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Nur noch eine Woche im Amt: Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD).

© Michael Kappeler/AFP

Update

„Blutiger Widerstand“ gegen Impfpflicht: Drohbrief mit Fleisch an Michael Müller – „Lasse mich nicht einschüchtern“

In Schreiben an Politiker, Medien und Behörden kündigen Unbekannte „blutigen Widerstand“ gegen die Impfpflicht an. Bundesweit gibt es mehr als ein Dutzend Fälle.

Hochrangige Politiker, mehrere Medien, Polizeibehörden und weitere öffentliche Institutionen haben Drohschreiben erhalten, in denen auf die Impfpflicht Bezug genommen wird. In den Briefen wird "blutiger Widerstand" gegen die geplante Maßnahme angekündigt. Das berichtete die ARD am Dienstag.

Einer der Empfänger war demnach Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD). Insgesamt seien mindestens zwölf dieser Schreiben verschickt worden, hieß es. Auch Bundestagsabgeordnete zählten zu den Adressaten.

Alle Drohschreiben enthielten dem Bericht zufolge ein Stück Fleisch, das in Alufolie eingewickelt war. "Das Fleisch ist mit ausstrahlenden Covid-19-Viren und mit Zyklon B durchseucht", habe in dem Schreiben gestanden. "Der Widerstand gegen die Impfung und die Maßnahmen wird blutig und unappetitlich."

Müller bestätigte den Eingang der Sendung am Mittwoch. "So ein Drohschreiben ist in der Senatskanzlei eingegangen", teilte er mit. Es sei "unerträglich, zu welchen Mitteln einige Menschen inzwischen greifen, um Andere zu bedrohen, zu hetzen und um ihre abstrusen Thesen zu verbreiten". Der Regierende Bürgermeister sagte: "Ich werde mich von dieser radikalisierten Minderheit nicht einschüchtern lassen."

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In einer demokratischen Gesellschaft sei Kritik an politischem Handeln erlaubt, es sei legitim, Maßnahmen zu hinterfragen, sagte der SPD-Politiker. „Drohschreiben, Hetze und Hass oder Fackelaufzüge vor den Wohnungen von Politikern haben nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun.“ Diese Form des Protests sei völlig inakzeptabel. „Als Gesellschaft ist jede und jeder einzelne aufgerufen, diese Radikalisierung zu verurteilen und klar zu machen, dass wir uns als Gemeinschaft nicht durch solche widerwärtigen Aktionen spalten lassen.“

Ähnlich äußerte sich der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Berlin, Benjamin Jendro: „Es steht außer Frage, dass es seit mehr als fast zwei Jahren massive Grundrechtseingriffe gibt und die Bewältigung der Pandemie uns allen viel abverlangt“, teilte er mit. „Dennoch rechtfertigt nichts derartige Drohschreiben, mit denen eine rote Linie überschritten wurde. Wir reden hier von extremistischen Angriffen auf unsere Demokratie und Menschen, die demokratisch gewählt wurden, um wesentliche Entscheidungen zu treffen.“

Polizei bestätigt ein Dutzend Drohschreiben bundesweit

„Wir können diese Sachverhalte bestätigen“, sagte eine Sprecherin der Berliner Polizei am Mittwochmorgen. „Derzeit sind uns mehr als ein Dutzend dieser Sendungen bundesweit bekannt.“ Sie seien etwa an Politiker, Medien und Behörden verschickt worden. Die Ermittlungen in Berlin habe der Polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamts übernommen. Ermittelt werde wegen Störung des öffentlichen Friedens. Die bisherigen Analysen der Drohschreiben samt der Fleischstücke hätten keine Hinweise auf Substanzen ergeben, die in irgendeiner Art gefährlich werden könnten, sagte die Sprecherin.

Die Berliner Polizei gab nicht bekannt, an wen die übrigen Drohschreiben im einzelnen adressiert waren. Auch zu möglichen Hinweisen auf den Absender machte die Sprecherin keine Angaben.

Wie das Innenministerium in Baden-Württemberg am Mittwoch mitteilte, ermittelt das Landeskriminalamt in Stuttgart ebenfalls, weil zwei Behörden Drohbriefe erhalten haben. Ein Sprecher wollte wegen laufender Ermittlungen keine weitergehenden Informationen mitteilen.

