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Wo sollen wir hin? Die Schäden rund um das Brandenburger Tor hat Bruno Dilley, Major der Luftwaffe, aus dem Flieger fotografiert.

© picture alliance

Bombenkrieg in Berlin 1945: Überleben im Untergrund

Für Juden waren die Bomben besonders gefährlich – sie durften meist nicht in die Bunker. Gleichzeitig hofften sie auf das Ende des Naziterrors. Drinnen wurden Witze erzählt. Und neue Berliner Busstationen hießen:Reichstrümmerfeld – Klamottenburg – Neustehtnix – Trichterfelde-West.

Der 3. Februar 1945 war der Tag des schwersten Luftangriffs der Alliierten auf Berlin. In einer Serie von Texten erinnern wir an die Geschehnisse.

Draußen empfingen uns Staub und Hitze. Der Himmel war brandrot. Flammen loderten aus Dachstühlen und Fensterhöhlen. Trümmerhaufen rauchten. Glassplitter und Scherben von Dachziegeln übersäten die Straße. Dazwischen lagen die Fußstücke von Brandbomben, die ihr Ziel verfehlt hatten. Verzweifelte Frauen weinten vor Ruinen …“

So beginnt das Schlusskapitel von „Damals war es Friedrich“, dem Jugendbuch Hans Peter Richters. „Neben einer Gartenmauer lag ein Mensch. Jemand hatte ihm einen zerfetzten Unterrock über das Gesicht geworfen.“

Unmittelbar zuvor hatte der Freund des Icherzählers bei Herrn Resch, dem Luftschutzwart, vergeblich darum gebettelt, in den Schutzraum gelassen zu werden: „Friedrich saß in den Schatten des Hauseingangs hingeduckt. Die Augen hielt er geschlossen; sein Gesicht war blaß. ,Bist du wahnsinnig?‘, fuhr es Vater heraus. Da bemerkte auch Herr Resch die Gestalt. … ,Scher dich fort!‘, zischte er Friedrich an. ,Glaubst du, weil nach diesem Angriff alles drunter und drüber geht, wärst du sicher davor, abgeholt zu werden?‘ Schrill schrie Mutter: ,Sehen Sie denn nicht? Er ist doch ohnmächtig!‘ Mit einem spöttischen Lächeln schaute Resch meine Mutter an: ,Die Ohnmacht werde ich ihm schnell austreiben. – Ich muß mich allerdings sehr über Ihr Mitgefühl mit Juden wundern! – Sie, als Frau eines Parteigenossen?!‘ Vater zog Mutter beim Ärmel. Mutter schlug die Hände vor das Gesicht. Herr Resch hob den Fuß und trat Friedrich. Friedrich rollte aus dem geschützten Hauseingang auf den Plattenweg. Von der rechten Schläfe zog sich eine Blutspur bis zum Kragen. Meine Hand verkrampfte sich in den dornigen Rosensträuchern. ,Sein Glück, dass er so umgekommen ist‘, sagte Herr Resch.“

Für die Verfolgten des „Dritten Reiches“, zu denen dieser 16-Jährige gehört hatte, entstand mit den massiven Bombenabwürfen der Alliierten im Verlauf des Zweiten Weltkriegs eine zusätzlich zwiespältige Konfliktsituation. In Lebensgefahr gerieten sie eher als andere Zivilisten, weil der Zutritt zu Bunkern den meisten verwehrt wurde und sie sich als Zwangsarbeiter beim Trümmerräumen den Blindgängern aussetzen mussten. Propaganda des Regimes machte zudem die Kriegstreiber des „Weltjudentums“ für Leiden der Durchschnittsbürger verantwortlich. Und doch konnte allen, die eine Niederlage Hitlers und seiner Soldaten aus eigenem Überlebensdrang herbeisehnten, die Attacke auf ihre Heimatstädte als unvermeidliches Übel erscheinen: Dass Logistik und industrieller Nachschub für die Front so lahmgelegt werden sollten, war nachzuvollziehen.

