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Sandra Scheeres (SPD) ist seit 2011 Bildungssenatorin.

© David von Becker

Bildungssenatorin Sandra Scheeres: „Wir haben keine Lehrer-Abwanderung“

Nächste Woche beginnt das neue Schuljahr in Berlin: Bildungssenatorin Sandra Scheeres über ihre Pläne, Wettbewerb mit anderen Ländern, Änderungen bei der Rückstellung – und die umstrittene Kita-Pflicht.

Am Montag fängt die Schule wieder an. Einige Lehrerstellen sind noch nicht besetzt. Betrifft das vor allem Mangelfächer?

Von den 1439 benötigten Lehrkräften haben wir bereits 1370 an Bord. Für die übrigen führen die Schulen derzeit Auswahlgespräche, so dass aktuell sicher auch noch Mangelfächer betroffen sind. Berlinweit müssen wir zum Beispiel in Chemie derzeit noch vier Lehrer auswählen. Gerade die zentralen Einstellungsverfahren in den Mangelfächern sind dieses Jahr aber sehr gut gelaufen.

Lehrer berichten immer wieder, dass sie Fächer unterrichten müssen, die sie nicht studiert haben. Da muss ein Deutschlehrer dann plötzlich Mathematik machen.

Das sind Einzelfälle. Grundsätzlich muss es so sein, dass Lehrer ihre Fächer unterrichten.

Aber in Ethik zum Beispiel wird nur jede dritte Unterrichtsstunde von einem dafür ausgebildeten Lehrer gegeben.

Aktuell haben wir fast alle freien Stellen für Ethik/Philosophie besetzen können. Zudem ist der Ethikunterricht ein Sonderfall. Wir haben ihn vor sieben Jahren neu eingeführt. In ein paar Jahren werden mehr Lehrer das Fach studiert haben. Wir intensivieren die universitäre Ausbildung und stärken die Fortbildung. Aber das geht nicht von heute auf morgen.

Im vergangenen Schuljahr haben die Lehrer mehrmals gestreikt, weitere Aktionen sind angekündigt. Wie wollen Sie diesen Konflikt entschärfen?

Gegenfrage: Wir reden hier über Lehrkräfte mit zwei Fächern, die ab 2014 rund 4700 Euro als Einstiegsgehalt bekommen – gerechtfertigt, aber mehr als andere. Ist das wirklich ein Grund, um flächendeckend zu streiken?

Das Einstiegsgehalt ist aber auch gleichzeitig das Endgehalt, außerdem geht es den Angestellten um eine Gleichbehandlung mit den Beamten.

Außerhalb Berlins verdienen angestellte Lehrer weniger. Es bewerben sich übrigens viele angestellte Lehrer aus anderen Bundesländern, und die Zahl derer, die aus Berlin wegwollen, ist gesunken. Im letzten Schuljahr hatten wir 234 Freistellungsanträge, dieses Jahr 187. Tatsächlich verlassen haben die Stadt aber nur acht Lehrer, auch aus familiären Gründen. Wir haben also keine Abwanderung.

Auch in diesem Jahr haben viele Eltern ihre Kinder von der Einschulung zurückstellen lassen. Viele berichten, das Antragsverfahren sei kompliziert.

So kompliziert ist es nicht. Ich nehme aber die Elternsorgen sehr ernst und werde es deshalb transparenter machen. Schon bei der Anmeldung zur Grundschule wird es jetzt auf dem Formular ein Feld geben, auf dem man ankreuzen kann, dass man sein Kind zurückstellen möchte. Zudem soll künftig bei der Entscheidung über den Rückstellungsantrag das Gutachten der Kita ein größeres Gewicht bekommen. Die letzte Entscheidung über den Antrag bleibt aber beim Schulrat.

37 Euro zahlen Familien ab nächstem Februar für das Schulessen, 14 Euro mehr als bisher. Es gibt die Befürchtung, dass ärmere Eltern ihre Kinder vom Essen abmelden, weil sie sich genieren, Hilfen zu beantragen. Werden Sie dann nachbessern?

In anderen Bundesländern bekommen die Eltern keine Zuschüsse vom Land und zahlen noch mehr. Die Pädagogen in den Schulen haben eine Verantwortung, mit den Eltern zu sprechen, wenn sie ihre Kinder vom Essen abmelden, ohne es an die große Glocke zu hängen. Ich wünsche mir, dass der Härtefallfonds und die Gelder aus dem Bildungs- und Teilhabepaket angenommen werden!

Wie es bei der Inklusion weiter gehen soll und wie Scheeres zur Kita-Pflicht steht

Was hören Sie aus den Schulen in Sachen Inklusion? Eher Enttäuschung, dass es wegen des Geldmangels nicht richtig losgeht, oder eher Erleichterung?