Das Schreiben mutet einigermaßen merkwürdig an: Coronaviren strahlen nicht aus - und die Erwähnung von Zyklon B nimmt Bezug auf den Holocaust. Es handelt sich dabei um ein Insektenvernichtungsmittel auf der Basis von Blausäure, das tödlich ist, wenn Menschen es einatmen. Die Nationalsozialisten hatten Zyklon B in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern zur Ermordung von Juden und weiteren Bevölkerungsgruppen eingesetzt.

Keine Hinweise auf Gefahrenstoffe in Drohbriefen

Kriminaltechnische Untersuchungen der Drohschreiben und der Fleischstücke hätten keine Hinweise auf Gefahrenstoffe gegeben, hieß es in dem ARD-Bericht weiter. Die Polizeisprecherin bestätigte das am Mittwochmorgen. Wann die Schreiben verschickt wurden beziehungsweise bei ihren Empfängern eingingen, war dem Bericht nicht zu entnehmen. Hinweise auf die Urheber der Drohschreiben gebe es bisher nicht.

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Unter "Querdenkern" gab es zuletzt eine deutliche Radikalisierung. Diese sei "seit geraumer Zeit" zu beobachten, sagte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD), als er am Dienstagabend in der "Abendschau" des RBB auf die Drohungen angesprochen wurde - ohne dass er die Briefe konkret der Szene zuordnete. "Demokratische Kritik an Corona-Maßnahmen muss möglich sein, aber da, wo es in Hass und Hetze übergeht, muss der Staat auch Grenzen setzen."

Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden versuchen Rechtsextremisten und Reichsbürger, die lange Zeit recht heterogene Szene vor allem im Osten des Landes zunehmend zu dominieren. Die Debatte um eine Impfpflicht und zuletzt wieder verschärfte Corona-Maßnahmen haben ihnen neuen Auftrieb gegeben.

Prügel und tödliche Schüsse: Radikalisierung bei "Querdenkern"

Immer wieder kommt es dabei auch zu Grenzüberschreitungen und Gewalttaten. Anfang Dezember waren in Sachsen Demonstranten mit Fackeln vor das Wohnhaus der dortigen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) gezogen. In Idar-Oberstein wurde ein Kassierer in einer Tankstelle im Streit um die Maskenpflicht erschossen, in Berlin ein Fahrgast in einer Straßenbahn aus demselben Grund zusammengeschlagen.

In Königs Wusterhausen erschoss ein Vater erst seine Familie und dann sich selbst - und dokumentierte in einem Abschiedsbrief, dass er von der irrationalen Furcht getrieben war, wegen eines gefälschten Impfpasses verhaftet zu werden. Der Mann hatte Kontakt zur "Querdenker"-Szene.

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte am Dienstag in der RBB-Abendschau: „Wir beobachten diese Radikalisierung von Corona-Leugnern jetzt schon seit geraumer Zeit, anderthalb Jahre. Es hat sich immer weiter gesteigert bis hin zu konkreten Morddrohungen.“

Geisel sicherte den Schutz der Berliner Polizei zu: „Die Polizei leistet ihren Beitrag. Es gibt auch entsprechende Strafverfolgung“, sagte er. „Aber vor allem ist es wichtig, dass unsere Gesellschaft resilient ist. Demokratische Kritik an Corona-Maßnahmen, die muss möglich sein. Aber da, wo es in Hass und Hetze umschlägt, da muss der Staat klare Grenzen setzen.“

[Lesen Sie mehr bei Tagesspiegel Plus: Radikale Impfgegner: Sie sind bereit zum Angriff - Fragen und Antworten zum Thema]

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Frank Überall, nannte die Drohschreiben einen erschreckenden Beleg für die Eskalation der Gewalt: „Was auf der Straße mit „Lügenpresse“-Schmährufen angefangen hat, steigert sich zur ernst zu nehmenden Gefahr für uns Journalistinnen und Journalisten und für das Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit.“

Ob auch hinter den Drohschreiben gegen Michael Müller und andere Politiker "Querdenker" stecken, war zunächst unklar. Zwar liegt ein Zusammenhang nahe, doch gibt es auch immer wieder Fälle, in denen Personen aus ganz anderen Motiven Drohbriefe oder falsche Bekennerschreiben verschicken, etwa aus Geltungssucht. Dies kommt gerade dann vor, wenn ein Konflikt große öffentliche Aufmerksamkeit erfährt. Kriminalisten sprechen dann von "Trittbrettfahrern". (mit dpa)

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