Das zweite Ziel der Angriffe, die Treue des Volkes zu seiner verbrecherischen Führung zu brechen, schien dagegen auf diesem Weg nicht erreichbar zu sein. An verbreiteten Flüsterwitzen, die den, der sie erzählte, in Lebensgefahr bringen konnten, lässt sich nur eine gewisse Distanzierung zum totalen Staat ausmachen. Sie dienten Verfolgten und ganz normalen Volksgenossen, Angst und Entbehrungen zu verarbeiten, etwa so: „Weihnachten 1943 verlief so“, erzählte man: „Die Engländer setzten die Christbäume (herabschwebende Leuchtbomben), die Flak lieferte die Kugeln, Goebbels erzählte uns Märchen und wir saßen im Keller und warteten auf die Bescherung.“

Oder so: „Im Luftschutzkeller grüßen die einen ,Guten Abend‘ – die waren noch nicht im Bett, andere ,Guten Morgen‘ – die haben schon geschlafen; die Dritten ,Heil Hitler‘ – die sind noch nicht aufgewacht.“ Neue Berliner Busstationen heißen: Reichstrümmerfeld – Klamottenburg – Neustehtnix – Trichterfelde-West. Und der Zwangsoptimismus beim Näherrücken aller Feindesarmeen artikuliert sich: „Ick jlobe am deutschen Sieg, solange ick noch forn Jroschen von der Westfront an die Ostfront fahren kann.“ Aber die Verhohnepipelung entspringt keinem Wechsel der Perspektive. Wer das Regime insgeheim kritisch sieht, ist deshalb noch nicht bereit, den Stress, den Horror der Bombennächte prinzipiell zu akzeptieren.

An diesem Punkt unterscheidet sich die Wahrnehmung der Verfolgten von der jener, die sich mit dem Hitler-Staat so oder so arrangieren konnten. Verfolgte, oft gute Patrioten, geraten in die Zwickmühle doppelter Loyalität, das Dilemma der Fünften Kolonne. An dem Luftschutzkellerbuch von Lea Horwitz, ihrer „Chronik des Hamburger Luftkrieges von 1940 – 1945“, sind die komplizierten Verflechtungen einer solchen Extremsituation zu erkennen. Die evangelische Christin ist nach Nazikriterien ein Mischling, aber wie schwer ihre jüdische „Versippung“ und die ihrer sechs Kinder ins Gewicht fällt, wird im Innenministerium noch recherchiert. Negativ werten die Behörden ihre Ehe mit dem „Halbjuden“ Erwin Horwitz. Der war als Pastor von seiner Gemeinde gedrängt worden, nicht auszuwandern, man würde zu ihm halten. So entsteht die absurde Konstellation, dass Pastor Horwitz, wochentags zur Zwangsarbeit verpflichtet, sonntags predigt und nachts als offizieller Luftschutzwart seinen Dienst an der Volksgemeinschaft versieht.

Der breite Gang zwischen dem Keller der "Arier" und dem engen Raum für Juden

Der Anhalter Bahnhof wurde bei dem Luftangriff am 3. Februar 1945 komplett zerstört.
Der Anhalter Bahnhof wurde bei dem Luftangriff am 3. Februar 1945 komplett zerstört.

© ullstein bild

Beim 22. Alarm steht im Luftschutzkellerbuch: „Bomben auf Kinderspielplatz in Barmbeck geworfen. Tote und Verwundete.“ Drei Monate später verzeichnet die Chronik ein Jubiläum: „Starkes Schießen, alle unten. Zur Feier des 100. Alarms Kakaoersatz und Nusskuchen.“ Nach drei Stunden wird schon mal an Erwachsene Grog ausgeschenkt oder das selbst gedichtete „Luftschutzkellerlied“ (Melodie: „Der lieben Sonne Licht und Pracht“) gesungen: „Er weiß und kennt das Ziel, er hilft und hält das Spiel. Er hält in Seiner Hand die Welt, wie unsre Hand ein Vöglein hält.“ Mit dem 323. Alarm am 27. Juli 1943 endet die Zählung, beim Flächenbombardement „Operation Gomorrha“ wird Familie Horwitz ausgebombt; sie flieht in einer Kolonne durchs Flammenmeer, hinter ihnen begraben brennende Fassaden den folgenden Lkw.

