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Gar nicht so leicht: Unser Autor durfte unter Anleitung mal versuchen, per Kran Kohle fürs Kraftwerk zu verladen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Braunkohleausstieg in Berlin: Unterwegs mit einem Kohlekran bei Vattenfall

Berlins Braunkohleausstieg ändert viel für Vattenfall. Der Tagesspiegel durfte helfen, eine der letzten Lieferungen am Kraftwerk Klingenberg zu verladen.

Der Weg zu Bernd Rinderhagens Arbeitsplatz ähnelt dem Aufstieg in einem Kirchturm: Hinter einer festgehakten Tür geht es über eine dunkle Wendeltreppe aufwärts und dann noch mal über eine richtig steile Stiege, bis man wirklich oben ist. Im Führerstand des Kohlekrans angekommen, hat man schwarze Hände von den staubigen Geländern und einen Blick ins Grüne, sofern man geradeaus über die Spree auf den Plänterwald mit dem komatösen Riesenrad schaut. Ansonsten sieht man vor allem das Gelände des Kraftwerks Klingenberg: links das gewaltige Kohlelager, zwischen dessen Betonwänden ein gelber Radlader kreuzt wie eine gefangenes Insekt, rechts das zehnstöckige Zwanziger-Jahre-Verwaltungsgebäude und das ebenso hohe Kesselhaus mit den beiden riesigen Schornsteinen dahinter. Und unten – auch der Boden der Kranführerkabine ist teilweise aus Glas – hängen die letzten Schubleichter mit der Kohle im Kraftwerkshafen, die entladen werden wollen.

Am 24. Mai feiern Vattenfall und die Politik hier Berlins Ausstieg aus der Braunkohle, der mindestens eine Million Tonnen Kohlendioxid pro Jahr vermeidet. Der Regierende Bürgermeister hat sich angekündigt, eine Gedenktafel soll enthüllt werden. Und schon am Sonntag davor veranstalten die Grünen eine prominent besetzte Bootsdemo auf der Spree vor dem Kraftwerk. Was Platzmeister Bernd Rinderhagen und seinen Schichtkoordinator Siegfried Ganz allerdings deutlich mehr beschäftigt als das Weltklima, sind die veränderten Abläufe: Das künftig ausschließlich genutzte Erdgas verbrennt praktisch von allein. Die Kohle dagegen muss aus dem Tagebau Welzow-Süd mit der Bahn nach Königs Wusterhausen und per Schiff weiter über die Dahme durch Köpenick und auf der Spree vor der Rummelsburger Bucht rechts in den Stichkanal, wo zwei dieser 45 Meter hohen Riesenkräne stehen. Zu jedem gehört ein Trichter mit Förderband, das die teils melonengroßen Kohlebrocken zum Zerkleinern bringt, bevor sie verbrannt werden.

Linken Joystick nach rechts für die Drehung, gleichzeitig rechten Joystick nach rechts

Sind wir eigentlich auf einem Kran oder doch eher auf einem Bagger mit dieser Monsterschaufel, die mit einem Bissen zehn Tonnen Kohle schluckt? Kran, sagt Rinderhagen. Bagger funktionieren hydraulisch, aber hier hängt die Schaufel an Seilen. Ob man auch mal probieren wolle? Und ob! Aber erst mal zeigt der Platzmeister, wie es geht. Setzt sich auf den Sessel mit den Joysticks und den Tasten in den Armlehnen, die Füße auf den Glasboden, die Schaufel vor der Frontscheibe. Rechts über dem prähistorischen JVC-Kassettenrecorder meldet das Display, dass die Bremsen gelöst sind. Der Trichter, in dessen Öffnung ein Auto passen würde, fährt heran, und – uiuiui! – der Kran wackelt und dreht sich nach rechts den Schubleichtern zu. Ein schwer zu ortendes, aber beeindruckend kraftvolles Rumoren erklingt, die Schaufel sinkt in die Kohleladung und greift zu, um gefüllt wieder aufzusteigen und sich nach dem Linksdreh über dem Trichter wieder zu öffnen. Und zwar ganz knapp darüber, damit es nicht so staubt. Sieht einfach aus. Zeit, die Plätze zu wechseln.

