seine Beschreibung, wie ein Busfahrer eine junge Frau mit einem Kinderwagen, in dem zwei Kleinstkinder lagen, wieder des Busses verwies, weil die Sicherheitslage wegen Überfüllung nicht mehr gegeben sei, hat die Tagesspiegel-Leserinnen und -Leser unglaublich wütend gemacht.

Deshalb dokumentieren wir hier den Briefwechsel zwischen dem Rollstuhlfahrer und der BVG – zuerst den Brief von Herrn Käther, der von sich selbst sagt, als Ingenieur für Verkehrswesen wisse er sehr wohl, wie man mit solchen Situationen auch anders umgehen könne.

Das schrieb mir Herr Kaether:

Freitag, 27.7.2018, Mittagszeit.

An der Haltestelle des Bus 222 am U-Bahnhof Alt-Tegel sammeln sich die Fahrgäste, da offenbar ein Bus ausfiel. Gegen 12:25 kommt dann endlich einer, allerdings auch ca. 10 Minuten verspätet. Alle schwitzten in der Mittagshitze, kein Schatten.

Mit unter den Wartenden zwei junge Mütter mit einem normalen und einem Doppelsitz-Kinderwagen sowie ich, ein Rollifahrer. Alle waren sichtlich geschafft, doch keiner maulte. Der Busfahrer ließ erst einen Rollstuhlfahrer über die ausgeklappte Rampe raus, die beiden Mütter ließen mir den Vortritt, ich stellte mich gleich auf den Platz auf der rechten Seite, damit die Kinderwagen links zusammen Platz hatten. Soweit, so gut. Der Bus fuhr schnell weiter, alle waren darüber froh.

Zwei Haltestellen weiter, Heiligenseestr. / Ruppiner Chaussee, stand eine weitere junge Mutter ebenfalls mit einem breiten Zweisitzer-Kinderwagen. Sie und die beiden Kleinen waren sichtlich von der Warterei in der Mittagsglut mitgenommen. Sie bestieg den Bus und bemühte sich, ihren Kinderwagen noch irgendwie so zu stellen, dass die Tür zugehen konnte. Kein anderer Fahrgast, auch nicht die anderen beiden Mütter oder gar der Busfahrer kamen ihr dabei zu Hilfe. Nach einigem Hin und Her hatte sie es dann geschafft, der Kinderwagen war frei von der Tür, die dann auch zuging.

[Und was ist mit barrierefreien BVG-Bushaltestellen? Berlins erste Bushaltestelle, wo Rollstuhlfahrer ohne fremde Hilfe in den Bus kommen, wurde in Spandau eröffnet - hier die Details zum Umbau und zur berlinweiten Lage. Alle Tagesspiegel-Newsletter, Bezirk für Bezirk, kostenlos und in voller Länge unter leute.tagesspiegel.de]

Aber jetzt kommt es: Der Busfahrer forderte sie über die Lautsprecher auf, den Gang frei zu machen, so dürfe er nicht weiterfahren. Man kam aber an den Kinderwagen vorbei, es war nur etwas enger und zugegebenermaßen stand der Kinderwagen im Gang. Die betroffene Mutter antwortete, dass sie mit ihren ½ und 1 ½ Jahre alten Kindern in der prallen Sonne rund 30 Minuten auf einen Bus gewartet hätte, nun alle drei nur noch irgendwie nach Konradshöhe wollten.

Da schaltete der Fahrer den Motor des Busses aus und machte die Durchsage, dass er erst weiterfährt, wenn die „sture Mutti“ ausgestiegen ist. Dieselbe konnte ihre Tränen nicht mehr unterdrücken. Ich rief nach vorne, dass ich mit meinem Rollstuhl den Bus verlassen wolle, damit die drei Kinderwagen mit ausreichend Platz und freiem Gang transportiert werden könne. Die Antwort vom Fahrer war, dass er mich nicht rauslassen würde, ich hätte das gleiche Recht auf Mitnahme, und wer nicht mehr reinpasse, muss eben draußen bleiben.

Meine erneute Bitte und Mitgefühlsäußerung beschied er abschlägig, öffnete die Tür und forderte erneut die junge Mutter auf, den Bus mit dem Kinderwagen zu verlassen, sonst dürfe er nicht weiterfahren. Die Mutter war völlig perplex, verließ weinend mit ihren im Kinderwagen schwitzenden Sprösslingen den Bus, der dann auch weiterfuhr. Sie konnte ein paar entrüstete Worte nicht mehr zurückhalten, was aber den Busfahrer überhaupt nicht berührte.

Und dann quatscht der Busfahrer mich beim Verlassen des Busses auch noch an, warum ich denn vorhin aussteigen wollte. Ich wiederholte mein Mitgefühl, wofür er aber kein Verständnis zeigte.

Ich weiß nicht, wie oft so etwas vorkommt. Ich weiß auch nicht, ob dieser Busfahrer eigene Kinder oder Enkel hat. Ich weiß allerdings, dass zwischen der genannten Einstiegshaltestelle und Konradshöhe nur vier Haltstellen mitten im Tegeler Forst liegen, an denen sehr selten jemand ein- oder aussteigt. Mit ein wenig Verständnis hätte hier problemlos eine Möglichkeit für die Mitnahme aller bestanden. Dass ich nicht den Bus auf eigenen Wunsch verlassen durfte (wofür ich die Hilfe der Rampe benötigte), ist ebenso ein Ding der Unmöglichkeit.

Ich hoffe, dass diese Schilderung bei einigen etwas bewegt, zumindest nachdenklich macht. Die gegenwärtigen Temperaturen machen nicht nur Kleinkindern zu schaffen. Liebe Mitmenschen, denkt einmal an euren Nächsten und weniger an euch oder die buchstabengetreue Auslegung von Vorschriften.