Der drohende Ahnen-Bescheid bleibt für Lea Horwitz weiter aus: Bomben auf Berlin haben ihre Akte im Reichssippenamt vernichtet. 1944 fallen auf eine KZ-Außenstelle im Freihafen, wohin Erwin H. anderntags verbracht werden soll, ebenfalls Bomben, sodass in der Familie die Wendung kursiert: „Der Gott, der das Dessauer Ufer zerstört hat“. Im Originalmanuskript, das Angriffe, Datum, Uhrzeit, Fliegeranzahl, Todesmeldungen, Treffer, Abschüsse verzeichnet, vermeidet man solche Subversion sicherheitshalber. Am 20. April 1945 notiert die Chronistin vorsichtig den Geburtstag „des Wahnsinnigen“ (auf Lateinisch). Noch weiß Familie Horwitz nicht, dass der Befehl, sie in das KZ Neuengamme zu deportieren, beim Gauleiter vorliegt. Am 1. Mai: „Hitlers Höllenfahrt gemeldet!“ Es folgt auf Latein der Spruch, den die Queen auf Münzen prägen ließ, als Spaniens Armada versank: „Gott blies und sie wurden zerstreut“; sowie Zeilen aus dem „Dies irae“. Am 2. Mai Jubel: „Morgen sollen die Engländer in die Stadt einziehen! Gott sei ewiglich Dank! Amen. Letzter Alarm: 22:50–23:30 Uhr.“

Die Überhöhung des „Bombenterrors“ (NS-Propaganda) zum Weltgericht erschließt sich aus einem historischen Kampf des mehr oder weniger Guten gegen das eindeutig Böse – so wirkt das Weltkriegsszenario auf Zeitgenossen, deren Blick nicht agitatorisch vernebelt ist.

Marie Jalowicz formuliert ihre Position, an der sich zeigt, welch tiefer Riss Verfolgte von „den anderen“ trennt, nüchterner. Sie lebt als Jüdin seit 1940 untergetaucht in wechselnden Quartieren, unter fürchterlichen Identitätsscharaden. Ihre packenden Erinnerungen („Untergetaucht“, Berlin 2014) schildern banale oder dramatische Momente während der Bombardements: wie sie unter falschem Namen im Luftschutzkeller den Treffer einer Sprengbombe oder das Fast-verschüttet-Werden oder in der heißen Wanne einer Zufluchtswohnung Bombennächte überlebt. Sie würdigt einen Bekannten, der ihr als Hilfsluftschutzhelfer einen illegalen Platz im Keller organisiert. Zugleich aber konstatiert sie kühl: „Für mich bedeuteten diese Angriffe nicht Niederlage, sondern Sieg. Am liebsten hätte ich den Bombern zugerufen: ,Immer feste druff.‘ Der Krieg wäre vermeidbar gewesen. Wer Hitler gewählt hat, soll jetzt die Konsequenzen spüren.“

Eine Tagebuchnotiz der Berlinerin Erna Becker erwähnt den „breiten Gang“ zwischen dem Keller der Arier und dem engen Raum für Juden, den sie in diesem Fall nutzen darf: Dieser Gang symbolisiert auch den Riss durch die Gesellschaft des „Dritten Reiches“, ein Riss, der jene und diese und ihre Einschätzung des mörderischen Bombenkrieges voneinander trennt. „Wir verbringen fast jede Nacht einige Stunden im Luftschutzkeller. Anfangs weigerte ich mich hinunterzugehen, ich fürchte die Menschen mehr als die Bomben.“ Sie stellt fest, wie die Nachbarn „böse Reden gegen die Juden“ führen. „Ich bin zwar in einem abgetrennten Keller für mich allein. Aber da ein breiter Gang die Keller untereinander verbindet, wissen sie, dass ich gezwungen bin, solche Reden mitanzuhören.“ Tatsächlich gibt es solch einen Riss in der deutschen Gesellschaft, zwischen Nachgeborenen der einen und der anderen, bis heute. Es gehört für Nachkommen der Täter und Mitläufer zum politisch korrekten Ton, an den Holocaust zu erinnern und sich dabei ganz in die Perspektive der Verfolgten zu versetzen; die der eigenen Vorfahren wird eher verdrängt. Umso schwieriger erscheint es, eine Woche nach dem Befreiungstag von Auschwitz des „Bombenterrors“ von Berlin und Dresden zu gedenken, ohne revanchistisch aufzurechnen. Lange wurde das Thema beschwiegen, heute sucht man die Balance der Betroffenheit. „Immer druff“ zu sagen, wird sich niemand trauen.

Berlin bleibt die Hauptstadt der Narben: Vor 70 Jahren fielen Bomben auf die Stadt. Die Erinnerung darf nicht sterben. Sie muss persönlich sein und in der Stadt sichtbar. Lesen Sie hier einen Kommentar zum Thema.

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