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Archivbild von 2017: Demonstranten bei der Revolutionären 1. Mai-Demonstration in Berlin-Kreuzberg.

© imago/Christian Mang

Brennende Autos, Steine, Sprühereien: Warum die linksextreme Gewalt in Berlin zunimmt

Zuletzt verging in der Hauptstadt kaum ein Tag ohne linksextremistische Attacken. Was steckt dahinter?

Fast 1000 Linksradikale sind am Freitag durch Friedrichshain gezogen, Polizisten wurden mit Steinen beworfen, Pyrotechnik gezündet. Am Sonnabend sammelten sich mehr als 70 Linksradikale im Bergmannkiez, die teils Vermummten beschmierten Häuser mit Farbe, randalierten auf der Straße. Es gab mehrere Festnahmen.

Kürzlich wurde die SPD-Parteizentrale großflächig mit Farbe beschmiert, verschiedene Parteibüros angegriffen oder Autos des Konzerns ThyssenKrupp und des „B.Z.“-Kolumnisten Gunnar Schupelius angezündet – zu all diesen Taten gibt es mutmaßliche Bekennerschreiben aus der linksautonomen Szene.

Kaum ein Tag vergeht zurzeit, ohne dass gewaltbereite Linksradikale in Berlin mit Attacken auf sich aufmerksam machen. Die tödlichen Schüsse eines Polizisten auf die Antifa-Sympathisantin Maria R. in Friedrichshain, zu denen die Staatsanwaltschaft ermittelt, haben Proteste ausgelöst. Außerdem bieten der europäische Polizeikongress, der diese Woche in Berlin stattfindet, und eine große Immobilienmesse kommende Woche willkommene Anlässe für Aktionen.

In Sicherheitskreisen heißt es, man beobachte die Lage sehr genau. Sorge vor Verhältnissen wie im Leipziger Stadtteil Connewitz habe man aber momentan nicht. Dort kam es in den vergangenen Monaten zu schweren Straftaten – gegen Mitarbeiter von Wohnungsunternehmen und die Polizei, auch Journalisten und Anwohner wurden eingeschüchtert.

Die Lage in Berlin ist damit kaum vergleichbar. Im kleinen Connewitz sammeln sich mittlerweile Linksmilitante aus ganz Deutschland, die Lage in der Hauptstadt ist komplexer. Der Linke-Innenexperte Niklas Schrader spricht von „einer Phase der gesteigerten Militanz, die wir gerade erleben“. Das habe es auch in der Vergangenheit häufiger gegeben.

Er rechne damit, dass das auch wieder abklinge. „Wir müssen Drohungen aber ernst nehmen“, sagt er. Vergangene Woche wurde etwa auf Plakaten „Rache für Maria“ angekündigt, sie sei „von Bullen ermordet“ worden.

Die Szene hat Angst vor Verdrängung und Gentrifizierung

Die aktuelle Welle der Attacken hat wohl vielerlei Gründe: Da ist die Angst der Szene vor räumlicher Verdrängung. Offen sprechen Linke davon, dass ihnen die Rückzugsorte schwinden.

Das betrifft nicht nur Hausprojekte wie „Liebig 34“, das geräumt werden soll, sondern auch Treffpunkte wie einschlägige Bars oder Jugendclubs. Auch deshalb wird die „L34“ momentan zum Symbol des Kampfes gegen Verdrängung – Sprühereien mit diesem Kürzel finden sich an hunderten Berliner Häuserwänden.

Erst kürzlich solidarisierten sich viele prominente Künstler und Kulturinstitutionen mit den linksalternativen Projekten in der Stadt, darunter Elfriede Jelinek oder Leander Haußmann.

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Die Szene fährt zweigleisig: Einerseits werden Pressekonferenzen veranstaltet, Öffentlichkeitsarbeit gemacht, um mögliche Sympathisanten zu gewinnen. Andererseits schüchtert der militante Teil der Szene seine vermeintlichen Gegner ein – Berührungsängste zwischen beiden Parteien gibt es kaum, dafür viele Überschneidungen.

Man will zeigen: Wir sind da, ihr kriegt uns nicht weg

Auch internationale Ereignisse dienen Teilen der Szene als Anlass für Aktionen – zur Zeit etwa „aus Solidarität“ für die Menschen im kurdischen Rojava. Aus diesem Grund verüben Unbekannte seit Wochen Farbanschläge oder zünden Autos an.

