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Mit Hilfe des BCID-Codes können die Finder ein Buch im Internet registrieren und seine Reiseroute nachvollziehen

© Mike Wolff

Bookcrossing: Teilen ist das neue Besitzen

Das Bücherregal hat ausgedient: Bookcrosser setzen ihre Lieblingslektüre in der Stadt aus – und verfolgen ihren Weg im Internet. So kommen sie auch mit anderen Buchliebhabern in Kontakt.

Billy kann sich ausruhen. Kaum hat das Regal der Regale seinen 30. Geburtstag gefeiert, da scheint es auch schon obsolet zu werden: Nicht nur dass E-Books nun mal kein Regal benötigen, nein, auch eine stetig wachsende Gemeinde von sogenannten „Bookcrossern“ entlässt ihre Bücher lieber in die Wildnis, als sie sich dekorativ ins Regal zu stellen. Anstatt Staub anzusetzen, sollen ihre Bücher noch anderen Freude bereiten. Teilen gilt schließlich als das neue Besitzen.

Bevor ein Bookcrosser sich auf den Weg macht, um ein Buch in der Öffentlichkeit auszusetzen, versieht er seine Bücher allerdings noch mit einem Code und registriert sie auf der Website www.bookcrossing.com. Die Buchenthusiasten hoffen, auf diese Weise die Wege ihrer Bücher nachvollziehen und mit den Findern in Kontakt treten zu können.

Wenn man ein Buch freilässt, dann gibt man sein Eigentum daran auf

Natürlich wird aber nicht jedes gefundene Buch später auch registriert. Viele Finder nehmen ein Buch mit, ohne einen Eintrag in dem Forum zu hinterlassen. Bei ungefähr zehn bis zwanzig Prozent liegt die Quote der Freilassungen, auf die man eine Rückmeldung erhält, schätzt die Berliner Bookcrosserin mit dem Usernamen Tacx. „Das gehört dazu. Wenn man ein Buch freilässt, dann gibt man sein Eigentum daran auf“, sagt sie.

Der Tagesspiegel hat es ausprobiert. Anfang Februar haben wir zwölf Bücher, die Redakteure gespendet hatten, registriert und ausgesetzt – im Café, im Burgerladen, bei der Bank, in der S-Bahn. Und dann gewartet, was passiert. Nach kurzer Zeit waren alle Bücher weg – aber nur bei zweien kam binnen zehn Tagen ein Rückläufer. Ein Finder trug seinen Fund auf der Internetseite ein und wurde auch gleich Mitglied. Das zweite Buch war noch gar nicht ausgesetzt, da meldete sich schon eine Frau aus Nordrhein-Westfalen, die es zugeschickt bekommen wollte – es ist nämlich auch möglich, eine Liste mit Wunschtiteln zu hinterlegen.

Sie könnte natürlich einfach in die Bibliothek gehen, aber darum geht es nicht. Es ist eher das gute Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein, vielleicht auch, den Kapitalismus zu überlisten. Ist das Buch erfolgreich ausgesetzt, heißt es warten. Bis irgendein Godot sich bemüßigt fühlt, einen Eintrag über einen Fund auf der Website zu hinterlassen, können schon mal einige Tage vergehen.

Aber manchmal schlägt ein Buch auch ein wie der Blitz. Wie bei Waldo Damerius. Der Weddinger fand eines Abends in der Dämmerung auf einer Parkbank einen Band von Dostojewski, und es war um ihn geschehen. Damerius registrierte seinen Fund auf der Website und ist seitdem aktives Mitglied der Berliner Bookcrossing-Szene. In Berlin gibt es schon mehr als 5000 Bookcrosser. In ganz Deutschland sind es mehr als 70 000 User, das sind 16 Prozent aller Nutzer weltweit. Noch mehr Mitglieder als in Deutschland gibt es nur noch in den USA, wo die Plattform 2001 gegründet wurde.

Manchmal schlägt ein Buch ein wie der Blitz

Damerius erzählt, dass die User inzwischen auch themenspezifische Herausforderungen organisieren. „Zum Beispiel gab es am vergangenen Freitag die Valentinstag-Challenge, da ging es darum, möglichst viele Liebesbücher freizulassen“, sagt er. Ein anderes Beispiel für diese Wettbewerbe ist die Herausforderung, in jedem der 96 Berliner Ortsteile ein Buch auszusetzen.

Damerius nimmt regelmäßig an den Treffen der Bookcrosser in Berlin teil, die einmal im Monat stattfinden. „Zu diesen Meetings kommen meistens so um die 20 Leute“, erzählt Tacx, die die Berliner Treffen organisiert. „Ich finde es immer spannend, die Leute, die ich von der Plattform kenne, auch persönlich zu treffen.“ Bei den Meetings sei auch regelmäßig eine 91-jährige Bücherfreundin dabei. „Es ist immer total interessant, ihre Geschichten von früher zu hören“, sagt Tacx.

Natürlich tauschen die Bookcrosser auf ihren Treffen aber nicht nur Geschichten, sondern auch Bücher aus. „Wir bringen uns gegenseitig oft gezielt Bücher mit, man kennt ja mittlerweile die Vorlieben der anderen“, erzählt Tacx. Und so passiere es oft, dass man am Ende des Abends nicht mit weniger, sondern mit mehr Büchern nach Hause gehe.

Wer einfach nur sein Leben entrümpeln möchte, sollte sich also lieber ein anderes Hobby suchen.

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