Mir begegnet vor allem der Wunsch, dass es behutsam gehen soll. Es schwingt Sorge vor Überforderung mit. Ich möchte die Schulen nicht überlasten. Da spielt auch die Erfahrung aus dem Jahrgangsübergreifenden Lernen mit: Man hat JüL gemacht, war aber vielleicht noch nicht ausreichend fortgebildet. Diesen Fehler wollen wir nicht wiederholen. Ich möchte die Lehrer mitnehmen. Nur so kann die inklusive Schule erfolgreich sein. Die Lehrkräfte müssen also fortgebildet werden. Das braucht Zeit. Im Oktober starten wir in vier Bezirken mit Beratungs- und Unterstützungszentren für Schulen und Eltern. Ziel ist es, im kommenden Schuljahr die Anzahl auszuweiten.

SPD-Fraktionschef Raed Saleh fordert eine Kitapflicht, obwohl viele Gutachten ergeben haben, dass das nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Wie stehen Sie dazu?

Ich bin mit Raed Saleh auf einer Linie, dass möglichst alle Kinder mit Sprachförderbedarf in die Kita gehen. Allerdings gab es ja gerade wieder 2011 ein Parlamentsgutachten, wonach man das Grundgesetz ändern müsste, um eine Kitapflicht einzuführen. Deshalb setzen wir eben bei dem verbindlichen Sprachtest an. Ich möchte ihn um ein halbes Jahr vorziehen und den daraus resultierenden verpflichtenden Sprachkurs von drei auf fünf Stunden pro Tag erweitern.
Was bedeutet das für den Saleh-Vorschlag? Gibt es ein neues Gutachten?

Bisher ist das nicht vorgesehen. Wir gehen den Weg des verbindlichen Sprachtestes und des Sprachkurses. Und ich finde es wichtig, dass wir uns einig sind, welch große Bedeutung die Kita hat.

Aber es gibt doch noch immer große Sprachdefizite, auch bei Kindern, die jahrelang eine Kita besucht haben!

Wir haben verbesserte Ergebnisse bei den Sprachtests der Kitakinder. Das ist auf Reformen wie das Sprachlerntagebuch und das Bildungsprogramm zurückzuführen. Wir haben als einziges Bundesland ein Qualitätsinstitut für die Kitas, wir haben die externe und interne Evaluation. Es ist faszinierend, wie sich die Kitas weiterentwickeln! Auch bei der Elternarbeit. Diesen Weg gehen wir weiter.

Einige Experten halten einen Sprachtest 18 Monate vor der Einschulung für zu früh.

Das sehe ich nicht so. Die Kinder sind mit vier Jahren durchaus in der Lage, Sätze zu bilden. Da kann man den Test machen.

Wie sieht es denn jetzt aus mit den Kitaplätzen? Der Rechtsanspruch für die Einjährigen gilt ja seit dem 1. August.

Wir haben einen Puffer von 12 000 Plätzen. Der wird zwar kleiner im Laufe des Jahres, wenn die Kinder, die ihren ersten Geburtstag feiern, laufend in die Kitas kommen, aber es bleibt auch dann eine Reserve. Aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen, deswegen bauen wir weiterhin Kita-Plätze aus.

Aber es gibt doch schon jetzt Engpässe! In manchen Innenstadtbereichen gibt es keine Bauplätze mehr für neue Kitas.

Wir eröffnen laufend Kitas – gerade auch in Mitte und Pankow. Wir fördern gezielt dort, wo Bedarf ist. Natürlich ist die Lage in einigen Bezirken enger als in anderen, aber das ist zum Teil auch eine Bauchsache wegen der Wartelisten. Das habe ich selber erlebt als Mutter. Aber das wird sich entspannen, wenn Ende 2013 das digitale Wartelistenmanagement kommt. Auch die Transparenz wird erhöht.

Was , wenn Kitas die Not der Eltern ausnutzen und hohe Zusatzbeiträge verlangen?

Gegen nicht erlaubte Zusatzbeiträge gehen wir vor. Zudem geben wir Broschüren heraus, damit die Eltern wissen, was Träger dürfen und was nicht. Geld für Angebote wie Sprachkurse kann man verlangen, wenn Eltern diese wünschen, aber Kautionen sind nicht rechtens. Passiert es trotzdem, sollen die Eltern das den Jugendämtern oder der Kitaaufsicht melden.

Nächsten Sonnabend ist Einschulung. Was raten Sie den Eltern von Erstklässlern?

Ich finde es wichtig, den Kindern auf den Weg zu geben, dass etwas Neues und Großes beginnt. Ein neuer Abschnitt, bei dem man neue Freunde finden und viel lernen kann. Und es ist wichtig, dass man die Kinder nicht einschüchtert.

Gehen Ihre Kinder schon in die Schule?

Ja, mein älterer Sohn kommt jetzt in die vierte Klasse und hat schon vor ein paar Tagen seine Schultasche gepackt. Der freut sich, dass es wieder losgeht.

Das Gespräch führten Susanne Vieth- Entus und Sylvia Vogt.

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