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Auf den Hund gekommen. Manche in Bonn fühlen sich so, weil viele Arbeitsplätze in Ministerien nach Berlin verlagert wurden.

© Federico Gambarini/dpa

Bonn ärgert Ministerien-Abzug: Mehr oder weniger Hauptstadt

Auch 25 Jahre nach dem Beschluss des Berlin/Bonn-Gesetzes ist der Streit um den geteilten Regierungssitz lange nicht beendet.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Ein Gespenst geht um in Bonn. Die frühere Bundeshauptstadt warnt, pünktlich zum 25. Jahrestag des Berlin/Bonn-Gesetzes, eindringlich vor dem Umzug jener Bundesministerien nach Berlin, die derzeit noch am Rhein angesiedelt sind. Viele solcher Mahnungen hat es schon gegeben, obwohl sich Bonn nach dem Verlust der Hauptstadtrolle Anfang der neunziger Jahre gut entwickelt hat. Größter Fürsprecher ist Nordrhein-Westfalen, dessen Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) eine Komplettverlagerung der Ministerien in die deutsche Hauptstadt wie seine Vorgänger entschieden ablehnt.

„Berlin ist doch schon heute völlig überhitzt und überfordert und kämpft um bezahlbaren Wohnraum“, sagte Laschet der Deutschen Presse-Agentur. „Welchen Sinn soll es machen, jetzt noch Tausende Beamte und ihre Familien mit Milliardenkosten nach Berlin umzusiedeln?“ Es geht um 6433 Planstellen in den Bonner Bundesministerien. Sechs Ministerien haben dort ihren ersten Dienstsitz, die übrigen acht in Berlin. Dort wurden Ende vergangenen Jahres 13 731 Planstellen gezählt. Jedes Ministerium hat eine Dependance in der jeweils anderen Stadt, wobei das Justizministerium (drei Stellen) und das Kanzleramt (19 Stellen) in Bonn fast nicht mehr existent sind.

70 Prozent der Stellen sind in Berlin

Ganz unberechtigt sind die Sorgen der Bonner also nicht. Es gibt einen Rutschbahneffekt, der mit dem Berlin/Bonn-Gesetz eigentlich verhindert werden sollte. Dort ist verankert, „dass insgesamt der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten bleibt“. Aber schon seit 2008 gibt es mehr Ministerialstellen in Berlin, inzwischen ist der Stellenanteil auf 68 Prozent gewachsen. „So kann es nicht weitergehen“, sagt der Oberbürgermeister von Bonn, Ashok-Alexander Sridharan.

Der CDU-Politiker leitet eine Arbeitsgruppe, in der Mandatsträger aus Bonn, dem Rhein-Sieg-Kreis, dem Ahrkreis und Neuwied neue Konzepte für die Zukunft der Region schmieden. Mit im Boot sind die Landesregierungen von NRW und Rheinland-Pfalz, um mit dem Bund einen „Bonn-Vertrag“ auszuhandeln, der das in die Jahre gekommene Berlin/Bonn-Gesetz ergänzen soll. Die schwarz-rote Bundesregierung hat dies im Koalitionsvertrag vom Februar 2018 auch zugesichert.

Die Gegenposition ist in der Koalitionsvereinbarung von Rot-Rot-Grün in Berlin formuliert. Darin begrüßt das Regierungsbündnis „die Überlegungen im Bund über einen Komplettumzug der Ministerien nach Berlin und bietet hierfür seine Unterstützung an“. Am Mittwoch bekräftigte Senatssprecherin Claudia Sünder diese Absicht. Berlin sei sich sicher, „dass der Regierungssitz in der Hauptstadt und europäischen Metropole am besten aufgehoben ist“, sagte sie. Bonn habe in der Vergangenheit gute Dienste geleistet, „der Schmerz von Nostalgikern wie Herrn Laschet ist nachvollziehbar“.

Dass der NRW-Landeschef nach 30 Jahren deutscher Einheit die berechtigten Interessen der ostdeutschen Bundesländer immer noch ignoriere und damit eine gesamtdeutsche Perspektive ausblende, sei allerdings bedauerlich, so die Senatssprecherin. „Wir sind sicher, auch den letzten Bonner am Ende zu überzeugen.“ Dagegen bemühte am Tag zuvor Laschet die „Tugenden der Bonner Republik“. Maß und Mitte, Unaufgeregtheit und Bescheidenheit täten auch heute gut. Offenbar glaubten manche in Berlin, dass die Lebenswirklichkeit der Hauptstadt typisch sei für ganz Deutschland.

"Faire Arbeitsteilung"

Ein typischer Schlagabtausch zwischen Berlin und Bonn, hinter dem sich handfeste Interessen verbergen. Die Hauptstadt kämpft seit 25 Jahren darum, die Arbeit der Bundesregierung vollständig in Berlin zu konzentrieren. Das ist schwierig, weil der historische Beschluss des Bundestags vom 19. Juni 1991 zur „Vollendung der Einheit Deutschlands“ Berlin zwar als Sitz von Parlament und Regierung festlegte, aber auch eine „faire Arbeitsteilung“ zwischen Berlin und Bonn forderte. Der Ex-Hauptstadt wurden mit der „Übernahme und Ansiedlung neuer Funktionen und Institutionen von nationaler und internationaler Bedeutung“ weitreichende Kompensationen und finanzielle Hilfen zugesichert. Ohne diesen Kompromiss, der sich im 1994 verabschiedeten Berlin/Bonn-Gesetz widerspiegelt, hätte der Hauptstadtbeschluss des Bundestags drei Jahre zuvor keine Mehrheit gefunden.

Berlin profitierte seitdem massiv vom Umzug der Verfassungsorgane, erhielt zusätzlich eine milliardenschwere Hauptstadtfinanzierung, eine großzügige Förderung von Kultur und städtebaulicher Entwicklung – und eine Hauptstadtklausel im Grundgesetz. Ohne dies hätte die deutsche Metropole nicht zu dem werden können, was Berlin heute ist. Bonn wiederum hat sich zu einem Netzwerk aus Bundesbehörden, UN-Institutionen, Wissenschaftseinrichtungen und Großunternehmen entwickelt. Diese Position will die selbstbewusste und prosperierende Bundesstadt am Rhein mithilfe eines Bonn-Vertrages noch ausbauen.

Kosten für Pendelei: acht Millionen Euro

Ob, wann und unter welchen Bedingungen es dazu kommt, ist derzeit offen. Im Bund wird sich für einen solchen Vertrag wohl nur dann eine politische Mehrheit finden, wenn Berlin eine Gegenleistung erhält. Im Fokus der Berliner steht weiterhin der Komplettumzug der Ministerien. Solange nichts klar ist, beäugen sich beide Städte misstrauisch. Gerade erst wurde dem Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) vorgeworfen, mit der Sanierung und Erweiterung seines Ministeriums an der Kreuzberger Stresemannstraße (mit Platz für 1400 Mitarbeiter) Tatsachen zugunsten Berlins schaffen zu wollen. Der Minister dementierte sofort: „Der Standort Bonn steht nicht infrage.“

Die Kosten des doppelten Regierungssitzes, verursacht durch pendelnde Beamte, spielt in der Diskussion übrigens nur noch eine Nebenrolle. Für das Jahr 2017 wurden diese „Teilungskosten“ auf acht Millionen Euro geschätzt, neue Zahlen gibt es erst im Frühjahr 2020.

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