Zuletzt waren etwa Firmenwagen des Stahlkonzerns ThyssenKrupp betroffen. Ihren Angriff rechtfertigten die mutmaßlichen Täter damit, dass das Unternehmen dem türkischen Militär Rüstungsgüter verkaufe. Auch sie erklären sich solidarisch mit dem Hausprojekt „L34“ – man könnte es als eine Art neues Szenemaskottchen bezeichnen.

Der Bezug linksmilitanter Aktionen auf den Kampf gegen Gentrifizierung ist nicht neu. Das Thema ist aber stärker in die Mitte des öffentlichen Diskurses gerückt. Darauf zählt auch die Szene. „Während viele linke Projekte um ihren Erhalt kämpfen, entstehen an jeder Ecke Einkaufszentren und Großraumbüros“, schreibt etwa das linksalternative Netzwerk „Interkiezionale“ in einem Aufruf in einer Chatgruppe und ruft seit Montag zu „Beschmier- und Sabotagewochen“ auf.

Auch das ist linke Szene: Demonstrantinnen werfen bei einer Sitzung des Abgeordnetenhauses mit Konfetti und rufen "Liebig bleibt".
Auch das ist linke Szene: Demonstrantinnen werfen bei einer Sitzung des Abgeordnetenhauses mit Konfetti und rufen "Liebig bleibt".

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Linksradikale haben eine Karte veröffentlicht mit Orten, die als Ziele gelten können: Fünf-Sterne-Hotels, Niederlassungen von Immobilienunternehmen, aber auch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. Das wurde erst in der vergangenen Woche zum Ziel einer Attacke. Mehr als zehn Fenster wurden eingeworfen, der Eingang mit Farbe besprüht. Aus Angst vor weiteren Störaktionen tagte die Bezirksverordnetenversammlung wenige Tage später unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Es gibt sie nicht: die Antifa

Was die meisten Aktionen eint: Die wenigsten sind auf maximalen Schaden ausgerichtet. Sie sollen Öffentlichkeit für ein Thema herstellen – und einschüchtern. Auf der linken Internetseite „Indymedia“ werden deshalb Bekennerschreiben zu diesen Taten veröffentlicht. Teils kontaktieren Sympathisanten der Szene Journalisten, um ihnen mitzuteilen, wo es wieder Angriffe gab, in der Hoffnung, dass berichtet wird. Man will zeigen: Wir sind da, ihr kriegt uns nicht weg.

Trotzdem wäre es falsch anzunehmen, die linksmilitante Szene in Berlin sei stramm organisiert. Es gibt nicht die Antifa und es gibt nicht die linksmilitante Szene. Viel mehr handelt es sich um viele lose vernetzte Gruppen oder Kollektive, die sich für – oder zumeist gegen – etwas engagieren; oder dies als Vorwand für ihre Attacken nehmen.

Insgesamt geht der Verfassungsschutz in Berlin von mehr als 3000 Linksextremisten aus – ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren leicht gestiegen. Der gewaltbereite Kern sei aber zersplittert, heißt es aus Sicherheitskreisen, und in den vergangenen Jahren in Berlin eher kleiner geworden. Die Bewohner des autonomen Hausprojekts in der Rigaer Straße 94 gelten als weitgehend isoliert.

Die Berliner Polizei sieht sich gut gewappnet

Das zeigt auch der 1. Mai, traditioneller Höhepunkt linksextremistischer Krawallkultur: In den vergangenen Jahren gelang es der Polizei die gewaltbereiten Teile der Szene so gut abzuschotten, dass der Tag szeneintern als „Enttäuschung“ gewertet wurde.

Die Einsatzkräfte sind jahrelang geübt darin, den sogenannten „schwarzen Block“, also den gewaltbereiten Teil der Szene, auf Demonstrationen zu separieren, und sie deeskalieren kritische Situationen meist schnell.

Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei sieht die Berliner Polizei daher gut gerüstet. „Wir erleben in Berlin keine neue Qualität der Gewalt“, sagt er. Es sei seit Jahren das Gleiche. Viel mehr steige der psychische Druck auf Beamte und die Szene versuche, wieder mehr Menschen auf die Straße zu bekommen. Unverständlich findet Jendro deshalb den Verkündungstermin zum kürzlich vertagten Prozess um die „L34“. Der wurde auf den 30. April terminiert – der Tag vor dem 1. Mai.

Korrektur: In einer früheren Version des Artikels wurden die tödlichen Schüsse auf Maria R. als „willkommener Anlass für Aktionen“ bezeichnet. Wir haben das korrigiert und bitten, diese Formulierung zu entschuldigen.

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