Für Platzmeister Bernd Rinderhagen (rechts) bringt der Braunkohleausstieg große Veränderungen mit sich.
Für Platzmeister Bernd Rinderhagen (rechts) bringt der Braunkohleausstieg große Veränderungen mit sich.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die Anleitung für Rinderhagens soeben gezeigte Choreografie lautet: Linken Joystick nach rechts für die Drehung und vor fürs Ausfahren des Kranarms, gleichzeitig rechten Joystick nach rechts, um die Schaufel zu öffnen und nach vorn, um sie herunterzulassen. Dann nach links zum Schließen, dabei die Taste am rechten Joystick drücken, damit die Seile straff bleiben. Rechten Joystick heranziehen zum Heben, linken nach links zum Drehen und heranziehen zum Kranarmanwinkeln. Die Bewegungen lassen sich kombinieren, was die Zahl der möglichen Bewegungsrichtungen von acht auf 16 erhöht, womit man als Anfänger ...

Warum zum Teufel schaukelt eigentlich die Schaufel (Displaymeldung: 13,6 Tonnen Gesamtgewicht) vor der Frontscheibe hin und her wie eine Abrissbirne?! Ist eben ein Kran und kein Bagger, und wenn man ihn schwungvoll dreht, schaukelt die Schaufel halt. Ein Profi wie Rinderhagen gleicht die Schwingungen intuitiv aus, indem er beispielsweise beim Vorschwingen den Arm weiter ausklappt. Da die Mechanik einen Moment zum Reagieren braucht, kann ein zögerlicher Kranführer die Schwingung versehentlich noch verstärken, was dann ... Ach, man will es gar nicht wissen. Irgendwann lässt das Pendeln auch nach, aber wenn man im Winter darauf warten würde, würden von Marzahn bis Altglienicke die Wohnungen kalt.

Ein Problem kommt selten allein

Rinderhagen also kann es, obwohl er selbst nur sporadisch hier oben sitzt, denn in der Regel stellt eine externe Firma die Kranführer. Natürlich automatisiert man die Handgriffe. Aber das dauert. Siegfried Ganz merkt an, dass das Förderband ja nur auf Stufe eins laufe. Dann rieseln 180 Tonnen pro Stunde durch den Trichter. Für Stufe zwei sei man nach gut einem halben Jahr fit genug, und für die dritte Stufe, wenn der Trichter 380 Tonnen pro Stunde schluckt, nach zwei Jahren. Solche Leute brauchten sie vor allem an eisigen Wintertagen.

Da ein Problem selten allein kommt, frieren dann auch gern mal die Kohlebrocken fest oder das Seil springt von der Führungsrolle oben am Arm. Oder der Trichter will nicht in die korrekte Position fahren oder die Schubeinheit hängt ungünstig oder weiter hinten macht die Ascheabfuhr Ärger. Es ist also nicht nur die Klimabilanz, die gegen die Braunkohle spricht. Die Jobs, die mit dem Umstieg wegfallen, werden über Altersteilzeit, Fluktuation und interne Umorganisation abgebaut. Rund 50 Menschen sind allein hier im Kraftwerk betroffen.

Jetzt, da die Temperaturen endlich gestiegen sind, können sie es gemütlich angehen lassen. Bernd Rinderhagen macht dann doch mal selbst weiter, damit der Prahm leer ist, bevor ihn das Schubschiff der Deutschen Binnenreederei in ein paar Stunden abholt. Der nebenan vertäute ist schon leer – und zwar bis in die Ecken. Um die sauber auszukratzen, muss die Schaufel parallel zur Bordwand absinken. Dazu muss man sie geschickt mit einer Ecke auf die Kohle sinken lassen, um alles zu erwischen. Theoretisch könnte man sie auch mit Schwung gegen die Bordwand baumeln lassen, aber praktisch würden dann die Anwohner zwischen Rummelsburg und Karlshorst von den Sofas fallen. Oder aus den Betten, denn Kohle wird auch nachts verladen. Das Gas dagegen kommt einfach aus der Leitung.Wie es da reinkommt, ist eine andere Geschichte. Sie kann den Männern im Kraftwerk Klingenberg egal sein.

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