Mit freundlichen Grüßen Bernd-L. Käther

Ich habe diese Mail von Herrn Käther an Petra Reetz, die Sprecherin der BVG, weiter geleitet, die ihm, mit Kopie an mich, so geantwortet hat:

Sehr geehrter Herr Käther,

Herr Appenzeller vom Tagesspiegel hat mir Ihre Mail gleich am Sonnabend weitergeleitet. Ich habe großes Verständnis für Ihre Aufregung und es ist sehr schade, dass mein Kollege die Situation nicht besser erklärt hat. Aber bedenken Sie bitte, egal wie warm oder kalt es draußen ist – also wirklich bei jedem Wind und Wetter – tragen unsere Fahrerinnen und Fahrer die Verantwortung für alle Fahrgäste. Tatsächlich muss er gerade bei Kinderwagen, Rollstühlen und Rollatoren darauf achten, dass bei einer Vollbremsung mögliche Verletzungen weitgehend ausgeschlossen sind.

Vor einiger Zeit hatte ich die Gelegenheit, auf einem unserer Betriebshöfe bei einem solchen Bremstest dabei zu sein. Der Bus fuhr fast im Schritttempo, als der Fahrer voll auf die Bremse trat. Sie glauben ja gar nicht, was schon bei dieser geringen Geschwindigkeit für eine gewaltige Schubkraft entsteht. Ich hatte große Mühe, mich auf den Beinen zu halten.

Unsere Fahrerinnen und Fahrer müssen aber stets in der Lage sein schnell zu reagieren und, um Schlimmeres zu vermeiden, sehr plötzlich eine Vollbremsung durchführen können. Öfter als man denkt kommt es dann auch zu Unfällen in den Fahrzeugen. Und leider kippen manchmal Kinderwagen und auch Rollstühle um. Ja, mein Kollege hätte dies besser erklären müssen, aber hat tatsächlich richtig entschieden. Warum er Ihr großzügiges Tauschangebot nicht angenommen hat, werden wir ihn fragen – er hat jetzt, da er am Wochenende gearbeitet hat – freie Tage. Doch stellen Sie sich vor, er wäre ohne Sie weitergefahren. Sicher hätte auch dies zu großer Empörung bei anderen Fahrgästen geführt.

Bleibt, dass Sie ein unschönes Erlebnis mit der BVG hatten. Das bedaure ich sehr und bitte im Namen all meiner vielen Kolleginnen und Kollegen  um Entschuldigung.

Mit freundlichen Grüßen

Petra Reetz

Leiterin Vorstandsstab Medien

Pressesprecherin

Auch darauf gab es eine Reaktion, vom Betroffenen selbst. Bernd-Leopold Käther schrieb dies an Petra Reetz:

Sehr geehrte Frau Reetz!

Bei allem Verständnis für die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften - ich bin Ingenieur für Verkehrswesen - war ich dennoch über die Teilnahmslosigkeit der anderen Fahrgäste und das Verhalten Ihres vorschriftsmäßig handelnden Fahrers sehr erschüttert.

Ich bitte um besondere Beachtung der Passage in meiner Schilderung, dass ich den Fahrer darum bat mich aus dem Bus zu lassen - was dieser aber ablehnte, sinngemäß mit den Worten "das sehe er gar nicht ein". Leider bin ich darauf angewiesen, dass mir für das Verlassen des Busses durch einen Dritten die Rampe herausgeklappt wird. Ein E-Rolli lässt nun einmal keine "großen Sprünge" zu. Mir taten die Kinder und die Mutter sehr leid, sie waren sichtbar geschafft. Mir hätte es nichts ausgemacht, auf den nächsten Bus zu warten, dann hätten die drei Kinderwagen den Sicherheitsvorschriften entsprechend im Bus gestellt werden können und alles wäre gut gewesen.

Dass mir das vom Busfahrer verwehrt wurde, ist der eigentlich größere Skandal. Wenn ich aus einem an der Haltestelle stehenden Bus auf eigenen Wunsch aussteigen möchte, egal aus welchem Grund, und mir das vom Busfahrer verweigert wird - wie würden Sie das bezeichnen? Mir fehlen dafür die geeigneten Worte.

Die anderen Fahrgäste im Bus waren durchschnittlich deutlich älter als ich, schüttelten zwar die Köpfe, aber mischten sich nicht ein. Auch die beiden anderen jungen Mütter guckten nur zu. Dies alles machte mich total fassungslos und wütend, vor allem aber führte es mir meine eigene Hilflosigkeit allzu deutlich vor Augen.

Meine Empörung hat sich bis heute nicht gelegt, erstaunlicherweise erhalte ich aber inzwischen Zuspruch von Personen, die den Artikel im heutigen Tagesspiegel gelesen  und nach meinen Kontaktdaten "gegoogelt" haben. Offenbar und glücklicherweise gibt es auch noch Menschen, die ähnlich denken.

Wie gesagt, ich habe volles Verständnis für die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften, dass steht außer Frage. Wer allerdings mit den öffentlichen Verkehrsmitteln im Berufsverkehr unterwegs ist, weiß nur zu gut, dass hier auch alle Sicherheit außer Acht gelassen wird und ein ziemliches Gedränge in den Gängen von Bussen und Bahnen herrscht. Bei plötzlichen Bremsmanövern kommt es dann auch zu gefährlichen Situationen. Doch haben Berufstätige offenbar "stärkere Ellenbogen" als junge Mütter.

Ein bisschen mehr Bereitschaft, anderen, die auf Hilfe angewiesen sind oder Unterstützung benötigen, beiseite zu stehen, vermisse ich oft und nicht nur beim genannten Vorfall vom letzten Freitag.

Mit freundlichen Grüßen

Bernd-L. Käther

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